Paul D. Peters

Der Sturm der Krieger


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umfasste sie ohne Zögern. So saß sie für eine Weile neben ihm, ruhig und abwartend. Der Werwolf war sehr froh, sie zu riechen, sie atmen zu hören, sie wieder an seiner Seite zu wissen.

      Die junge Matrone Sanara saß auf dem selben Schemel wir ihre Herrin zuvor. Sie trug ihr mehr als schulterlanges rotes Haar gänzlich offen und nicht wie zumeist üblich zu einem ausladenden Zopf zusammengebunden. Ihren Umhang hatte sie auf einem Schrank abgelegt. Ihr blaugrauer Stab lehnte am Holzrahmen der Eingangstür. Über ihre Lederkluft trug sie einen winterfesten Überrock aus Wolle, Kaninchenfellen und ausgeklopfter Rinde. Der Tag war lang gewesen, aber nun hatte sie sich nach ihren Pflichten hier eingefunden.

      „Ich weiß nicht wie ich es dir sagen soll, wo ich beginnen soll“, sprach sie zögerlich und mit leisem Ton. „Ich... Einmal war ich bei dir, am Baum der Anklage und ich habe dir damals schon so viel gesagt, auch wenn du bestimmt nicht mehr alles davon weißt.“

      Er nickte und ein leichtes Zittern durchfuhr ihn.

      „Ich war aber nicht dabei, als sie dich zuvor am Baum kreuzigten. Ich konnte es nicht. Ich hätte es nicht ertragen, dich so zu sehen und ich wollte bloß allein sein mit meinem Schmerz. Er war ja auch mein Gottvater. Als Rabe flog ich so weit mich die Winde trugen, aber selbst dort oben fand ich keinen Frieden, denn sogar zwischen den Wolken hörte ich das Klagen der Wölfe. Nach meiner Rückkehr verbot mir Gava Meduna zu dir zu gehen und noch dazu legte sie mir das Schweigegelübde auf. Es war falsch gewesen und ich habe zu viel gesagt, so wurde es mir sofort danach klar. Ich bereue es, so wie ich anderes bereue.“

      Warug wollte schon ablassen von ihren Händen, aber sie hielt ihn fester.

      „Du sollst wissen, dass manche Konsequenzen deiner Tat ein blutiges Ende fanden und ich daran beteiligt war. Ich habe mit den Rudeln auf Anordnung meiner Herrin jene gejagt, die nach dem Tod unseres Gottes dem Wahn verfallen waren. Zu viele mussten getötet werden, auch wenn es immer die Klaue der Brüder war und nicht ein einziges Mal meine Hand, aber ich habe mit meiner Macht dabei geholfen. Es hat weh getan, sie leiden und dann sterben zu sehen. Ja, Wolf, es hat sehr weh getan. Alles hier tut sehr weh seit einiger Zeit.“

      Sie schluchzte kurz. Sein Stöhnen bedeutete, dass es ihm zutiefst leid tat, alles. Und er fühlte zutiefst den Schmerz, den sie mit sich trug. So gern hätte er sie davon befreit, aber es war ihm, gerade ihm, natürlich gänzlich unmöglich. Er drehte den Kopf zur Seite.

      Sie rückte mit dem Schemel etwas näher an ihn heran. Dann ließ sie mit einer Hand ab, berührte mit dieser seine rechte Wange und drehte sein Haupt wieder zu sich. Sie glaubte seinen Blick zu spüren, durch die Leinen des Augenverbands hindurch.

      „Ich muss dir sagen, Wolf“, so setzte sie fort. „Dass ich beinahe begonnen hatte, dich zu lieben. Lange waren es nur deine Gefühle gewesen, die nach mehr drängten, aber als wir uns vor deiner Reise zum Weltenbaum in jener Nacht vereinigten, da wurde mir klar, dass es auch mir nach mehr verlangte. Ich ließ es zu, in mir, und so hatte ich noch größere Angst um dich. Ich wollte wahrhaftig, dass du lebst, dass du wieder in meine Arme zurückkehrst und ich dich wieder fest und innig an mich zu drücken vermag. Gebetet habe ich... oh, wie sehr habe ich gebetet. Vielleicht sogar mehr um dich, als um deinen Vater.“

      Sanara seufzte, schüttelte den Kopf. Sie musste es ihm sagen und er musste es hören.

      „Aber in dem Moment, da dein Vater fiel, fühlte ich in dieser Welt nicht nur sein Ende, sondern auch das Ende aller Zuneigung für dich. Ich verstand erst viel später, warum. Zunächst verstand ich nämlich nichts, gar nichts. Ganz ungläubig war ich und verwirrt. Irgendwie kann ich mich an manche Stunden danach gar nicht mehr erinnern. Und dann floh ich ohnehin als Vogel. Erst lange nach deiner Kreuzigung begriff ich alles und erst nachdem ich dich am Baum der Anklage sah, erst dann begriff ich wirklich, dass du es gewesen warst, allein du. Wie könnte ich einen Mann jemals lieben, der seinen und meinen Gott getötet hat?“

      Ein eisiges Schweigen erfüllte nun gänzlich die Kammer der Heilung. Sein Griff der Hand war nun ganz schwach geworden. Nur kurz jedoch bebten seine Lippen, dann presste er sie hart aneinander. Er schluckte mit schmerzendem Kloß im Hals. Dann atmete er aus und neigte wieder den Kopf zur Seite, dieses Mal aber nicht in Scham. Fast greifbar entfaltete sich eine emotionale Kälte zwischen ihnen beiden.

