Paul D. Peters

Der Sturm der Krieger


Скачать книгу

begann sie: „Es... Es tut mir leid... Wolf, ich... ich glaube daran. Ich glaube wirklich daran, dass es, dass alles irgendwann gut sein wird, wahrhaftig gut. Das Ende kann kein Schreckliches sein. Niemals. Und wenn alles dunkel ist, dann ist es nicht das Ende.“

      Sie ließ kurz ab von ihm, dann umfasste sie mit beiden Händen seinen Kopf und sah ihm tief in die wässrig glänzenden Augen. Er konnte sich nicht abwenden, selbst als ein erster Impuls es wollte.

      Ihre Daumen strichen über seine Schläfen, als sie dann sagte: „Bitte, wenn du auch sonst nichts glaubst, dann glaube wenigstens an meine Worte.“

      Warug erinnerte sich. Genau dies hatte sie zu ihm gesprochen, ehe er zur Dämmerwanderung und damit zum letzten Marsch mit seinem Gott und Vater aufgebrochen war.

      „A... Dan... Danke“, waren das Einzige, was er mit wegbrechender Stimme hervorbrachte.

      Erst jetzt umarmte er sie. Fester noch drückte er sie an sich. Er wusste ganz genau, dass er sie so bald nicht mehr in seinen Armen haben würde, wenn denn jemals wieder.

      So erfüllte sich in jenem Moment ihr beider Wunsch von einst.

      Kapitel 4: IM TEMPEL VON SONNE UND WOLF

      Der Wind brauste laut und die Schneeflocken wirbelten unruhig über den Heiligen Hain hinweg. Die blattlosen Kronen der Laubbäume neigten sich mit den Nadelbäumen im Rhythmus des stärker werdenden Sturms, welcher mit beständigem Rauschen die Luft erfüllte. Kein Blau fand sich am Himmel, nur Grauweiß. Der Wald der Welt war erfasst von der Unruhe eines immer tieferen Winters.

      Allein stand der Geächtete von Einst mitten auf der Hainstatt. Er hatte zu warten. Etwas enger zog er den Fellmantel um seinen Leib. Noch reagierte er auf Kälte überraschend empfindlich, denn offenbar hatte die Heilung seine Widerstandskraft noch nicht gänzlich hergestellt. Selbst der gefrorene Atem aus Mund und Nasenlöchern fühlte sich unangenehm und stechend an. Immer wieder strich er sich das Haar aus dem Gesicht, bis er irgendwann aufgab und sich nicht mehr daran störte, dass das momentane Wetter immer siegreich über seine Frisur bleiben würde. Sein Blick ruhte meist auf dem Boden; gelegentlich sah er hoch in das unveränderte, gleichförmige Firmament oder betrachtete die mit Schnee bedeckten Megalithen rund um ihn herum. In pulvrigen Wehen zog der Wind das Weiß von deren Spitzen mit sich. Allein der graue Opferstein am Rande des Kreises war kaum berührt von der Witterung, denn offensichtlich trat eine magische Aura der Kälte mit Verweigerung entgegen. Gelegentlich zeigten sich im Gestöber blasse Gestalten von Werwölfen, Blutfolgern und Matronen. Hinter Warug ragte der Tempel von Sonne und Wolf empor. Von dort sollte bald Kunde für ihn kommen.

      Fast gänzlich war er nun gesundet. Alle Finger und Zehen waren ihm nachgewachsen, alle Wunden mit deutlichen Narben verheilt. Seine Zunge hatte er wieder, doch seine Stimme war etwas dunkler und rauer geworden. Einen Verband trug Warug noch um den Bauch, denn die eine oder andere Klaue war ihm zu tief in die Eingeweide gerammt worden. Keinen brauchte er mehr für seine Augen. Die rote Iris, die manchmal etwas unruhig zu glitzern schien, war ihm geblieben und mochte ein vorerst rätselhaftes Mal sein. Nach dem, was er alles durchgemacht hatte, war es fast ein Wunder, dass er sonst keinen bleibenden Schaden in körperlicher oder geistiger Hinsicht hatte.

      Vor drei Tagen hatten ihn die oberste Heilerin Aedeina Melithandra aus der Kammer der Heilung entlassen. Zugleich hatte Gava Meduna das Gebot der Unberührbarkeit für ihn ausgerufen. Niemand durfte ihn auch nur anfassen, ebenso wenig ansprechen, geschweige denn attackieren oder seinen Namen heulen. Doch gab es kaum Klage, Protest oder gar Übergriffe, denn bereits seit einer Weile war der Klan Wolf nicht mehr von Trauer, Aufruhr oder Wahn geprägt, sondern von einer beinahe allumfassenden Apathie. Was geschehen war, wurde nun einfach hingenommen. Wie es nun weiter gehen sollte, war vielen egal geworden. Ob diese melancholische Gleichgültigkeit nun gut oder schlecht für die Werwölfe sei, konnte vorerst niemand so genau sagen. Für Warug bedeutete dies in erster Linie, dass man ihn in Ruhe ließ, fast gänzlich ignorierte. Im Grunde war er also wieder ein Ausgestoßener inmitten der Seinen.

