Paul D. Peters

Der Sturm der Krieger


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Schulter, begegnete mit schwarzem Funkeln seinem Blick. Er krächzte und gebot ihm, die Augen vor sich selbst zu verschließen, aber der Werwolf entschied sich dagegen und wollte weiterhin ohnmächtiger Zeuge bleiben.

      Er drehte sich um und sah ihn, seinen jungen Bruder, den einzigen anderen Überlebenden der Dämmerwanderer: Brander Flammenkrieger hatte wieder und wieder das Gjallarhorn geblasen um den Klan in Kriegsgestalt und durch Geistertore herbei zu rufen. So kalt und laut der Ton des uralten Artefakts. Ungehört war es zuvor gewesen, als der Eine Feind die Sphäre verfinstert hatte und die Wogen verderbter Geister über die Karawane von Gorond und seiner Kinder hergefallen waren. Nun aber traten sie alle durch eine Tausendschaft von flackernden Portalen, bereit für Kampf und Verteidigung, doch sollten sie nicht mehr zur Hilfe eilen können, sondern nur noch den Tod ihres Gottes bezeugen müssen. Dem entsetzten Schweigen folgte heulendes Wehklagen und schließlich zornige Rufe, denn schnell begriffen sie, dass Warug derjenige war, der das Sakrileg begangen und damit den Untergang des Klans besiegelt hatte. Sie stürmten auf den Hügel, tausende Werwölfe in Kriegsgestalt, die sich vor dem Träumer teilten, so als ob sie seine Präsenz unbewusst wahrnahmen, ihn aber gleichzeitig nur ignorieren konnten. Er wollte sich ihnen entgegen stellen, ihnen erklären, was eigentlich geschehen war und dass er so handeln hatte müssen, doch niemand hörte oder sah ihn, wie auch? Wieder bat ihn er Rabe auf seiner Schulter, sich von allem abzuwenden, aber Warug starrte weiter und sein Entsetzten sollte nicht geringer werden.

      Brüllend rissen sie den schwarzen Werwolf auf ihren Armen in die Höhe und so viele wollten sein sofortigen Tod. Über der Menge der Mörder und Frevler, für alle sichtbar und mit heulendem Schimpf bekundet. Es solle ihm genau das angetan werden, was er soeben Gorond angetan hatte und die ersten Pranken rissen bereits an seinem Schädel, doch plötzlich wurden Stimmen dagegen laut, plötzlich schritten einige Rüdelführer ein. Jener heilige Ort im Lichte der Allmutter war schon genug besudelt worden und gerade jener Frevler durfte hier nicht auch noch sein Ende finden. Ein schneller Tod wäre ohnehin viel zu gnädig, denn zumindest Folter an einem Baum der Anklage musste ihm zuvor noch widerfahren. Und letztlich sollte er der Gava und schließlich den anderen Göttern überantwortet werden, denn nur sie könnten so schrecklich wie gerecht über ihn urteilen. Nach Tumult, Widerworten und einer kurzen Auseinandersetzung wurde den Führern Folge geleistet und der noch immer bewusstlose Warug wurde in die irdische Sphäre gebracht. Zurück in den Wald der Welt, zurück in das Revier der nun für immer verdammten und gottlosen Werwölfe.

      Der Träumer kam mit ihnen und viel größer noch wurde sein Schmerz, viel größer noch die Verzweiflung. Brander Flammenkrieger, der lange nicht begreifen sollte, was überhaupt geschehen war, wurde auf der Hainstatt von Klan Wolf bejubelt, während die Leichname der anderen Dämmerwanderer in den Sümpfen der Ahnen bestattet wurden. Unter ihnen der einstige Anführer und Magnor Sigthun Silberklaue, dessen entstellter Körper zuletzt im Morast versank. All dessen wurde Warug in seinem Alptraum Zeuge, der sich wie ein Unbeteiligter inmitten der Ansammlung seiner Brüder wiederfand und so dem Begräbnis beiwohnte. Mehr als einmal schrie er sie alle an, bat um Vergebung, doch kein einziger reagierte auf ihn, wie auch? Der Rabe krächzte immer wieder und wieder auf seiner Schulter, doch er wollte nicht hören.

      Schließlich wurde er Zeuge seiner eigenen Kreuzigung. Auf der Lichtung und im Forst rundherum stand die gewaltige Schar, blickte auf den Baum der Anklage, wo gerade die silbernen Nägel Hände und Füße des entblößten Frevlers geschlagen wurden. Laut und hasserfüllt brüllte die Menge. Immer wieder heulten die Wölfe, während die Matronen mit gesenkten Häuptern schwiegen. Die alte Anführerin des Zirkels stand mit kalter Miene inmitten.

      Der schlafende und doch wache Werwolf mit dem Raben auf der Schulter dachte an seine Gefährtin von Einst, suchte nach ihr und betete zugleich, dass sie nicht zugegen war, denn er hätte es zu jener Stunde nicht ertragen in Sanaras Augen sehen zu müssen. Ehe der Träumer wieder begreifen sollte, dass er bloß ein Träumender war, geschah jener grässliche Moment, als sein gekreuzigtes Ich gänzlich zu Bewusstsein kam und von allem Schmerz überwältigt aufschrie. Vision wurde zur Erinnerung. Alptraum zum Erlebnis. Mit einem Mal stand er nicht mehr als unbeteiligter Außenstehender unter den Seinen, sondern war wieder jener am Baum.

