Paul D. Peters

Der Sturm der Krieger


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auf Warug, auf sein rot gewordenes Auge.

      „Wer schenkte euch dies?“

      „Ein Rabe stach in mein Auge, als ich gekreuzigt war. Ein Rabe, den ich zuerst im Traum sah und der dann auf meiner Schulter erschien. Ich dachte zunächst, dass er es mir auspicken würde, aber ich wurde bloß wieder bewusstlos. Ich weiß nicht, was... das zu bedeuten hatte.“

      Sanaras Miene und Haltung veränderten sich, denn sie musste sogleich an einen anderen Raben denken und wem sie zu Nos Saman begegnet war.

      Die Deva zitierte: „Der Allvater zeigt sich mit schwarzer Schwinge. Die Boten aus dem Traum Erennos' sind die Raben. Gewahrt ihrer Zeichen!“

      Gava Meduna nickte zustimmend. Brander schüttelte kurz den Kopf, dann starrte er längere Zeit den Gottschlächter einfach nur an. Für eine Weile sah es so aus, als wolle er eine drängende Frage stellen, aber schließlich verharrte er bloß schweigend.

      Der Sohn des Sigthun folgerte weiter: „Wisst ihr beiden nun, werte Deva und tapferer Bruder, weshalb ihr hier seid und dieses Unterredung gemeinsam mit uns führt? Ihr wurdet dem Auserwählten zur Seite gestellt, nicht nur um ihn zu beschützen, sondern auch um Zeugnis von seinem Wirken abzulegen. Er selbst kennt sein Schicksal noch nicht. Auch wir nicht. Allein die Götter entscheiden. Und der Tod eines Gottes durch seine Hand ist gewiss erst der Anfang.“

      „Grausam mögen die Allerhöchsten manchmal sein“, begann die Erzmatrone. „Aber ihr Wille geschehe. Und um den Einen Feind aufzuhalten und die Schöpfung der Mutter zu retten, muss ein jeder Preis, koste dieser auch noch so viel, bezahlt werden.“

      Unvermittelt platzte Brander hervor: „Aber... Aber wenn er der Auserwählte ist, dann war die Enthauptung Goronds durch seine Hand doch ein Akt der höchsten Götter? Weshalb vernichtet Arda was sie geschaffen hat und warum lässt Erennos es zu?“

      Der junge Werwolf blickte fragend in die Augen aller, doch niemand schien ihm zunächst eine Antwort geben zu können.

      Die Erzmatrone begann langsam: „Krieger des Allvaters, ich verstehe weshalb du diese Frage stellst. Sie mag so offensichtlich dar liegen, bezogen ebenso auf so vieles in der Welt und im Geschehen der Dinge. Weshalb müssen Unschuldige sterben? Weshalb zerfleischt sich die Menschheit im Schlachten sinnloser Kriege und geht verblendet gegen uns, ihre Hüter und Vermittler des Alten Glaubens vor? Weshalb zerstören die Erloschenen mit ihrer Zivilisation jene eine und einzige Welt, mit der sie eigentlich im Einklang leben sollte? Warum gibt es selbst in unseren Reihen sinnlose Zwiste? Die Hinnahme all dessen, was wir nicht verstehen und das uns schmerzen mag am Entscheid der Schöpferin und dem Zulassen des Herrn, gehört zum tieferen Mysterium unseres Glaubens. Und vergesst nicht, dass der Eine Feind gegen die Götter wirkt und alles Sterbliche damit der Verderbnis jederzeit anheim fallen kann. Am Ende werden wir aber alle verstehen. Habt das Vertrauen darauf.“

      Brander Flammenkrieger schien die Antwort nicht zu genügen, denn er schüttelte bloß den Kopf. Schließlich aber wandte er sich Warug zu.

      „Wenn du es wirklich und wahrhaftig bist, dann folge ich dir bis zum Untergang und akzeptiere jedes Wort von dir, verteidige jede deiner Taten, selbst wenn ich sie zunächst für falsch hielte und ich nichts zu begreifen vermag. So hast du also Gorond getötet, nicht in Verderbnis, aber für das Licht. Diese Wahrheit glaubte ich bereits zuvor und will sie nun laut verkünden.“

      Ein langes Schweigen folgte im Raum. Der Geächtete von Einst konnte dem Blick seines jungen Bruders nicht lange standhalten. Etwas beunruhigte ihn zudem am Tonfall seiner Worte.

