Paul D. Peters

Der Sturm der Krieger


Скачать книгу

wurde, doch für einen Moment hielten sie noch inne, seine Brüder.

      Dann war Sanaras Gesicht direkt über dem Seinen. Tatsächlich spürte er sogar Strähnen ihres Haars auf seinen Wangen. So sehr wünschte er sich genau jetzt, dass sich ihre Blicke begegnen konnten, aber sein verbliebenes Auge wollte sich einfach nicht öffnen, egal wie sehr er sich auch anstrengte. Er hoffte so sehr, dass sie ihm nun ein gutes Wort ins Ohr flüstern würde, aber sie tat es nicht. Da spürte er ihren Daumen, der mit einem Gemengsel aus Blut und Erde eine Symbol auf seine Stirn malte: eine Rune der Genesung.

      Und dann tat sie noch etwas, das er nicht erwartet hatte: Sanara streichelte ihn mit sanfter Geste am Kopf. Er glaubte ihren traurigen Blick dabei zu spüren. Er glaubte ein überraschtes Schnauben einer alten Matrone zu hören und vielleicht das Knurren eines Bruders. Mit mehr als einer Erinnerung an die Barmherzigkeit seiner Begleiterin von Einst und mit diesem Moment des dankbaren Glücks schlief er ein und Warug Gottschlächter sollte so bald nicht mehr erwachen.

      Kapitel 3: HEILUNG IN DUNKELHEIT

      „Es war nicht Gorond, der nach euch geschickt hat“, hörte Warug die Erzmatrone sagen. „Ich war es.“

      Der Werwolf reagierte vorerst fast geschockt und ungläubig. Aber außer, dass er den Kopf in die Richtung ihrer Stimme drehen konnte und ihm ein kurzes Aufstöhnen entkam, vermochte er nicht viel mehr an Reaktion auf diese Offenbarung Gava Medunas.

      Es war nun fast eine Woche her, dass der Gottschlächter vom Baum der Anklage herab genommen worden war um sodann in einen eigens vorbereiteten Raum unter dem Tempel von Sonne und Mond gebettet zu werden. Dämmriges Licht durch Geisterfeuer und vereinzelte Kerzen. Mit Kreide aufgemalte Runen und Symbole an allen Wänden, an der Decke und am Boden. Amulette in verschiedensten Formen und Größen hingen von oben herab. Manchmal stießen sie aneinander und die Kristalle ertönten kurz mit sanftem Klingen. Warug lag auf einem großen Bett inmitten, von dicken Fellen eingehüllt. Dies war die Kammer der Heilung, in der nur jene ruhten, die besonders schwere und extreme Verletzungen hatten und die viele Wochen oder gar Monate hier verharren mussten um so gut wie irgend möglich zu gesunden.

      Tatsächlich heilte er gut. Und es gab sogar Hoffnung darauf, dass er vielleicht sogar wieder sprechen, in jedem Fall aber wieder mit beiden Augen sehen können würde. Täglich vollführten die Matronen mehrstündige Rituale, die jede noch so geringe, aber natürlich in erster Linie die besonders schweren Verletzungen genesen sollten. Bald würde er wieder über die volle Regenerationskraft und Stärke eines Werkriegers verfügen. Neben besonderen Zaubern und vielen aufgemalten Runen auf seiner Haut war es aber nicht zuletzt das wohl erlernte und gewissenhaft ausgeführte Handwerk der Heilkunst, welches mit Wasser und Feuer, sowie einer Vielzahl von Kräutern, Tränken, Verbänden und ebenso Nadel und Faden ihre Wirkung tat.

      Die Erzmatrone war die Erste, die überhaupt länger mit ihm sprach. Allen Werwölfen oder gar irgendwelchen einfachen Sterblichen war der Zugang in diese Kammer ohnehin verboten worden. Lediglich die oberste Heilerin Adeina Melithandra hatte ihn nach Verletzungen gefragt und mit Worten überprüft, ob er überhaupt noch bei Verstand gewesen sei. Sein Geist hatte sehr viel durchlitten, aber kein Wahn hatte ihn befallen. Tatsächlich war er gerade jetzt bei klarstem Verstand. Warug sah sie aber nicht, da abgesehen vom Großteil seines Körpers auch die Augen verbunden waren.

      „Ich weiß ihr versteht mich gut“, setzte Gava Meduna nach einer ganzen Weile fort. „Und ihr werdet als Stummer ein guter Zuhörer sein. Beste Dienste der Gesundung leisten meine Schwestern an euch. Wieder müsst ihr uns dankbar sein.“

      Sie saß ihm nur halb zugewandt auf einem kleinen Schemel. Die Ermatrone trug ihr silbrig-weißes Haar offen und hatte sich in ein Wollkleid von grüner Farbe gehüllt. Ihren Stab oder sonstige Insignien von Macht brauchte sie gerade in dieser Kammer nicht. Sie fühlte sich wohl hier, zu Hause, hier im Tempel, von dem sie jeden Winkel kannte. Die alte Frau rieb ihre mit Runen verzierten Hände aneinander. Ihr war gerade doch ein wenig kalt, auch wenn die magische Wärme den Raum erfüllte. Mit einer einzigen Geste ließ sie ein kleines Geisterfeuer heller und stärker werden.

