Matthias M. Rauh

Die vom Tod verschmähte Katze


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mit behaglichster Wärme erfüllt hätte.

      Diese Uhr bestand aus Eis - Eis, dessen Klarheit nicht einmal durch einen winzigen Riss oder Kratzer getrübt wurde. Eis, das funkelte wie ein Diamant. Der ehrenwerte Herr Zacharias muss Stunden, Tage oder gar Wochen damit zugebracht haben, es zu polieren und zu pflegen. Nur die Ziffern, die Zeiger und die Schwungfeder dieser Uhr bestanden aus einem Metall. Und sicher handelte es sich dabei um pures Gold.

      "Tickendes Eis...", flüsterte Valentin. Dem Antiquitätenhändler war es also tatsächlich gelungen, die Zeit einzufrieren, wenn auch auf eine ganz spezielle Art und Weise.

      Dies war also die Schatzkammer des ehrenwerten Herrn Zacharias. Valentin konnte sich den Alten wahrhaft vorstellen, wie er Abend für Abend in diesem Sessel Platz nahm, wie vor einem behaglichen Kaminfeuer, um sein Herz mit dem Anblick dieser göttlichen Uhr zu erwärmen. Sie war ein Meisterwerk - ein Meisterwerk, geschaffen, um von einem Meister beherrscht zu werden.

      Ein kleines Buch lag am Fuße der frostigen Uhr. Valentin ahnte schon, was er darin finden würde. Er öffnete es und fand seine Vermutung bestätigt: Es war das ganz persönliche Kompendium dieses filigranen Werks. Den Aufzeichnungen nach stammte die Uhr aus Sibirien und war am 21. Oktober 1917 in Betrieb gesetzt worden. Er fragte sich, wie man eine derart empfindliche Konstruktion über einen so langen Zeitraum am Leben erhalten konnte.

       Man musste wohl verrückt sein...

      Es gab noch einige andere Dinge in dieser Kammer zu bestaunen. Dinge, die jedoch ganz und gar nicht zu den Gepflogenheiten des Antiquitätenhändlers passten. Direkt neben der Uhr standen ein völlig verstaubtes Glas und eine schäbige Kiste, die über und über mit Spinnweben bedeckt war. Valentin konnte sich nicht erklären, wie der stets auf Sauberkeit achtende Mann den Anblick dieser beiden abstoßenden Gegenstände ertragen konnte. Vielleicht hatte er sie durch den Glanz dieser göttlichen Schöpfung aber gar nicht wahrgenommen.

      Allerdings stellte sich dem angehenden Dieb nun die Frage, was er in dieser Kammer eigentlich wollte. So schön dieses Meisterwerk auch sein mochte, er konnte rein gar nichts damit anfangen. Die Uhr war zu groß, zu schwer und viel zu zerbrechlich. Es wäre einfach unmöglich gewesen, sie zu transportieren, und außerdem wäre sie in der Hitze zerlaufen wie ein ganz gewöhnliches Erdbeereis.

      So verließ er die Kammer, um zu überlegen, was nun zu tun war. Ein kalter Schauer lief ihm den Rücken hinunter, als er noch einmal zu dem Toten blickte. Sein Schatz war rettungslos verloren.

      Als Valentin zurückkehrte, rann bereits ein kleiner Wassertropfen über das Ziffernblatt der sterbenden Uhr. Es war spät, zu spät, um noch lange hier zu verweilen. Doch welchen Gegenstand sollte er jetzt bitteschön in Sicherheit bringen?

      Diese Uhr konnte es kaum sein. Der Landstreicher hatte auf ihn jedenfalls nicht den Eindruck gemacht, sich an der Schönheit einer Uhr ergötzen zu wollen. Ihm ging es höchstens um das Gold, das sie enthielt. Doch Wertgegenstände gab es auch im Laden zur Genüge. Nein, dem Landstreicher musste es um etwas ganz anderes gegangen sein.

      Vorsichtig griff er in das Spinnennetz, welches die mittelalterliche Kiste umgab und überprüfte das faustgroße Eisenschloss.

      Abgesperrt, Mist, dachte er, entschied sich aber noch im selben Augenblick für das, was ihm am einfachsten erschien. Er packte das eiskalte Ding und zog es von der Kommode.

       Ich bin ein Dieb, ich bin ein Dieb, ich bin ein Dieb...

      Wenig später rannte der seltsame Junge mit dem seltsamen Anzug und der noch seltsameren Kiste für immer davon.

      Kapitel 6 - Der frierende Dieb

      "Verdammte Mistkröten", schimpfte der Landstreicher. "Ich hätte sie alle erwürgen sollen."

