Matthias M. Rauh

Die vom Tod verschmähte Katze


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an ihrem linken Fuß neongelb mit weißen Streifen, während ihr rechter Schuh voll und ganz einem hellblau-grünen Karomuster erlegen war. Mafalda hatte also zweifellos ihren eigenen Stil, war damit aber, um es einmal vorsichtig zu umschreiben, ebenfalls nicht gerade Top of the Pops. Von gehässigen Schülern wurde sie nur Abfalltüte genannt. Aber wenn Mafalda eines perfekt beherrschte, dann war es die Kunst, derartige Angriffe einfach an sich abprallen zu lassen. Sie zuckte dann meist nur mit den Schultern oder ließ kurz ihre Zahnspange blitzen.

      "Na ja, geht so", versuchte er, die Einzelheiten seiner Ferien zu verschlucken.

      "Ich war in einem Verein, der Esel dressiert", sagte sie.

      "Oh", erwiderte Valentin. "Das ist ja...toll."

      "Na ja", antwortete sie und zuckte wieder mit den eben erwähnten Schultern. "Hat nicht viel gebracht, war aber trotzdem lustig. Und wo warst du?"

      Beinahe hätte er "auf dem Friedhof" gesagt. Er konnte sich aber gerade noch zügeln und suchte nach den passenden Worten.

      "Ähm...nirgends. Dies und jenes halt. Nur ein wenig gearbeitet. Hatte aber auch was mit Tieren zu tun." Er meinte natürlich die Papierkäferlarven, die Krähen und die verdammte Katze.

      "Ah, dann hast du also in einer Tierhandlung ausgeholfen."

      "Tierhandlung? Jaaah", log er. "So ähnlich."

      Eine kleinere Schülergruppe lief an ihnen vorbei und amüsierte sich dabei köstlich. Aber Mafalda hatte natürlich längst bemerkt, um wen es dabei gerade ging.

      "Ich würde das einfach ignorieren", riet sie ihm. "Solche Geschichten kommen und gehen..."

      "Welche Geschichten denn?", wollte er wissen.

      "Ach, du weißt schon", wand sie sich. "Ich finde das ja gar nicht so schlimm. Aber du hättest besser eine gelbe Hose dazu angezogen, dann wäre es vielleicht nicht ganz so..."

      "Wovon redest du?"

      "Hmmm...na ja", rang sie nach Worten. "Von dem Anzug, den du..."

      "Moment mal?", fuhr Valentin entsetzt herum. "Welcher Anzug denn?"

      "Ach, es hat ja sowieso keinen Sinn", ließ sie die Katze endlich aus dem Sack. "Ich wollte das Bild ja runterreißen. Aber sie haben mich nicht gelassen. Und jetzt hängt es halt noch immer am Schwarzen Brett. Und auf dem Schulhof. Und im ersten Stock und im zweiten Stock, und online bist du auch noch und..."

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      "Waaas?"

      Als der Gong ertönte, machten sich die Schüler auf den Weg. Übrig blieb ein niedergeschlagener Junge, der unter den Augen eines knallbunten Mädchens ein ausgedrucktes Bild von der Wand riss - ein Bild von einem Jungen in einem höchst seltsamen Anzug, auf das man zu allem Unglück auch noch den Satz Trottel des Monats gekritzelt hatte.

      "Schlimm?", fragte das Mädchen mit kugelrunden Augen.

      "Schlimm", sagte der Junge und knüllte das Bild zusammen.

      Kapitel 11 - Clumsy Kraus

      Das kleine rote Blatt war den Launen der Natur völlig hilflos ausgeliefert. Wild taumelnd wurde es vom Sturm über einen zerfurchten Acker getrieben. Es überwand den alten, ewig zitternden Lattenzaun, stieg dann wie ein Papierdrachen in den Himmel und schloss sich einem Wirbel aus weiteren blinden Passagieren an - für einen schaurig schönen Tanz im Schatten einer Gewitterwolke. Ein verirrter Sonnenstrahl zauberte daraus einen glühenden Kreisel, ein Kunstwerk in Gold und Rot, erschaffen, um zu explodieren, wie ein Feuerwerk.

      Von seinem Fenster aus hatte Valentin nun oft Gelegenheit, das wilde Treiben am Himmel zu beobachten. Der Schulalltag zwang ihn jetzt wieder regelmäßig an seinen Schreibtisch. Er hasste es.

       Krach!

      Gerade, wenn es ums Rechnen ging, war er nicht gerade das, was man ein Naturtalent nennt. Sein Lehrer hatte einmal gesagt, er sei ein hoffnungsloser Träumer, der es nie zu etwas bringen würde. Und so sehr er den glatzköpfigen Zahlenverdreher auch verabscheute, er hatte wohl Recht gehabt.

