Matthias M. Rauh

Die vom Tod verschmähte Katze


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obligatorischen Smartphones in den Händen. Zwei Mädchen, die offenbar gerade eine gute Zeit hatten. Und zwei Mädchen, die einen Jungen in einem höchst lächerlichen Aufzug sahen...

      "Heee, duuu!!!", rief eine der beiden Schönheiten erneut. Im Spiegelbild der Fensterscheibe konnte Valentin erkennen, dass sie ein Schmetterlings-Tattoo am linken Oberarm trug.

      "Ich?", stammelte er unbeholfen und wünschte sich ganz schnell in das Gewächshaus mit den indischen Lupinen zurück.

      "Ja, dich meine ich! Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du wie ein gebügelter Clown aussiehst?"

      "Häää?", fuhr er aus allen Wolken, während die Mädchen in wildes Gelächter ausbrachen. Entsetzt blickte er auf seinen antiquierten Sonntagsanzug herab. Dunkelgrüüün...

      "Ähm, ich...Verzeihung!"

      Worauf die beiden Blondinen erst richtig losprusteten: "Verzeihung! Pahahaha..!"

      "Jetzt verrate mir mal eines", rief das Mädchen mit dem Tattoo, dem der Lachanfall nun schon die Tränen in die Augen trieb. "Was in aller Welt bewegt einen Menschen nur dazu, einen so derart lächerlichen Fetzen anzuziehen? Jobbst du etwa als Couchgarnitur?"

      Wieder bogen sich die beiden vor Lachen.

      "Und was wischst du denn da für ein komisches Zeug vom Fenster?", rief ihre Freundin.

       Platsch! Volltreffer!

      "Vogelkacke", gab Valentin niedergeschmettert zu und ließ die Schultern hängen. Die Mädchen fielen vor Lachen fast um.

      "Steht dir gut!", quietschte das Mädchen mit dem Tattoo vergnügt. "Und noch viel Spaß mit deiner...Vogelkacke. Pahahaaa!"

      Dann nahmen sie ihre Sonnenbrillen aus den vom Sommerwind umgarnten Haaren, wie in einem Werbespot, setzten sie auf und zogen kichernd weiter.

      "Das war jetzt mal ein richtiger Trottel!"

      "Ja, der war wirklich völlig bescheuert. Käffchen, Sweety?"

      "Käffchen..."

      Der plumpe Junge in dem besudelten Anzug blickte auf den Lappen, mit welchem er eben das Fenster abgewischt hatte und fühlte sich einfach nur erbärmlich. Zur falschen Zeit am falschen Ort - was für ein peinlicher Moment. Und wie ein Echo hämmerten nun die Worte des alten Antiquitätenhändlers durch seinen Kopf: Die Zeit ist durch nichts aufzuhalten, eine nicht zu bändigende Macht. Zeit kann nicht repariert werden. Wenn es zu spät ist, bleibt es zu spät. Es ist niemals wieder gutzumachen...

      Und er hatte vor Aufregung tatsächlich Verzeihung gesagt...

      Niedergeschlagen trottete er zurück zur Eingangstür und wischte sich den Dreck von seiner Schulter. Doch er sollte keine Gelegenheit bekommen, sich weiter über sein Unglück zu ärgern. Als er die Tür des Ladens öffnen wollte, packte ihn nämlich urplötzlich jemand am Arm und schob ihn rücksichtslos zur Seite.

      "Aus dem Weg!", herrschte ihn eine finstere Gestalt an und stapfte in wahrhaft unverschämter Art und Weise in Herrn Zacharias´ Laden hinein. Es war ein Landstreicher, der einen löchrigen Mantel trug und sich mit einem krummen Gehstock vorwärts hangelte. Die vermeintliche Behinderung schien ihn jedoch kaum zu beeinträchtigen, so schnell, wie er sich damit bewegen konnte. Sofort legte sich eine Schnapswolke in die Luft. Als ihm Valentin folgen wollte, drehte er sich um und donnerte: "Draußen bleiben, Freundchen!"