      Zum Zeichen für alle und tatsächlich ebenso als Schutz für ihn, waren ihm ein Werwolf und eine Matrone zur Seite gestellt worden. Es hatte tatsächlich einen Freiwilligen gegeben: Brander Flammenkrieger. Der junge Bruder, der den Gottschlächter als Befreier vom gefallenen Vater bezeichnet hatte, wich nicht mehr von ihm. Schweigsam blieb er aber, antwortete nur selten auf Fragen und ging ohnehin nicht darauf ein, warum er und die anderen am Baum der Anklage so aufgetreten waren.

      Die Matrone sollte tatsächlich wieder Deva Sanara sein. Weder Warug noch sie selbst hatten die Entscheidung der Erzmatrone verstanden, aber es mochte auch daran liegen, dass Sanara praktisch als einzige mehr mit bekundeter Überraschung, als mit lautem Protest auf die Wahl reagiert hatte. Offenbar war der Gottschlächter im Zirkel der Matronen verhasster, als die oberste Priesterin zunächst angenommen hatte.

      So saß Deva Sanara an der Seite eines Megalithen im Schnee und blickte im Moment etwas genervt vor sich hin. Ihren Stab hatte sie an den großen, mit Runen verzierten Stein angelehnt. Die Kapuze ihres Mantels trug sie tief ins Gesicht gezogen. Mit etwas kalten Fingern malte sie schlecht gezeichnete Tiere in das Weiß zu ihren Füßen. Natürlich würde sie ihre Pflicht erfüllen, aber mehr auch nicht.

      Aus Brander wurde Sanara nicht wirklich schlau und sie hatte es bisher nicht geschafft, ihn mehr als ein paar Floskeln zu entlocken. Hin und wieder rief sie sich ins Gedächtnis, dass sie ja verstand, dass gerade dieser ein besonders großes Trauma erlebt hatte und sie mehr Empathie zeigen müsste, aber irgendwo hatte sie es einfach satt, sich ständig das Schreckliche der Vergangenheit gegenwärtig machen zu müssen. Dass sie mit ihrem einstigen Schicksalsbegleiter sogar noch weniger Worte wechselte, verstand sich von selbst. Warug mochte noch etwas brauchen, ehe er wirklich über sie hinweg war, während Sanara mit ihren Gefühlen, die ja nie so stark ausgeprägt gewesen waren, fast gänzlich abgeschlossen hatte.

      Der Sturm ließ etwas nach. Der Thingplatz zeigte sich nun etwas klarer. Die Matrone blickte zum jungen Klansbruder, dem wie allen Werwölfen Kälte kaum etwas ausmachte und der demnach keinen Mantel brauchte, hinüber. Eine schwarze Lederhose genügte ihm demnach. Sonst trug er nur ein Amulett und ein Armband. Das rotblonde, im Ansatz lockige Haar hatte er zu einem langen Zopf zusammengebunden. Seine Erscheinung mit kurzem Bart und den blauen Augen gefiel ihr durchaus. Außerdem hatte er eine äußerst kunstvolle Tätowierung auf dem muskulösen Rücken, das ein hoch loderndes Feuer darstellte. Bloß etwas zu jung und vor allem viel zu zugeknöpft war er für sie.

      Zuvor noch war er in der Umgebung und im Grau herumgeschlichen, jetzt aber lehnte er mit verschränkten Armen an einem der Megalithen. Er wurde auf sie aufmerksam. Die übliche stoische Miene. Etwas neckisch neigte Sanara den Kopf zur Seite und starrte ihn so lange fragend an, bis er sich mit einem Murren ab wand. Auch dieses Blickduell hatte sie also wieder gewonnen. Da sie sich an jeden ihrer kleinen Triumphe erinnern konnte, malte sie die Zahl in den Schnee. Ein blödes Spiel, befand sie, aber da die Stimmung aller Tage ohnehin von nur sehr wenig Aufhellendem geprägt war, erlaubte sie sich gelegentlich wenigstens diesen kleinen, dummen Spaß. Sie seufzte und befand sich gerade selbst als nicht allzu nett.

      Die drei Erwachten mussten weiter warten. Der Geächtete von Einst stakste unruhig hin und her, blickte immer wieder hinüber zum Tempel von Sonne und Wolf. Ungewöhnlich deutlich zeigten sich die bunten Verzierungen auf dem beeindruckenden Holzgebäude. Das Strohdach war von einer hohen Schneedecke bedeckt, nicht jedoch die immergrüne Esche, deren Krone weit herausragte und mit dem Wind ein wenig tanzte. An jedem Giebel, jedem Balken und jedem Vorsprung hingen Eiszapfen herunter. Durch diesen Umstand der Witterung hatte der große Wolfsschädel über dem Haupteingang scheinbar noch zusätzliche Zähne erhalten. Nur das goldene Sonnensymbol an der höchsten Stelle des heiligen Bauwerks schien gänzlich unberührt von Wind und Kälte. Gerade jetzt funkelte es wieder im unsichtbaren Licht eines noch höheren Gestirns.

      Eine ältere Matrone trat nur kurz und ohne Worte aus dem Tempel heraus. Allein mit einer Geste ihres Stabes bedeutete sie den Dreien hinein zu kommen und ließ das Portal einen kleinen Spalt offen.

      Deva Sanara sprang augenblicklich auf und etwas ignorant gegenüber