      Brutal erwachte er, schrie noch immer, auch wenn es bloß ein heiseres Krächzen war, denn zu mehr waren Körper und Stimme nicht mehr fähig. Da bemerkte er, dass da noch immer der Rabe auf seiner Schulter hockte und seinen Blick erwiderte.

      Der Vogel sprach: „Du hättest eben nicht hinsehen sollen.“

      Der dunkle Schnabel fuhr plötzlich direkt nach vorne, hinein in seine linke Augenhöhle. Zuerst ein Stich wie von einer heißen Nadel und dann vollkommene Schwärze.

      „Bei allen Göttern, was hast du nur getan?“, schrie Deva Sanara.

      Fast völlig aufgelöst, mit Zorn im Wort und Trauer in den Augen stand sie da, allein im Schnee, vor dem Baum der Anklage, auf dem derjenige hing, dem sie fast ihre Liebe geschenkt und der dann ihren Gott getötet hatte.

      Er konnte sie kaum hören, konnte sie mit seinem unverletzt gebliebenen Auge kaum sehen und kurz verlor er das Bewusstsein. Nur ein Röcheln und ein in Scham verzerrtes Gesicht blieb ihm als Antwort auf ihre schreckliche Frage. Die Fähigkeit zum Sprechen hatte er inzwischen eingebüßt, denn ein wahnsinnig gewordener Bruder hatte ihm die Zunge heraus gerissen.

      „Ich kann nicht glauben, dass du dazu fähig warst!“ Ihre Stimme überschlug sich. „Dein Vater, unser Gott... Wie, warum? Du bist doch sein Kind und bist ein eingeschworener Krieger des Wilden Heeres! Es kann keine größere Sünde geben, als die deine. Dafür habe ich keinen Geächteten heimgeholt. Dafür habe ich dich nicht gerettet!“

      Der Stab der Matrone glühte, als sie fast unbewusst Magie zu bewirken begann und beinahe einen zerstörerischen Zauber gegen ihn geworfen hätte. Als er dies bemerkte, hatte er den äußersten Wunsch, dass sie und allein sie es zu Ende brachte.

      Sanara starrte lange auf ihn und schließlich konnte sie ihn nicht mehr länger verabscheuen. Sie kannte ihn nach ihrer gemeinsamen Zeit viel zu gut und las schnell in seinem geschundenen Ausdruck. Sie sah sein Flehen. All der Gram überkam sie wie in den Tagen zuvor und beinahe wäre sie auf die Knie gefallen, aber sie stützte sich auf und verweilte bloß mit gesenktem Kopf.

      „Arda, steh mir bei“, flüsterte sie zitternd.

      Sie begann zu schluchzen, wollte schon wieder zurückgehen zum Heiligen Hain, aber dann drehte sie sich doch wieder zu ihm um.

      „Sie nennen dich jetzt den Gottschlächter. Warug Gottschlächter, der größte Frevler in der Geschichte des Klans.“ Immer resignierender wurde ihr Tonfall, während sie ihm aus irgendeinem Grund heraus seine Situation zu erklären begann. „Und doch... Alle, die nicht in Trauer oder gar Wahn versunken sind, sagen manchmal, dass du es tun musstest, weil er zum Dämon geworden war. Ich kann dies fast so wenig glauben, wie deine Tat.“

      Warugs Wahrnehmung und Geist wurde für einen Moment viel klarer und trotz all der Pein hatte er sie gut verstanden. Unbedingt hätte er ihr jetzt antworten wollen, aber aus seinem Mund, der nur noch wie eine blutende Höhle inmitten einer erbleichten Ruine war, kamen bloß wieder Röcheln und Speichel.

      „Viele wollen dich tot sehen, aber sie erlaubt es nicht. Gava Meduna sagt, dass du am Leben bleiben musst. Es war allein ihre Anordnung und alle müssen folgen. Und dabei bin gerade ich es, die ihr gerade jetzt nicht gehorcht.“

      Sie drehte sich um, entfernte sich langsam von ihm. Dann hielt sie inne, blickte über die schneebedeckten Wipfel hinauf in einen viel zu grauen Himmel. Langsam glitten die Flocken hernieder, auf sie, auf den Wald, auf die Bäume der Anklage, wo seit jeher die größten Verbrecher und Verräter gehangen hatten, doch noch nie war es ein Mörder am eigenen Gott als Gekreuzigter gewesen.

      Im Dunkel des Forstes erblickte Sanara Wölfe, die sie lautlos beobachteten und langsam um die Lichtung schlichen. Brüder in Tiergestalt, die vielleicht sogar auf dem Geheiß Gava Medunas anwesend waren und von denen sie manche an der Fellzeichnung erkannte.

      „Ich bin niemals hier gewesen und ich sprach kein Wort zu ihm“, flüsterte sie leise.

      Sie wusste ganz genau,