Robin Lang

Schön, dich gesehen zu haben


Скачать книгу

neu angefangen. Na ja, was so neu anfangen heißt – ich hatte mir ein baufälliges Haus gekauft und mich dort niedergelassen. Ich baute die Garage zur Werkstatt um und meine Möbelwerkstatt neu auf. Meinen Namen, meine Reputation hatte ich ja und es war egal, wo ich die Möbel baute, die meisten Bestellungen kamen sowieso online rein.

      Ich nahm nicht viel mit, ein paar persönliche Dinge, Fotos, mein Werkzeug und unsere … meine beiden Hunde.

      Gott, Simone und ich hatten uns die ganze Schwangerschaft über vorgestellt, wie Yanka und Sicu

      wohl auf unser Baby reagieren würden. Man sagte Huskies ja eine große Kinderliebe nach und ich hatte mich schon beim Sommerschlittentraining mit Kleinkind gesehen. Aber wie hieß dieses eine Buch? „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ - Yanka und Sicu haben unser kleines Wunder, unsere Mira, nie kennengelernt. Ich hatte sie kaum kennenlernen dürfen. Ihr Herz hatte nach gerade mal 20 Stunden aufgegeben. Und keiner hatte uns darauf vorbereitet. Alle Untersuchungen waren gut und „im Rahmen“ gewesen und dann, zwei Tage vor dem errechneten Termin war alles anders. Soll es Eltern trösten, wenn man ihnen sagt, dass das leider auch heute immer noch vorkommen kann? Wenn man ihnen sagt, dass Mira eines von 200 Babies in ganz Deutschland in diesem Jahr war, die leider die ersten 24 Stunden nicht überleben? Was daran hätte uns trösten sollen?

      Danach war nichts mehr wie vorher.

      Meine wunderschöne, frohe, glückliche, kluge Frau war zusammen mit unserer Tochter gestorben. Dafür kam eine andere Frau aus dem Krankenhaus zurück. Äußerlich war es immer noch Simone, aber innerlich war nichts mehr da von ihr. Und sie hatte den Kampf gegen ihre Dämonen aufgegeben – danach war ich ganz alleine.

      „Max! Ich dachte mir, dass ich dich hier finden würde. Ich habe dein Auto vorhin durch die Stadt fahren sehen. Kommst du nachher noch bei uns vorbei? Deine Mutter würde sich freuen, wenn sie dich nochmal sehen würde!“

      Mein Stiefvater kam über den Friedhofsweg auf mich zu und nahm mich zur Begrüßung in den Arm.

      Auch er hatte Blumen für seine Schwiegertochter und Enkelin dabei. Überhaupt – viele Menschen schienen immer noch an die beiden zu denken, denn egal, wann ich hier vorbei kam, immer standen frische Blumen am Grab der beiden. Und das, obwohl schon so viele Jahre vergangen waren.

      Ich wischte mir die Tränen aus den Augen und nickte nur.

      „Wie geht es dir, Junge – sei ehrlich. Deine Mutter macht sich Sorgen, weil wir so wenig von dir hören! Lebst du immer noch alleine? Das ist nicht gut, du trauerst zu lange. Simone hätte das nicht gewollt – und Mira auch nicht!“

      Er hatte ja recht, das wusste ich. Aber es war das eine, etwas zu wissen und das andere, es in die Tat umzusetzen. Ich hatte schon oft versucht, nach vorne zu sehen, weiterzumachen. Mein Leben wieder zu leben.

      Aber Simone und ich waren unser halbes Leben lang ein Paar gewesen, echte Schülerliebe, seit der neunten Klasse, durch Abitur, Ausbildung und Studium. Wir hatten früh geheiratet, unser Geschäft zusammen aufgebaut und die Schwangerschaft war die Krönung unseres Lebens gewesen. Natürlich hatte ich gewusst, dass Simone schon mal mit leichten Stimmungsschwankungen, vielleicht auch Depressionen zu tun gehabt hatte, aber im Grunde waren die nie stark ausgeprägt gewesen.

      „Herr Wagner, man kann nie sagen, wie Menschen auf ein so traumatisches Ereignis reagieren und Ihre Frau wurde von einigen Personen durchaus als labil beschrieben. Sie trifft keine Schuld, Sie haben diese Entwicklung nicht vorhersehen können …“ - am liebsten hätte ich dem Arzt eine reingehauen. Aber er konnte ja auch nichts dafür, er war nur der Überbringer der Botschaft.

      „Max – hörst du mir zu?“

      Stimmt ja, mein Stiefvater stand da neben mir. Obwohl – Stiefvater klang immer so negativ, Martin war seit 30 Jahren der Mann an der Seite meiner Mutter und ich hatte ein gutes Verhältnis zu ihm.