      Sanara wollte noch mehr wissen: „Er ist der Erste, der offenbart wurde, für uns, in diesem Kreis. Doch wie viele noch, meine Herrin? Sollen es nicht noch andere sein, von den anderen Klans?“

      „Wie viele genau vermag ich nicht zu sagen, doch eines ist gewiss: einer wird von Verderbnis sein. Einer wird aus dem Abgrund kommen, denn nicht nur Allmutter und Allvater werden die Ihren entsenden, sondern auch der Eine Feinde den Seinen. Vielleicht hat er diese Welt schon berührt, vielleicht aber wird er erst kurz vor der Dritten Niederkunft kommen.“

      Warug fragte dann: „Wann werden sich die anderen Auserwählten zeigen?“

      „Noch ehe es zur Letzten Schlacht kommt, werden alle offenbar sein, da wir aber nicht wissen, wann es soweit sein wird, können sich die anderen bereits nach einigen Monden oder erst in einigen Jahren zeigen.“ Die Gava verkündete aber noch mehr. „So wie die Zweite Niederkunft im Süden geschah, so wird die Dritte im Norden der Welt sein. Hier also das Schlachtfeld, auf dem sich die gewaltigen Heere treffen werden und mit ihnen die Auserwählten, die das Schicksal der Schöpfung bestimmen werden. Die letzte Entscheidung gebührt allein dem ganz am Ende Überlebenden, welcher vielleicht sogar der hier, der Erste Auserwählte, sein kann. Aber falls das Wilde Heer endet und das Licht verschwindet, dann wird der Letzte von Verderbnis sein und der Weltendrache obsiegt. Doch die Hoffnung ist vielfach, die Verzweiflung nur einmal.“

      Alles schwieg. So klar und deutlich war die Prophezeiung gegenüber den Anwesenden noch nie ausgesprochen worden.

      Dann überraschte die Erzmatrone alle anderen mit einem Lächeln. Zunächst konnte keiner sich einen Reim davon machen, allein Velric glaubte den Grund zu kennen, denn ihm war bereits etwas zu Ohren gekommen am Hofe des Bären im fernen Korgard.

      Sanara musste natürlich zuerst fragen und vor lauter Aufregung nach all diesen Worten vergaß sie sogar die rechte Anrede.

      Meduna... Was kann euch denn gerade jetzt so glücklich stimmen?“

      „Ach, mein Kind... Es wird etwas geschehen. Ein großes Wunder. Seit Wochen treffe ich auf allen Ebenen die Vorbereitungen dafür, seit Wochen bin ich in Unterredung mit meinen Schwestern aus allen Himmelsrichtungen und Toruskorr beehrte uns ebenso aus diesem heiligen Grund heraus.“

      Das Grinsen der Gava wurde tatsächlich noch etwas breiter. Die Köpfe der anderen neigten sich noch weiter nach vorne. Selbst Warug blieb der Mund offen stehen, aber langsam dämmerte es ihm ebenso. Vor den Wilden Göttern müsse er aufrecht stehen können, damit er so sein Urteil erfahre und gewiss noch mehr von seinem weiteren Schicksal verkündet werden würde.

      Velric Sigthunson Eisheuler entkam schließlich der Halbsatz: „Zuletzt geschah es vor zweihundert Jahren, als in der Zeit der...“

      „...als in der Zeit der Brennenden Hetze der Rückzug in die tiefen Reviere und das Verhüllen vor den Augen der Menschen beschlossen worden war.“ Gava Medunas Stimme bebte ein wenig vor Aufregung und hoffnungsfroh blickte sie auf jeden einzelnen Anwesenden. „Es wird nun wieder geschehen, denn es gilt nicht nur um einen Gott zu trauern, nicht nur den Gottschlächter an den Pranger zu stellen und zugleich ihn als den Ersten Auserwählten zu verkünden, sondern auch den Krieg zu beschließen. Nicht länger sollen wir uns verstecken müssen, nicht länger werden wir uns zurückhalten. Alle werden kommen und alle werden wir sehen. Die Teilhabe daran ist für jeden Erwachten ein Segen und nur wenigen Angehörigen der Klans und der Zirkel war es in allen Zeitaltern bisher vergönnt gewesen. In neun Tagen geschieht es wieder: ein Allthing der Wilden Götter.“

      Kapitel 5: DER TOTE NAME UND DAS HEULEN DES HAINS

      Die Nadel bohrte sich in den Rücken Warugs. Auf dem Bauch lag er in einer Kammer unter dem Tempel von Sonne und Wolf. Kalt war der steinerne Altar, auf dem er reglos zu verweilen hatte. Eine Matrone war über ihn gebeugt. Sie stach und ritzte mit einer silbernen Nadel in die Haut des Werwolfs, währenddessen gleichzeitig eine andere Matrone mit den Fingern ein farbiges Gemengsel aus Wasser, Asche und einem besonderen Karmesinrot aus einem Gefäß heraus in das äußere Fleisch des minimal penetrierten Leibes einrieb. Die beiden kundigen Tätowiererinnen der Schwesternschaft murmelten in rhythmischen Abständen immer wieder Worte des Gebets und Formeln besonderer Zauber.

      Das Ritual dauerte nun schon eine ganze Weile an, doch natürlich ließ es Warug geduldig und gänzlich schweigsam über sich ergehen. Sanara stand etwas abseits mit einer Weihrauchschale in den Händen und beobachtete nicht ohne Faszination, wie ihre beiden Schwestern dabei vorgingen. Ihre Rolle in der Zeremonie war zwar