Paul D. Peters

Der Sturm der Krieger


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Eile war die zunehmende Kälte, aber ansonsten hatte sie es einfach gänzlich satt, noch länger abwartend zu verweilen.

      Brander Flammenkrieger hingegen öffnete für den Gottschlächter weit den rechten Flügel der Pforte und wartete geduldig auf seine Einkehr.

      Der Angriff erfolgte überraschend. Warug war kurz davor einzutreten, als sein Bruder zu aller erst aufmerksam wurde und genau rechtzeitig reagierte. Mit dem gesteigerten Gehörsinn nahm er ein Pfeifen in der Luft wahr, das aber nicht vom Wind stammen konnte. Er riss den Arm nach oben und sprang an der Seite seines Bruders vorbei, warf sich schützend vor dessen Rücken. Im nächsten Augenblick hatte er den Speer in der Hand, der mit tödlicher Absicht aus dem winterlichen Weiß heraus geworfen worden war. Es war ein Attentat auf den Gottschlächter.

      Noch die Waffe umfasst verwandelte sich Brander in seine Kriegsgestalt und suchte knurrend die Umgebung ab. Warug, der erst nach einer kurzen Weile wirklich begriffen hatte, was soeben geschehen war, transformierte sich ebenso zu einem übergroßen Mannwolf. Seite an Seite standen sie, blickten sich um, lauschten, schnüffelten, aber noch offenbarte sich kein Feind mit böser Absicht. Brander heulte demonstrativ, herausfordernd. Inzwischen war auch Deva Sanara wieder heraus geeilt um ihre Pflicht als Wächterin des Gottschlächters zu erfüllen.

      Der Wind wehte, trieb die Flocken vor sich her. Im umgebenden Gestöber zeigten sich nicht einmal mehr Schemen, bloß die Megalithen ragten weiterhin wie stumme Zeugen des Geschehens vor dem Tempel empor. Kurz war die Stimmung fast gespenstisch, in jedem Fall aber bedrohlich.

      Die Matrone riss den Stab hoch und die Werwölfe gingen in Verteidigungsstellung, als sie ein warnendes Heulen in unmittelbarer Nähe vernahmen. Im nächsten Augenblick begann die Luft direkt vor ihnen zu wabern und ein Krieger mit grauem Pelz sprang aus der Geisterwelt herüber. Hasserfüllter Blick, Geifern und Brüllen. Völlig rücksichtslos wollte er sich direkt auf Warug stürzen, hetzte vorwärts, war nur noch ganz wenige Schritte entfernt. Sanara hatte den Abwehrzauber schon bereit und Brander die Speerspitze gegen ihn gerichtet, als der Attentäter plötzlich aufheulte und wie von einer unsichtbaren Faust getroffen niedergestreckt wurde. Er griff sich an die Kehle, gab erstickte Laute von sich. Dann wurde er wie eine hilflose Puppe in die Luft gehoben, verweilte mit zuckenden Gliedern knapp über dem Boden schwebend.

      „An den Baum der Anklage mit ihm“, ertönte es mit so kaltem wie befehlendem Ton aus dem Tempel. „Hängt ihn dort auf, wo der Gottschlächter zuvor gehangen hatte.“

      Sanara wusste sofort, wer hier Macht gewirkt hatte. Durch den Spalt des Eingangsportal hindurch sah sie ihre Herrin, die im Schatten der großen Eiche stand, ihren Arm weit von sich gestreckt und mit ihrer Hand den Verbrecher an ihrem Befehl telekinetisch umkrallt hielt.

      Mehrere Werwölfe in Kriegsgestalt traten von allen Seiten heran. Sie nahmen sich ihres Bruders, dem weiterhin keine Bewegung möglich war, an und schleiften ihn in den Wald. Keiner von ihnen würdigte den Gottschlächter eines Blickes, bloß einer verneigte sich vor dem Tempel und damit vor Gava Meduna.

      Brander und Warug verwandelten sich wieder zurück. Der Gerettete vollführte eine Dankesgeste gegenüber Bruder und Schwester, die allerdings bloß den Kopf schüttelte und wortlos vor den beiden anderen in das Heiligtum hinein trat. Die Erzmatrone hatte nicht weiter abgewartet, sondern sich bereits wieder in den hinteren Teil des Gebäudes begeben.

      Die beiden Flügel des Portals verschlossen sich von selbst, aber ein verzweifeltes Heulen drang aus der Ferne noch hinein.

      Im Inneren war es warm und behaglich. Dies lag gewiss nicht allein an den vielen Kerzen entlang der hohen Wände, sondern umso mehr an den intensiv brennenden Geisterfeuern, die in der Höhe frei schwebten. Mit ihrer Hitze ließen sie es nicht zu, dass auch nur eine einzige Schneeflocke durch die obere Öffnung zu weit herein fiel, denn ehe das kalte Weiß weiter als das untere Geäst glitt, schmolz es und die sich weiter auflösenden Eiskristalle rieselten funkelnd hernieder.