      „Ich geh noch `ne Runde mit den Hunden, die sitzen brav im Auto, dann komme ich vorbei – oder habt ihr heute noch was vor?“

      „Nein, komm, wenn du Zeit hast, deine Mutter freut sich immer, dich zu sehen, das weißt du doch!“

      Er stellte die Blumen neben meine, drückte mich noch einmal an sich und ließ mich dann alleine.

      Ich blieb auch nicht mehr lange. Die Hunde und ich brauchten Bewegung. Manchmal glaubte ich, wenn ich die beiden nicht hätte, dann wäre ich in den letzten Jahren verrückt geworden. Die Verantwortung für diese beiden Tiere hat mich immer wieder dazu gebracht weiterzumachen, auch wenn ich dazu manchmal keine Lust gehabt hatte. Für sie musste ich aufstehen und vor die Tür gehen statt einfach aufzugeben. Die beiden konnten ja nichts für mein Schicksal und mein Selbstmitleid!

      Auf den Besuch bei meinen Eltern hätte ich allerdings gerne verzichtet, denn ich wusste, worauf das hinauslief: Junge, du musst weiterleben; Junge, sie hätten das nicht gewollt; du bist zu jung, um dich aufzugeben; du bist so verbittert; gib den Menschen um dich herum doch eine Chance.

      Und das Schlimmste: Ich wusste, dass sie recht hatten mit allem, was sie sagten. Das änderte aber nichts an der Tatsache, dass ich einfach nicht genug Antrieb hatte, um mich auf diesen Weg zu machen. Ich war feige – ich hatte Angst vor dem Leben, ich wollte nicht noch mal so verletzt werden.

      Ich richtete einen letzten Blick auf das Grab meiner kleinen Familie und ging mit großen Schritten zurück zum Auto.

      Mein schwarzer Pick-up war mehr praktisch als schön, aber wen interessierte das schon? Yanka und Sicu saßen brav auf der Ladefläche und spitzten nur die Ohren, als sie mich kommen sahen. Als wir uns damals für zwei Hunde entschieden hatten, waren wir uns einig gewesen, dass wir viel mit ihnen arbeiten würden.

      Sie gehorchten aufs Wort – oder besser auf Handzeichen. Sie waren gut erzogen, trainiert, denn es gab in unseren … meinen Augen nichts Schlimmeres als einen Hund, der nicht unter Kontrolle war. Dabei hatte Hundeerziehung nichts mit Drill oder Strafe zu tun, sondern nur mit Geduld, Ruhe und Konsequenz. So konnte ich die beiden im Grunde überall alleine laufen lassen, nur aus Rücksicht auf ängstliche Menschen nahm ich sie an die Leine oder eben beim Training ins Geschirr. Aber meistens waren unsere Wanderungen so ausgedehnt und weitläufig, dass uns selten jemand begegnete.

      Und auch jetzt sprangen sie auf einen Pfiff von mir von der Ladefläche und kamen zu mir gelaufen.

      Der Friedhof lag direkt neben einem größeren Waldstück und wir drehten eine weite Runde, bevor ich genug Mut gesammelt hatte, um mich meinen Eltern zu stellen.

      Martin hatte meine Mutter wohl schon vorgewarnt, denn auf mich warteten Kaffee und Kuchen und jede Menge Ratschläge und Dorftratsch.

      Zum Glück war meine Mutter vor allem froh, dass ich zu Besuch war. Es genügte, dass ich ihr zuhörte, ab und zu nickte und ansonsten einfach nur „da“ war.

      Zum Abschied nahm sie mir wie immer das Versprechen ab, dass ich mich in Zukunft öfter melden würde und dass ich versuchen würde, mehr zu leben, dass ich andere Menschen in mein Leben lassen und mich mehr öffnen sollte.

      Ich ließ es über mich ergehen, nickte brav und nahm sie zum Abschied in den Arm. Zum einen hatte ich all diese Dinge schon oft gehört und zum anderen hatte ich mir all das auch selber schon oft genug gesagt.

      Ein paar Tage später kam Lucca mich besuchen – ihr Abschiedsbesuch!

      Am nächsten Tag würden ihr neuer Chef und ein paar Freunde sie abholen kommen. Ich freute mich wirklich für sie, sie hatte es verdient, aus diesem Ort mit all seinen Erinnerungen herauszukommen.

      „Wieso kommst du nicht mit, Max? Dich hält doch hier nichts und niemand und ich würde mich freuen, wenn du in meiner Nähe wärst. Dann können wir gemeinsam ein bisschen einsam sein. Wir passen doch sowieso nirgendwo richtig hin ….“

      „Ach, Lucca, Kleines, du wirst so schnell Anschluss finden, du hast mir doch erzählt, wie gut du dich mit deiner neuen Kollegin verstehst und ihre Clique wird dir beim Umzug helfen. Mach du mal einen Neuanfang – ich alter Mann komme hier schon klar.“

      „Max,