Paul D. Peters

Der Sturm der Krieger


Скачать книгу

oder standen, waren nur unterschiedlich farbige Schemen zu erkennen, die die Echos ihrer Seelen aus der Dieswelt darstellten. Das Pentagramm leuchtete im gleißenden Weiß. Die Kerzen glitzerten Sternen gleich und schwebten frei in der Luft. Von der Kammer selbst waren nur noch die Umrisse grob zu erkennen. Die Umgebung blieb dunkel, aber von der Decke herab schienen immer stärker Lichtgarben und Reflektionen, wie sie in ähnlicher Weise unterhalb der Wasseroberfläche auftraten. Keinerlei Geräusche waren zu hören, bis auf ein leises Trommeln und das Wiederhallen von Zauberformeln.

      Die Matrone und der Werwolf waren mit ihren Seelen in die Geisterwelt hinüber geglitten. Dies hätten sie auch ohne ein Ritual und damit wesentlich schneller vermocht, aber hier ging es um etwas anderes und zudem war es sehr wichtig, dass ihre Körper noch in der stofflichen Welt verweilten.

      Ein glasklares, sanftes Klingen ertönte und hinter dem schemenhaften Eingang zur Kammer bewegte sich etwas. Die Erzmatrone, die inzwischen die Augen geöffnet hatte und deren Blick mit purem Weiß erstrahlte, hatte es gerufen und so zeigte es sich nun also. Vorerst aber blieb es etwas vorsichtig, musterte die beiden sterblichen Kreaturen, wagte sich nicht näher heran. Es spürte die sehr große Macht der Menschenfrau, wusste aber zugleich, dass es eigentlich wegen dem Wandler zu erscheinen hatte.

      Ohne den Mund zu öffnen hallte die Stimme Gava Medunas durch den Raum: „Die Erzmatrone mit der Macht der Allmutter hat dich beschworen. Komm, komm herbei, oh Geist der Wacht, komm und tritt an mich heran.“

      Eigentlich verstanden Geister die menschliche Sprache nicht, denn allein mit Gefühlen und Gedankenbildern konnte mit ihnen kommuniziert werden, aber einfache Worte und Sätze vermochten diese zu bestärken. Noch mächtiger waren natürlich gesprochene Zauber oder geheime Namen, um sie zu rufen, zu binden und ihre Macht zu nutzen, doch gerade die Matronen zogen es sooft es ging vor, zunächst das Vertrauen eines spirituellen Wesens zu gewinnen um erst dann einen gewissen Dienst zu erbitten. Und so kundig die Matronen im Umgang mit der Geisterwelt auch sein mochten und so stark ihre metaphysische Verbindung allein durch ihre Berufung bereits war, manchmal erschien trotz bester Vorbereitung das falsche Wesen aus dem Weltschatten. Mit Glück war es harmlos, mit Unglück konnte es aber sogar ein Dämon sein. Zu jener Stunde verlief aber alles bisher so wie gewollt und wie erhofft.

      Schließlich trat es tatsächlich mit einem schlurfenden Geräusch herein, das groteske Geschöpf. Es glich in erster Linie einem riesigen Igel, dessen Stacheln über dem ganzen Leib jedoch wie sichelförmige Dornen waren. Sein Kopf konnte als halb menschlich bezeichnet werden, auch wenn gerade die Augen in ihrer Größe und ihrem Glanz gänzlich unmenschlich waren. Anstatt Pfoten hatte es Füße wie die einer Echse und es zog einen geschuppten Schwanz hinter sich her. Mit glühendem Rot zeigten sich die Stacheln, während alle anderen Gliedmaßen von einer eher bläulichen Farbe waren. Obwohl die Erscheinung durchaus ein wenig furchterregend wirkte, so war der Ausdruck im Blick gänzlich von Sanftmut und Neugier geprägt.

      Als Skuli Grineog bezeichneten die Matronen diesen Schutzgeist, der in ähnlicher Gestalt mehrfach an besonderen Ort im Weltschatten zu finden war. Zu dieser Stunde aber hatte die Gava ihn direkt zu sich gerufen um ihn an Warug für eine gewisse Zeit zu binden. Da der Tempel als Ganzes eine fokussierende Stätte der Macht war, dessen spirituelles Leuchtfeuer weit in die nahen Sphären hinaus reichte, konnten sich Geister hier leichter einfinden und manche besuchten aus gänzlich freien Stücken diesen Ort sogar sehr gerne.

      „Komm, komm herbei, oh Geist der Wacht“, setzte sie nun lauter fort. „Die Erzmatrone der Allmutter braucht dich. Den Mannwolf sollst du beschützen. Er braucht dich. Sein Geist und sein Fleisch müssen von deinem Reich aus bewacht werden, denn Üble und Verderbte wollen ihn gewiss vernichten und mit deiner Hilfe kann die Zerstörung seines Geistes und seines Fleisches abgewendet werdet. Komm, komm herbei oh Skuli Grineog.“

      Der gute Geist befand sich nun genau zwischen dem Werwolf und der Matrone inmitten des Raums. Sein glänzender Blick wanderte hin und her zwischen den beiden. Offenbar war er noch etwas unschlüssig. Die Macht der Menschenfrau war ihm aber wohl bekannt und er wollte gerne von dieser geleitet werden. So fühlte er hinein in die Seele des schwarzen Mannwolfs, um diese zu erkunden und um in seinem wahren Inneren zu prüfen, ob er denn das Geschenk eines Geistes überhaupt verdient hätte.