      Sie ließ seine Hand los und rieb sich die Stirn. Sanara dachte nach, wie sie und ob sie die Unterredung fortsetzen sollte.

      „Weißt du,“ begann sie dann etwas zögerlich. „Ich bin mir nicht sicher... Verdammt, es fällt mir schwer so zu reden. Jedenfalls aber hasse ich dich nicht mehr. Gelitten hast du, ich weiß nicht, ob genug, aber gelitten hast du. Zumindest ein Teil deiner Schuld ist getilgt und vielleicht konnte es nur so kommen und dein Handeln war nur so möglich, nur so richtig. Und jetzt... Lange war ich wohl jemand, auf den du gehofft hast, aber das kann ich jetzt auch nicht mehr sein. Vielleicht habe ich dir mehr gegeben, als ich dir hätte geben sollen, aber das bedeutet jetzt ohnehin nichts mehr. Wir waren aneinander gebunden und ich fürchte, das Schicksal wird uns gemeinsam noch einiges abfordern.“

      Die Deva sagte dann eine Weile lang nichts mehr und es gab eigentlich auch nichts mehr zu sagen, so befand sie. Bloß eines war da noch, dass sie nach all den Ereignissen überhaupt keinen Sinn für sie ergab und auch wenn sie natürlich keine Antwort von ihm bekommen konnte, selbst wenn er denn des Sprechens mächtig wäre, so brach es gerade jetzt aus ihr hervor und richtet sich allein an ihn.

      „Ein Auserwählter sollst du sein, aber ist es auch wirklich wahr? Was heißt das für mich, für unsere Gemeinschaft hier, für die Welt? Soviel ist durch dich verloren und doch... Vielleicht ist dies der Preis, den wir alle zahlen müssen, damit am Ende das Licht Ardas triumphieren wird?“

      Er reagierte mit keiner Bewegung keinem Laut darauf.

      Sanara fühlte sich gerade sehr unwohl und doch irgendwie leer zugleich. Es war einfach zu viel passiert in den letzten Wochen. Alles hatte begonnen mit ihrer gemeinsamen Reise zurück in den Wald der Welt. In jener Zeit war eigentlich auch schon zu viel passiert. Bis auf das Fest zu Nos Saman und vielleicht die letzten paar Tage war alles von einer steten Unruhe, von einer steten Eile, einer steten Dramatik, einem steten Kämpfen geprägt gewesen. Nun schien nur noch quälende Trauer zu bleiben. Wenigsten hatte der Eine Feind keine weiteren Angriffe vollführt und die Harpyiengötzen hatten mit ihrer Schnabelbrut den Krieg noch nicht begonnen, so sinnierte Sanara für eine Weile über alles nach.

      „Wirst du uns, wirst du mich retten, Wolf?“, fragte sie plötzlich.

      Zuerst wollte er schreien als Antwort auf diese Frage. Der Ton in ihrer Stimme, die Art wie sie die Frage gestellt, was die Frage überhaupt bedeutete, war nicht einfach zu ertragen. Sie hatte es wieder getan, ihn überrascht und überfordert zugleich, mit nur einem Satz. So kannte er sie, seit ihrer ersten Begegnung.

      Was er dann tat, musste er einfach tun. Unter Stöhnen richtete er sich im Bett auf. Nach hinten stützte er sich mit der rechten Hand ab, während die andere zittrig den Augenverband zu ergreifen versuchte. Mit einer einzigen, schnellen Bewegung riss er ihn herunter. Zunächst war alles gänzlich verschwommen, aber erstaunlich schnell erlangte er wieder die volle Sehschärfe. Ihre roten Haare. Ihre grünen Augen. Ihr Gesicht von blasser Haut. Mit zunächst zusammengekniffenen, dann weit aufgerissenem Blick sah er sie an, sah er sie endlich wieder an. Sie wirkte fast völlig geschockt.

      „Ich...“, begann er mit halber Zunge und angestrengter Stimme für die Antwort zu stammeln. „Ich... wei... weiß... es... nicht, Sanara!“

      Ihre bebender Hand bedeckte sie ihren offenen Mund. Sie war überrascht von seiner plötzlichen Geste, seiner Antwort, mit der sie nicht gerechnet hatte. Und da war noch etwas anderes, in seinem Gesicht, das sich verändert hatte.

      „Dein Auge, Wolf“, begann sie irgendwann. „Dein gelbes Auge... Die Farbe ist anders... Es ist ganz rot geworden.“

      Mit ansetzender Geste fuhr er sich ins Gesicht, fast so, als wolle er es allein durch Tasten überprüfen, ob es denn stimmte.

      Dann stand sie auf, neigte sich nach vorne und umarmte ihn heftig. Sie verstand nicht ganz, warum sie ihm gerade jetzt wieder diese Zuneigung gönnte. Er stöhnte,