      Hinter der Esche und im Bereich gegenüber dem Haupteingang hatten sich bereits mehrere Personen zusammengefunden. Die ältere Matrone, die sie herein gebeten hatte, stand gerade bei Gava Meduna und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Danach verneigte sie sich vor der Führerin des Zirkels und mit einem zutiefst abfälligen Blick für Warug verschwand sie schließlich in einem Nebenraum. Deva Sanara kniete ins Gebet vertieft vor den beiden Statuen von Arda und Erennos. Das dazwischen platzierte Idol Goronds war von einem schwarzen Tuch gänzlich verhüllt. Dieser Anblick gab Warug einen heftigen Stich ins Herz. Seinen Bruder Brander Flammenkrieger hörte er mit einem traurigen Knurren hinter sich verharrend.

      Doch es war noch jemand hier: neben Gava Meduna stand ein groß gewachsener Werwolf, der sich langsam zu seinen Brüdern wand. Grau in grau war seine Kluft von Leder und Fell. Seine entblößten Oberarme waren bedeckt mit Tätowierungen, die ebenso Symbole von Klan Bär aufwiesen. Das dunkle Haar war mit Schnüren zu einem langen Zopf zusammengebunden. Grau wie die See der Blick. Warug erkannte ihn schnell wieder, auch wenn es lange her war, dass dieser in seiner Heimat zugegen war. Es handelte sich um Velric Eisheuler, der letzte lebende Nachkomme des gefallenen Magnors Sigthun Silberklaue.

      „Gottschlächter... Hier seid ihr also.“ Sein Ton war durchaus abfällig, aber gleichzeitig sehr bestimmt. „Brüder wollen euch tot sehen, aber das heilige Gebot Toruskorrs und der Zauber der Ehrwürdigen Gava retten euch. Doch ehe ich nur ein weiteres Wort über euch, den ich lange vor eurem Exil noch als Feindhetzer kannte, verliere, will ich zuerst nur eines wissen: hat mein Vater bis in den Tod gut gekämpft und wird der Allvater ihn in seinen Hallen ruhmreich empfangen?“

      Die Augen Velrics bohrten sich regelrecht in die Seele Warugs. In Respekt senkte dieser zunächst sein Haupt, auch gegenüber der sehr streng dreinblickende Erzmatrone, die sich wieder einmal um die Schonung seines Lebens bemüht hatte. Ruhig war er in seiner Antwort.

      „Euer Vater war bis zu seinem Fall für Gott Gorond nicht nur der große Anführer dieses Klans und der neun erwählten Dämmerwanderer gewesen, sondern auch der größte Krieger unserer Schar. Er starb mit der höchstmöglichen Ehre eines wahren Streiters des Wilden Heeres. Seid meiner Gram über sein jähes Ende, aber auch meinem Dank und meiner Freude darüber gewiss, dass ich an seiner Seite kämpfen durfte und sein glorreiches Schlachten mit ansah. Nun sitzt er mit unseren Ahnen in den jenseitigen Hallen von Venhallasvor, wo die Tapferen ewig leben.“

      Velric Eisheuler sagte zunächst nichts darauf und sah noch kurz auf Brander, der demütig nickte. Er glaubte ihnen und war von wahrhaftigem Stolz für Sigthun erfüllt.

      „Ein böses Omen hatte mein Vater dereinst in einem Traum gesehen, deshalb schickte er mich vor Jahren weit fort. Manchmal schmerzte mich sein Entscheid, doch natürlich gehorchte ich. Es würde eine Zeit kommen, da mir zu große Gefahr drohen würde, wenn ich in Hainstatt und im Revier länger als drei Nächte zugegen sei, so verriet er es mir. Schließlich wurden ich und mein Rudel in wichtiger Mission zu unserem Bruderklan im Norden entsandt. Eine unserer Aufgaben war es ein Zeichen zu setzen für die Gemeinschaft und das starke Bündnis zwischen Bär und Wolf. Wir jagten Skrael, patrouillierten an den Grenzen und erspähten zuletzt den Heereswurm der Brut, der schon bald gegen den Langen Wall Talaruns ziehen wird. Hoch und weit fliegen die Harpyiengötzen und die Berge erzittern, da aus ihnen Schwarze Drachen geboren werden.“

      Für einen Moment hielt der Sohn Sigthuns inne und betrachtete mit fragendem Blick die Statuen von Allmutter und Allvater, ehe er sich wieder den anderen um Raum zu wand und direkt fortsetzte mit seiner Ansprache.

      „Lange dauerte meine Mission im Norden, doch Gava Meduna hat mich und mein Rudel zurückgerufen. Meine Heimat sehe ich endlich wieder, aber die Heimat hat keinen Gott mehr. Weder meinem Vater im Blut konnte ich wieder vors Angesicht treten, noch meinem Vater in Heiligkeit. Zweifach ist meine Trauer, aber da ich noch bin und mein Pflicht erkenne, will ich mein Leben für den Klan hingeben.“

      Velric Eisheuler streckte er den Arm aus und berührte den schwarz verhüllten Schädel des Idols Gorond. Alle im Raum hatten ihm schweigend und mit aller Aufmerksamkeit zugehört.

      Die Erzmatrone erhob das Wort: „Ich danke euch aus der Tiefe meines Herzens, Velric Eisheuler. Dafür, dass ihr hier seid, dafür, dass ihr so gut