      Gava Meduna wusste, dass nun eine besonders kritische Phase im Ritual begonnen hatte. Der Geist durfte nämlich gerade jetzt keinesfalls in Angst oder Zorn geraten, denn sonst würde er alles um sich herum attackieren.

      Dann geschah etwas Unerwartetes: Warug streckte die Pranke aus und bot sie dem Skuli Grineog an. Eigentlich hätte er sich nicht bewegen dürfen, aber Meduna bemerkte auch am Rande ihres fokussierten Bewusstseins, dass dieser es eigentlich unbeabsichtigt und nicht aus sich heraus tat. Zum ersten Mal spürte die Erzmatrone bei dem Auserwählten ganz deutlich, dass dieser weit mehr als die Seele eines sterblichen Erwachten mit sich trug. Da glühte etwas auf in seiner schwarzen Klauenhand, aber sie konnte es nicht erkennen.

      Der Geist des Skuli Grineog hob den Kopf an und gab einen gänzlich seltsamen Laut von sich, der nicht mit nichts zu vergleichen war. Der ganze Raum wurde davon erfüllt und übertönte Trommeln und Wort von drüben. Gava Meduna hatte den Laut in ähnlicher Weise schon öfter gehört: es stimmte zu.

      Der Geist kroch zuerst weiter auf den großen Werwolf zu, der seine Pranke wieder im Schoß ruhen hatte. Dann löste sich das Skuli Grineog langsam auf und wie flüssig gewordenes Licht glitt es über Warugs Leib hinweg und mit einem letzten Glühen war klar, dass sich das herbei gerufene Wesen an ihn gebunden hatte. Von nun an würde es ihn vor allen Übeln aus der Geisterwelt zu beschützen versuchen.

      „Blau und Rot war dieser Geist?“, fragte Deva Sanara mit kauendem Mund und einer leicht bemühten Neugier.

      Warug Gottschlächter, der ihr gegenüber am niedrigen Tisch am Boden saß, nickte. Der vorerst letzte große Bissen galt dem Fleischstück auf dem Teller, das er sich mit der Hand in den Rachen warf. Das gekochte Wild mundete ihm wahrlich sehr. Er genoss diese größere Mahlzeit ausgesprochen, vor allem weil sie für ihn die erste in dieser reichlichen und bestens zubereiteten Art seit sehr langer Zeit war. Zu dritt saßen sie an diesem Abend in einer der gut beheizten Langhütten, die zu den Behausungen der Matronen hinter dem Tempel gehörte, zusammen. Brander Flammenkrieger war mit Bruder und Schwester zugegen. Er hatte keinen Hunger mehr und schwieg wieder einmal.

      „Du glaubst ja nicht“, setzte Sanara fort „dass dies ein Zufall war?“

      „Warum?“, frage der Werwolf nach.

      Sanara verdrehte die Augen. Vor einer Antwort hatte aber jedenfalls der Hühnerknochen Vorrang. Dies bekundete sie mit einem deutlich hörbaren Schmatzen. Manchmal war er ausgesprochen schwerfällig bei geistigen Prozessen und beim Ziehen offensichtlicher Schlussfolgerungen, so dachte sie.

      Sie blinzelte ihn auffällig an, aber es schien nichts zu nützen. Dafür verzog er die Miene etwas verärgert. Sanara zeigte mit ihrerm Daumen auf ihr linkes Auge. Wieder begriff er nicht sofort, aber dann nickte er, als es ihm endlich aufging.

      Er brummte: „Hat wohl schon vorher die Farben meiner Augen angenommen. Und wieder dieses Rot.“

      Die Matrone sellte fest: „Das muss eine höhere Bedeutung haben, ganz bestimmt.“

      „...oder vielleicht ist es einfach nur beschissen verheilt und der Geist hatte seinen blauroten Tag“, murmelte Warug in seinen Bart hinein.

      Die kleine Verhöhnung ignorierte Sanara ausnahmsweise.

      „Der Rabe hat dir ein rotes Auge geschenkt“, meinte Brander. „Der Rabe als Bote des Allvaters hat in besonderer Weise gewirkt und sogar die Geister reagieren darauf.“

      Die junge Matrone nickte. Wenn er mehr aus sich herausginge, dann würde er ganz gewiss sympathischer auf sie wirken, so befand die Deva gerade. Nicht zuletzt hatten er eine ähnliche Haarfarbe wie sie selbst und das gefiel ihr neben anderen Vorzügen seiner Erscheinung durchaus.

      Der Geächtete von Einst hatte dieses Mal die üblichen Floskeln etwas satt und meinte bloß: „Jaja, die Boten des Allvaters... Heilig sind ihre Zeichen, die zunächst nur selten Klarheit bringen und uns in Unkenntnis grübeln lassen.“