      Er ahnte wohl bereits, dass er zu spät kommen würde. Als er den Laden des toten Antiquitätenhändlers schließlich erreichte, hatte sich bereits eine mittelgroße Menschenmenge vor dem kleinen Geschäft versammelt. Ein Leichenwagen war ebenfalls dort abgestellt worden. Und das war noch nicht alles: Polizei...

      "Verflucht!", schimpfte er und schlug mit seinem Stock auf das Kopfsteinpflaster. Doch dann besann er sich und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.

      "Gehen Sie bitte weiter!", rief ein Beamter den vielen Schaulustigen zu, die nur allzu gerne einen Blick auf die Leiche geworfen hätten. Einige von ihnen hatten sogar ihre Handykameras eingeschaltet und kämpften mit den Tücken des Gegenlichts.

      "Verdammtes Gesocks", zischte der Riese, als er an dem Tumult vorbeistapfte.

      "Gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen", wiederholte der Polizist und schob einige der sensationssüchtigen Leute zur Seite.

      "Mit Sicherheit ein Raubüberfall!", ereiferte sich eine korpulente Frau mit Einkaufskorb. "Heutzutage kann man sich ja vor gar nichts mehr..."

      "Vorhin haben sie etwas in eine Plastiktüte gepackt", unterbrach sie eine Passantin. "Ich habe es genau gesehen. Hat geglänzt. Vielleicht ein Beil..."

      "War es blutig?", wollte die Frau mit dem Korb wissen.

      "Gehen Sie gefälligst weiter", stöhnte der genervte Polizist nun schon zum dritten Mal.

      "Würde mich nicht wundern", schaltete sich ein Spaziergänger in das wilde Geschwätz der beiden Frauen ein. "Wenn Sie mich fragen, war das hier ein eiskalter Ritualmord. Sehen Sie doch nur mal auf das gespenstische Zeichen dort oben!"

      Mit entsetzten Mienen blickten sie zum Dach hinauf, wo natürlich noch immer das ausgedörrte Strangulienchen baumelte. In beinahe unverschämter Art und Weise grinste es auf die Menge herab und wackelte mit dem Kopf.

      "Iieeh! Was ist das denn?"

      "Sieht aus wie eine Vogelscheuche", bemerkte der Mann.

      "Wie geschmacklos. Übrigens: Sind Sie schon lange hier? Hat man die Leiche schon ins Auto geladen? Ich meine, nicht dass ich neugierig wäre..."

      "Verschwinden Sie endlich!", herrschte sie der Polizist an und schob ihren prall gefüllten Korb zur Seite.

      "Schon gut, schon gut", zischte die Frau und rollte mit den Augen. "Gehen wir eben dort rüber, da haben wir ohnehin bessere Sicht. Ach, habe ich Ihnen schon erzählt, was ich gestern für ein tolles Schnäppchen in der kleinen Boutique dort drüben..."

      Der Polizist atmete tief durch und griff nach seinem Funkgerät.

       Nächster Haaalllllt, Parkstraße...

      Mit einem herablassenden Blick musterte die ältere Dame den seltsamen Jungen auf dem gegenüberliegenden Sitzplatz des Linienbusses. Er war völlig außer Atem, schwitzte und hatte eine modrig stinkende Kiste auf seinem Schoß abgestellt. Dass er sie mit einem altmodischen Jackett zu verdecken versuchte, verstärkte ihre Skepsis. Dieser Junge taugte wohl nicht viel. Kein Wunder, er war ja auch ziemlich blass um die Nase.

      Angewidert starrte sie auf das beschlagene Fenster und rollte mit den Augen. Doch ihr Ärger sollte schon bald blankem Entsetzen weichen. Da war plötzlich diese furchtbare Kälte, die vor ihr über den Boden kroch und ihre Beine mit eisigen Nadelstichen malträtierte. Als nach einem Halt endlich ein Platz in einer anderen Sitzreihe frei wurde, hatte sie es auf einmal sehr eilig.

       Warum ist das Ding nur so abartig kalt?, fragte sich Valentin. Die Kälte war in der Tat kaum auszuhalten. Sie packte ihn, ergriff Besitz von seinen Händen und seinen Beinen. Außerdem war ihm natürlich längst aufgefallen, dass er schon wieder von allen Seiten beäugt wurde.

      Er fragte sich allerdings, ob der Landstreicher nicht in weitaus größeren Schwierigkeiten steckte. Schließlich hatte Valentin längst die Polizei gerufen. Er erinnerte sich, dass er das Gespräch sofort abbrach, als ihn der Beamte nach seinem Namen fragte. Und dass er sich anschließend sogar noch die Mühe machte, sämtliche Fingerabdrücke vom würdevollen Telefon zu wischen. Als Dieb gewöhnt man sich wohl nur allzu schnell daran, Spuren zu vernichten...

      Nach