Matthias M. Rauh

Die vom Tod verschmähte Katze


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12 - Krächzende Spione

      Es zeigte sich, dass die Wetterfee mit ihrer Vorhersage tatsächlich danebenlag. Am nächsten Morgen zuckten nämlich nicht nur die Blitze vom Himmel herab, sondern es regnete auch ununterbrochen weiter.

      Die Krähen ließen sich davon natürlich nicht beeindrucken. Seelenruhig warteten sie in den Ästen ihrer geliebten Trauerweide - was ihr Lieblingsopfer inzwischen aber längst nicht mehr wunderte, da sie diese Marotte nun schon seit Wochenbeginn an den Tag legten.

      Doch eines hatte sich in der Tat verändert: Ihr Krächzkonzert begann nun bereits lange bevor die Tür geöffnet wurde. Um zwölf nach sieben waren sie offenbar der Meinung, er solle jetzt gefälligst in die Gänge kommen und das Haus verlassen.

      Die geheimnisvollen Vögel hatten ein erstaunliches Gespür für die Zeit entwickelt. Sie schienen ihr Zielobjekt mit scharfem Krähenauge zu studieren und mit seinem Tagesablauf bestens vertraut zu sein - wie Spione, die allerdings keinerlei Wert auf Unauffälligkeit legten. Und es war kaum zu übersehen, dass sie sich sehr bemühten, ihre Vorgehensweise von Tag zu Tag zu perfektionieren.

      Waren sie Valentin am Wochenanfang noch wie die Kletten gefolgt, so begnügten sie sich mittlerweile, ihm einfach ihren Späher auf den Hals zu hetzen. Dabei handelte es sich um eine etwas unbeholfen flatternde Krähe, die ein wenig kleiner geraten war als ihre Artgenossen und auf eine gewisse Art und Weise immer dem Herzinfarkt nahe schien. Das gehetzte Tier hatte ganz offensichtlich die Aufgabe, die übrige Schar zu rufen, falls das Zielobjekt vom gewohnten Weg abwich.

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      Schon gestern war Valentin auf die Idee gekommen, ein wenig Verwirrung im Kopf des flatternden Plagegeists zu stiften. Er war dabei ganz plötzlich in irgendeinen belanglosen Feldweg abgebogen und anschließend noch ein bisschen im Kreis gegangen - mit der Folge, dass der Krähenspäher nun immer genau an dieser Stelle zur Zwischenlandung ansetzte.

      Der besagte Weg war also registriert, für relevant befunden und in eine Art Raster aufgenommen worden. Das kräheneigene Koordinatensystem sozusagen. Und so sehr Valentin das ständige Geflatter auch auf die Nerven ging, er musste zugeben, dass die Biester bis in die kleinste Feder durchorganisiert waren - wie ein militärisches Regiment.

      Auch an diesem Morgen machte der Vogel natürlich seine obligatorische Landung am Eingang des besagten Feldweges. Und er flog erst dann weiter, als kein Zweifel mehr bestand, dass sein Zielobjekt auch tatsächlich die gewohnte Route zur Bushaltestelle einschlug.

      Die Bushaltestelle war eine knorrige Eiche, an welche man ein sehr behelfsmäßiges Schild mit dem Wort BUS genagelt hatte - zu mehr hatte es nicht gereicht. Das Örtchen war eben viel zu unbedeutend, um mit einer richtigen Haltestelle gesegnet zu werden. Mit einem Kugelschreiber hatte man noch die Information Fährt nur Werktags um 20 nach 7 und 14 Uhr dazugekritzelt, damit derjenige, der auf die Idee kam, diesen Dienst tatsächlich in Anspruch zu nehmen, auch gleich wusste, in welchen Gefilden er sich befand. Und dass sich der Bus allenfalls erbarmte, einen Abstecher in diese gottverlassene Gegend zu machen.

      Kaum hatte Valentin die Eiche erreicht, da stieß der Krähenspäher auch schon seinen Schrei aus. Und nur wenige Augenblicke später wurde der knorrige Baum von der übrigen Schar bevölkert, die nun ebenfalls auf den Bus wartete. Die Tiere waren inzwischen sehr routiniert, kein Vergleich mehr zu dem unbeholfenen Verhalten, welches sie noch zu Wochenbeginn an den Tag gelegt hatten - bei ihrer wohl ersten Begegnung mit einem öffentlichen Verkehrsmittel.

      Damals konnte er noch beobachten, wie sie zuerst von Haltestelle zu Haltestelle gehetzt waren und dabei sämtliche Bäume, Telefonzellen, Wartehäuschen und Straßenlaternen als Zwischenlandeplatz nutzten. Valentin war sich sicher, dass sie diese Tortur nicht über die volle Distanz durchhalten konnten. Und als sie dann tatsächlich irgendwann aus seinem Blickfeld verschwanden, wiegte er sich schon in trügerischer Sicherheit, seine Verfolger endlich los zu sein. Damals wusste er natürlich noch nichts von ihrer Gerissenheit, geschweige denn von ihrem Späher...

