Matthias M. Rauh

Die vom Tod verschmähte Katze


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schlepp ich Trottel dieses verdammte Ding meilenweit durch die Gegend, friere mir die Finger ab und breche mir obendrein beinahe den Hals. Und was ist der Lohn? Nur Dreck! Verdammter, wertloser Dreck!"

      Kochend vor Wut packte der Junge die Kiste und warf sie mit derartiger Wucht auf den Boden, dass sie auf der Stelle in zwei Teile zersprang. Dann schoss er mit dem Fuß ihren Deckel in die Ecke und donnerte beim Verlassen der Baracke auch noch die Tür gegen die Fassade.

      Valentin hatte jetzt endgültig die Nase voll. Er hatte den falschen Gegenstand gestohlen. Wahrscheinlich war es dem Landstreicher doch nur um die eisige Uhr gegangen. Aber das war jetzt ohnehin egal. Es war zu spät. Und wenn es zu spät ist, bleibt es zu spät...

      So verließ er die Waldlichtung, ohne die Hütte noch eines einzigen Blickes zu würdigen.

      Die Rabenkrähe ließ sich auf dem Schindeldach nieder und gab ein leises Krächzen von sich. Soeben hatte der Kater versucht, sie mit einem beherzten Satz zu fangen, was aber gründlich danebengegangen war. Seelenruhig beobachtete der gefiederte Spion nun, wie sich sein Angreifer ans unterste Ende des Daches klammerte und mit der Schwerkraft kämpfte. Schließlich rutschte er schreiend ab. Es raschelte im Gebüsch, und der talentlose Jäger zog murrend davon.

      Kapitel 9 - Das Krähenproblem

      Es dauerte bis tief in die Nacht hinein, ehe Valentin endlich begriff, was in den letzten Stunden und Tagen alles geschehen war. Lester Zacharias, der penible Antiquitätenhändler mit den tausend unverkäuflichen Uhren, lebte nicht mehr. Er war ein Opfer seines eigenen Kontrollwahns geworden, hatte sich über eine kleine Nebensache so derart aufgeregt, dass er ungewollt den Tod bestellte. Nun standen seine Uhren für immer still.

      Er hatte ihn gesehen, den Toten, und damit zum ersten Mal einer wahrhaftigen Leiche gegenüber gestanden. Dies allein hätte für mehr als nur eine schlaflose Nacht ausgereicht, aber da war nunmal auch das fürchterliche Erlebnis mit dem Landstreicher gewesen, der Türen ohne Schlüssel verschließen konnte und ihm sogar eine Krähenschar auf den Hals hetzte.

      Und da waren auch die sterbende Uhr und diese seltsame Kiste, die nichts als Staub und Dreck enthielt. Wegen ihr war er zum Dieb geworden, zum Dieb ohne Beute. Und wegen ihr hätte er sich auf Joe Kriegers Höllentruck um ein Haar sämtliche Knochen gebrochen. Sein Ferienjob hatte sich während dieser bizarren Ereignisse fast beiläufig in Luft aufgelöst, was allerdings noch das geringste Problem darstellte. Der entgangene Lohn war ihm längst völlig egal - genau wie der verrückte Landstreicher, der sich sicher schon längst aus dem Staub gemacht hatte.

      So verabschiedete sich dieser Sommer, laut und gewaltig, in nur einer einzigen Nacht. Ein mächtiges Gewitter vertrieb die Hitze der vergangenen Wochen. Und als der Unglücksjunge am nächsten Morgen auf die dampfende Landschaft blickte, da ahnte er noch nicht, dass in den folgenden Tagen noch weitaus merkwürdigere Dinge geschehen sollten.

      Zuerst einmal musste er die nüchterne Erfahrung machen, wie schnell so eine verstorbene Existenz aus der Jetzt-Welt gefegt wurde. Als er sich nämlich ein paar Tage nach dem Tod des Antiquitätenhändlers durchrang, noch einmal einen Blick auf das verwaiste Geschäft zu werfen, da hatte man es bereits leergeräumt. Das einst so sorgfältig gepflegte Schaufenster war mit einem riesigen X aus weißem Klebeband und dem Hinweis Zum Verkauf verunstaltet worden. Die skurrile Vogelscheuche lag auf einem mit zertrümmerten Regalen beladenen Schuttcontainer. Der Sommer war zu Ende, in jeder Hinsicht. Übrig blieben nur ein trauriges Stadthaus und ein verlassenes Grab mit einem schlichten Holzkreuz.

      Wirklich merkwürdig war allerdings die Tatsache, dass Valentin die Krähen nicht mehr loswurde. Sie waren einfach überall, bevölkerten die Bäume, die Sträucher und auch das Dach seines Wohnhauses. Selbst die Gewächshäuser der elterlichen Gärtnerei blieben von den krächzenden Gesellen nicht verschont. Anfangs hatte er noch versucht, die seltsame Invasion zu ignorieren, aber es half nichts. Die Tiere schienen einfach einen Narren an ihm gefressen zu haben.