      Es war inzwischen Mittwoch geworden. Wie erwartet, verzweifelte der ewige Träumer schon wieder an einer Aufgabe, die einfach keinen Sinn ergab. So ließ er seine Gedanken treiben, durchs Fenster und weit, weit weg, bis an den Horizont.

       Krach! Krach! Krach..!

      Ein infernalisches Blitzstakkato hatte die brodelnde Landschaft für einen Augenblick in ein gespenstisches Theater verwandelt. Bäume wurden zu Scherenschnitten, Krähen zu Gespenstern. Und schon bat ein Sonnenstrahl den nächsten Kreisel glühenden Laubs zum Gewittertanz.

      Seit Sonntag tobte das Gewitter nun schon - vier Tage lang, und Besserung schien kaum in Sicht zu sein. Er schaltete das Radio ein, denn es war Zeit für den Wetterbericht.

      Und da haben wir gute Nachrichten, frohlockte die äußerst verrauschte Wetterfee. Die Wolkenlücken...srrb werden immer größer...srrb, und die Nacht wird weitgehend sternenklar. Morgen soll es dann bei angenehmen 24 Grad doch tatsächlich einen prächtigen Spätsommertag geben. Die weiteren Aussichten sind auch hervorragend: Am Freitag...srrb Sonnenschein von früh bis spät...glucks...

       Krach!

      Valentin schaltete das Radio ab und versuchte sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Doch die Aufgaben sollten ein Buch mit sieben Siegeln bleiben. Niedergeschlagen betrachtete er sein Spiegelbild auf dem dunklen, von Regentropfen übersäten Fenster.

      Natürlich gab es einen Grund für seine Geistesabwesenheit. Mafalda hatte ihn ausdrücklich davor gewarnt, auch nur einen Gedanken an diese Sache zu verschwenden. Aber er konnte dieses Thema einfach nicht ignorieren. So schob er die unlösbaren Aufgaben zur Seite und schaltete seinen Computer ein. Mit zitternden Fingern tippte er in der Suchmaschine auf den Buchstaben C. Dann folgten l und u und schließlich der Rest des Begriffs Clumsy Kraus. Er drückte auf OK und verfluchte sich dafür. Zu spät...

      Schon erschien ein dünner Ladebalken auf dem Monitor, der sich stahlgrau verfärbte und schließlich die Gestalt blitzenden Stahls annahm. Der stählerne Balken stieg bedrohlich an, vervollständigte sich und sauste schließlich auf ihn herab wie das Fallbeil einer Guillotine.

       Runter mit seinem Kopf!

      Und schon fiel Valentins abgeschlagenes Haupt zu Boden, rollte ein wenig und starrte dann mit weit aufgerissenen Augen auf das bunte Bild mit dem dummen Jungen, der nun für alle Welt seinen altmodischen Anzug präsentierte...

      "Was wischst du denn da für ein komisches Zeug vom Fenster?", rief die Stimme eines Mädchens, das neben dem Tollpatsch auch noch die obersten Kugeln von einem Erdbeereis filmte. Platsch!

       "Vogelkacke", gab der Dummkopf zu und ließ die Schultern hängen. Das Kamerabild begann nun zu wackeln, da das Mädchen mit dem Eis vor Lachen fast umfiel.

      Vogelkacke - so hieß der Film der neuen Seite, die man passenderweise Clumsy Kraus genannt hatte. Clumsy Kraus war beliebt und hatte mittlerweile 1229 begeisterte Fans - schließlich wurde auf Clumsy Kraus so einiges geboten. Neben dem Film gab es nämlich auch ein kleines Spiel, in welchem man dem dummen Jungen lustige Kleider anziehen konnte. Vom Matrosen-Anzug bis hin zum Suppenkasper war alles aufgeboten, was der Kleiderschrank hergab. Der Phantasie waren also keine Grenzen gesetzt, wenn man Clumsy Kraus verunstalten wollte. Und es war zweifellos gut gemacht.

      Hier hatte sich jemand wirklich Mühe gegeben und seiner Kreativität freien Lauf gelassen, mit viel Liebe zum Detail. Wahrhaft! Was für ein dämlicher Trottel!

      Der dumme Junge schaltete seinen Computer aus und setzte seinen abgeschlagenen Kopf auf seinen Hals. Dann starrte er in die düstere Gewitterlandschaft, die nun keinem Sonnenstrahl mehr auch nur eine Sekunde gewährte.