      So sprach die Erzmatrone des Zirkels weiter: „Hört nun weiter alle Wahrheit, die euch zu dieser Stunde gebührt, Gottschlächter.“

      Sie drehte kurz den Kopf zu ihm. Er schien zu nicken, was ihr als Reaktion genügte. Ihr entkam ein halb unterdrücktes Seufzen. Wie sehr sie sich doch schon um diesen da in verschiedenster Weise bemüht hatte, so dachte sie. Er muss es einfach wert sein, so hoffte sie.

      „Der Große Vater Wolf war schon länger nicht mehr zu klaren Entscheidungen fähig gewesen. Und die Allmutter sprach nicht mehr zu ihm. Vielleicht hatte sie es noch getan, aber Gorond hatte sie vielleicht nicht mehr verstehen können oder gar mit früher Verderbnis nicht mehr verstehen wollen. So blieb allein noch ich, die ihr heiliges Gebot im Zirkel des Waldes der Welt und als höchste Matrone im Revier des Klans Wolf zu empfangen vermochte. Es war im Traum gewesen, natürlich. Und so rief ich dann im Namen Goronds nach euch aus, denn der Klan und der Zirkel sollten nicht wissen, dass er nicht mehr im Sinne der Allerhöchsten wirken konnte. Und so wusste auch niemand außer ich, dass ihr einer der Auserwählten sein werdet und der Pfad eures Schicksals noch vor diesem Winter in eurer Heimat beginnen musste.“

      Wieder schwieg sie eine Weile. Sie wollte ihm Zeit geben zu begreifen und zu verinnerlichen. Zugleich fühlte sie eine gewisse Reue, denn im Grunde hatte sie für eine ganze Zeit Brüder und Schwester belogen, bloß damit keiner am göttlichen Willen des Großen Vaters Wolf zweifeln würde. Manche hatten es aber dennoch getan und die größten Frevler wollten ihn gar viel eher aufgrund seiner Schwäche vernichtet sehen. Der Gebettete zitterte ein wenig, dann nickte er knapp.

      Gava Meduna wollte gerade ihre Rede fortsetzen, doch eine kleine Erscheinung ließ sie kurz inne halten. Hinter einem Podest kroch eine weiße Schlange hervor. Ein Natterngeist. Die Schuppen glänzten in Reinheit und Wärme. Gelegentlich tanzten andersfarbige Reflektionen über sie hinweg. Manchmal, wenn viele Zauber der Heilung hier unter dem Tempel gewirkt worden waren, erschienen jene guten Wesenheiten zufällig in der Dieswelt, denn dünner war hier der Schleier zum Geisterreich des Weltschattens. Sie verschwand schließlich hinter dem Bett, worauf ganz leise noch kurz ein glasklares Klirren zu hören war.

      Ohne die Erscheinung zu erwähnen setzte Gava Meduna mit etwas leiserer Stimme fort: „Meine beste Schwester, Sanara, habe ich nach euch entsandt, denn nur jene, so ließ es mich die Allmutter vernehmen, die mir als die Würdigste für eine solche Aufgabe erschien, durfte die Begleiterin für eure Rückkehr sein. Doch selbst als ich von der von euch so geliebten Frau hörte, was euch alles widerfahren war und was ihr alles auf eurer Reise gesehen habt, wollte ich es noch nicht ganz wahr haben. Die Offenbarung eines Allsagenden Haupts der Katzen kann nur einem Auserwählten passieren. Nur ein Schwarzer Drache, der gerade aus einem Berg erwacht ist, kann sofort einen Auserwählten erspähen um sogleich alles daran zu setzen, dass dieser durch sein teuflisches Feuer vernichtet werde. Und nur ein Auserwählter vermag in ein Reich von Morgen nach dem Untergang einzukehren und von dort lebendig wieder zurückzukommen. Oh, aber ich wollte es nicht glauben, Gottschlächter, ich wollte nicht glauben, dass es ein Geächteter sein soll, einer wie ihr, der solch große Sünde begangen hatte, schwach und dumm gehandelt hatte. Ich wollte es nicht einmal glauben, als die Wahl der Neun geschah und die Knochen euch als Auserwählten nannten. Ich glaubte es erst, als ihr euren Gottvater enthauptet hattet, da glaubte ich es endlich.“

      Warug keuchte kurz auf. Dies war tatsächlich gerade etwas zu viel für ihn. Er glaubte es ja selber nicht, noch immer nicht, wie konnte er auch? Sie sprach nur die Wahrheit, aber was sollte gerade ihn dazu befähigen oder dazu berufen, die Letzte Schlacht gegen den Einen Feind zu entscheiden um die Menschheit und die Welt zu erretten? Er war nur ein Werkrieger unter so vielen, er war ganz gewiss keiner der Besten unter den Seinen und all sein Handeln hatte doch bisher nur Übel und Untergang über seinen Klan gebracht. Selbst wenn er seinen zum Dämon gewordenen Vater unbedingt töten hatte müssen, so war sein Verfall ja nur deshalb soweit fortgeschritten gewesen, weil Warug so viele Jahre zuvor darin versagt hatte, den ersten Erwählten Empfänger lebendig in das Revier der Wölfe zu bringen. Und jetzt doch er? Der Gottschlächter als einer der