      Leider hinderten sie ihn mit ihrer ständigen Gegenwart auch daran, die Ereignisse der letzten Tage zu vergessen. Wann immer er die gefiederten Plagen erblickte, wurde er wieder zu dem flüchtenden Dieb, der den Tod gesehen hatte.

      Richtig schlimm wurde es allerdings erst, wenn er sein Zuhause verließ. Dann erhoben sich die Vögel in die Lüfte und folgten ihm auf Schritt und Tritt, wie ein Schatten. Das empfand Valentin nicht nur als nervend, sondern auch als höchst peinlich. Nun glotzten ihn die Leute selbst dann von allen Seiten an, wenn er keinen Anzug trug.

      Er war jetzt der Junge, dem die Krähen folgten und konnte sich kaum noch in der Öffentlichkeit sehen lassen. Schlechte Voraussetzungen für den Schulbeginn. Sehr schlechte Voraussetzungen...

      Kapitel 10 - Der Trottel des Monats

      So begann der erste Schultag dann auch standesgemäß: Mit Regen, Hagel und einem handfesten Gewittersturm, wobei das Thermometer an diesem Montag gerade noch an der 15-Grad-Marke kratzte. Hatte die immerzu glucksende Radio-Wetterfee vor wenigen Tagen noch immer neue Hitzerekorde verkündet, so begann ihr heutiger Wetterbericht mit den Worten: Ja, schade, liebe Hörer...

      Wenn Valentin allerdings gehofft hatte, die Sintflut könnte die penetranten Rabenkrähen von ihrer Belagerungstaktik abhalten, so sah er sich getäuscht. Kaum hatte er nämlich das Haus verlassen, da ging das wilde Geflatter auch schon in die nächste Runde.

      "Verschwindet endlich!", rief er durch den Regen. Aber es nützte nichts. Mit Müh und Not rettete er sich in den Bus und beobachtete durch die Heckscheibe, wie die Tiere sogleich die Verfolgung aufnahmen.

      Das schafft ihr nie, hoffte er in Gedanken. Und weil das Unwetter noch ein wenig zulegte, sah es nach einer Weile tatsächlich so aus, als hätten die Plagen ihr Vorhaben aufgegeben. Bus gegen Krähe, das sollte ja wohl ein eindeutiges Duell sein. Doch weil Montag war, musste die Realität natürlich ein wenig anders aussehen: Junge entsteigt Bus - Krähe landet auf dem Schulhausdach...

      "Hihihi", gluckste ein Junge und hüpfte aufgeregt durch den Regen. "Wie hast du das denn gemacht? Das hat grad so ausgesehen, als wären die ganzen Vögel da hinter dir hergeflogen. Ist doch lustig, oder? Hihihi..."

      "Ja, sehr witzig", stöhnte Valentin.

      Prompt zog der Junge sein Handy aus seiner Jacke.

      "Kannst du das vielleicht nochmal machen, damit ich´s aufnehmen kann?"

      "Nein!", fauchte er und sah zu, dass er so schnell wie möglich ins Schulhaus kam.

      Wie es der Zufall wollte, sollte er in der Eingangshalle ausgerechnet jenen Mädchen begegnen, die ihn vor ein paar Tagen aufgezogen hatten. Natürlich sahen die beiden Blondinen auch heute absolut umwerfend aus. Sie unterhielten sich gerade mit einem Jungen, der wohl einen Großteil des Sommers im Fitness-Studio verbracht hatte.

      Als sich der Krähenjunge der Gruppe näherte, hielten sich die Mädchen die Hände vor den Mund, um nicht auf der Stelle zu platzen.

      "Er?", fragte der Protz und zeigte mit dem Daumen unverfroren in Valentins Richtung. Die Schönheiten nickten etwas verlegen und brachen dann vor Lachen fast zusammen.

      "Kein Wunder, voll der Depp", meinte der Junge.

      Er ließ sie links liegen, was aber nicht viel half. Irgendetwas lag an diesem Morgen einfach in der Luft. Wohin er auch ging, die Schüler reagierten immer auf die gleiche Art und Weise - mit mehr schlecht als recht verdecktem Gelächter.

      Mir doch egal, ihr Idioten, dachte er sich und suchte sich einen Platz weit abseits der Menge. Da begrüßte ihn ganz unerwartet eine vertraute Stimme: "Hallo, Valentin. Und? Wie waren die Ferien?"

      Die Stimme gehörte Mafalda Pelz, der mit Sicherheit schrägsten und schrillsten Person der gesamten Schule. Mafalda war ein Knallbonbon - nach der Explosion. Die wirre Frisur, die relativ dicke Brille und die immerzu blitzende Zahnspange sprachen jedenfalls Bände. Sie trug stets kunterbunte Kleidung, die nicht