      Dieser hatte auf seinem Erkundungsflug aber ganz offensichtlich nicht nur seine Gewohnheiten, sondern auch die des Busses studiert und schließlich erkannt, dass dieser ebenfalls Tag für Tag das gleiche tat. Worauf er offenbar zu dem Schluss gekommen war, dass das stupide Hinterherfliegen nur sinnlos Energie verschwendete. Und so war eben auch das Dach des Busses ins Koordinatensystem der Krähen integriert worden. Mittlerweile ließen sie sich dort ohne jegliche Scheu nieder und fuhren die Strecke bis zur Schule einfach als blinde Passagiere mit, ob es ihrem Zielobjekt nun passte oder nicht. Krächz!

      Kapitel 13 - Das Mädchen namens Grabstein

      "He! Sag mal, du Anzug, eines würde mich wirklich interessieren. Bist du tatsächlich so bescheuert, oder tust du nur so? Hahahaha..."

      Da war sie nun wieder - die Schule. Und es war kaum zu übersehen, dass sich inzwischen eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Schülern auf ihn eingeschossen hatte. Die Schmähseite mit dem bösen Filmchen hatte jedenfalls ihre volle Wirkung entfaltet: Wer in sein wollte, der musste es einfach auf dem Handy haben...

      Was allerdings zur Folge hatte, dass besagter Junge nun kaum noch einen Schritt machen konnte, ohne damit konfrontiert zu werden. An diesem Morgen sollte es besonders schlimm werden. Er war noch nicht einmal bis zum Eingang des Schulhauses gekommen, ohne dass die Provokationen auch schon ihren Lauf nahmen: "He, Kraus! Hörst du nicht? Ich hab dich was gefragt!"

      Valentin kannte die fiese Fistelstimme aus dem Hintergrund. Es war Pappke, eine regelrechte Berühmtheit, wenn es darum ging, Stunk und Ärger zu verbreiten. Das Pickelgesicht mit den fettigen Haaren erfüllte das Klischee vom verwöhnten Konsumterror-Teenager in beinahe schon peinlicher Perfektion, auch wenn er körperlich schon weit entfernt davon war, noch als Teenager durchzugehen.

      Pappke war ein Riesenbaby - vollgefressen, frustriert und mit einer wahren Invasion der bereits erwähnten Pickel garniert. Er bekam von allen Seiten jeden nur erdenklichen Schnickschnack in den Allerwertesten geschoben und vertrieb sich die Zeit meist damit, irgendwelche blutrünstige Computerspiele auf seinem Handy zu spielen. Stundenlang, bis ihm der Sabber aus dem Mund quoll. Anschließend griff er sich dann willkürlich irgendeinen Schüler und verprügelte ihn.

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      Kein Wunder also, dass er längst auf den Alle-auf-Valentin-Kraus-Zug aufgesprungen war. Zwei Handlanger, die kaum mehr Intelligenz ausstrahlten, begleiteten ihn an diesem Morgen.

      "Das is´n Schwächling, Pappke. Hau ihn platt!"

      Valentin versuchte, die Provokationen zu ignorieren - was natürlich nicht gelang. Und so kam es, wie es kommen musste. Er wurde von hinten angerempelt.

      "He, mach´s Maul auf, wenn ich dich was frage, du Loser!", brüllte Pappke und trat seinem Opfer von hinten in die Beine. Worauf Valentin ins Straucheln geriet und über die erste Stufe der Eingangstreppe stolperte.

      "Hahahaha! Was für ein Depp!", amüsierten sich die drei in einer Menge johlender Schüler. "Zu blöd zum Laufen, der Trottel. Ja, mach schön deinen Diener vor deinem Herrn, du Null."

      "Lass mich in Ruhe, du Idiot!", rief Valentin und versuchte, sich wieder aufzurichten. Doch das Riesenbaby war ihm längst mit dem Fuß auf den Rücken gestiegen und machte dabei Posen wie ein Jäger, der seine Jagdtrophäe präsentiert.

      "Du bleibst jetzt mal schön unten. Dort, wo du hingehörst", höhnte der Widerling.

      "Mach ihn fertig!", grunzte einer der beiden Handlanger.

      "Shit. Lehrer im Anmarsch!", rief der andere, worauf sich Pappkes Fuß sofort vom Rücken seines Opfers löste.

      "Glück gehabt, Kraus", zischte er. "Aber mach dir keine Hoffnungen. Beim nächsten Mal hau ich dich platt, kapiert?"

      "Danke, ich kann´s kaum erwarten", stöhnte Valentin und wischte sich den Dreck von den