      Dann schlug ihm der Mann die Tür vor der Nase zu.

      "Danke, sehr nett", ärgerte er sich und rüttelte an der Klinke. Doch die Tür ließ sich nicht mehr öffnen, obwohl sie der Widerling nicht abgesperrt haben konnte. So sehr Valentin auch daran zerrte, sie war keinen Millimeter mehr zu bewegen.

      Da begann im Inneren des Ladens ein wilder Tumult.

      "Nun, Lester Zacharias, du weißt, weswegen ich gekommen bin. Rück sie raus, sofort!" brüllte der Riese.

      "Niemals!", schrie der Antiquitätenhändler. "Verlassen Sie sofort meinen Laden! Ich rufe die Polizei!"

      "Das wird dir nichts nützen..."

      So ungehobelt, wie sich der grobschlächtige Mann benahm, stand zu befürchten, dass er nicht lange fackeln und seinen Gegenüber schon im nächsten Augenblick umbringen würde. Valentin ließ von der Tür ab und versuchte, durchs Schaufenster zu erspähen, was im Laden vor sich ging. Der Ganove hatte den Antiquitätenhändler am Kragen gepackt und gegen eines der Bücherregale gedrückt.

      "Ich weiß, dass du sie in der Kammer dort versteckt hältst!", brüllte er. "Also, her mit dem Schlüssel!"

      Doch auf einmal drehte er sich um. Er schien gespürt zu haben, dass er beobachtet wurde. Sofort ging Valentin in Deckung, stolperte dabei und hoffte, dass ihn der Mann nicht gesehen hatte.

      "Wo ist der Schlüssel?", donnerte dieser abermals. Und als Valentin den nächsten Blick riskierte, geschah Ungeheuerliches: Ein Flattern legte sich ganz plötzlich über seinen Kopf - ein Geräusch, wie es nur tausend Flügel erzeugen konnten. Es waren die Krähen.

      Ja, die ganze Schar fiel in diesem Augenblick über ihn her, ganz so, als wäre sie von dem Widerling auf irgendeine geheimnisvolle Art und Weise befehligt worden. Ein riesiger Schwarm Rabenkrähen. Sie stürzten wie die Fallschirmjäger herab und hackten auf ihn ein. Das war zu viel. Entsetzt sprang er auf und ergriff schreiend die Flucht.

      Kapitel 2 - ...und der Tod nahm Platz im Ohrensessel

      Der Junge rannte und rannte. Doch zu Valentins Unglück erwiesen sich die Krähen als äußerst hartnäckige Verfolger. Sie scheuchten ihn quer durch die Altstadt und hackten weiter auf ihn ein - sehr zur Belustigung einiger Passanten, die den Jungen in dem seltsamen Anzug offenbar für eine Touristenattraktion hielten. Irgendwann aber ließ die Vogelschar von ihm ab und verschwand so schnell, wie sie gekommen war.

      Als der glücklose Tollpatsch schließlich völlig außer Atem zum Antiquitätengeschäft zurückkehrte, saßen seine gefiederten Feinde wieder ganz friedlich auf dem Dach des alten Stadthauses und zupften Kraut aus dem Kopf ihrer geliebten Vogelscheuche.

      Die Tür des Ladens ließ sich nun wieder anstandslos öffnen - ein Zeichen, dass der verrückte Riese längst das Weite gesucht hatte. Valentin machte sich dennoch auf das Schlimmste gefasst.

      Zu seiner Verwunderung befand sich das tickende Theater des peniblen Herrn Zacharias aber noch im selben Zustand wie vor dem Auftauchen des Landstreichers. Und wenn er erwartet hatte, einen zitternden oder gar toten Mann anzutreffen, lag er ebenfalls falsch. Was hatte ihm Herr Zacharias vorhin noch geraten? Haltung bewahren, in jeder Sekunde, so wie die Zeit...

      Und genau das tat er. Mit ruhiger Hand, ganz so, als wäre nie etwas geschehen, zog er eine goldene Taschenuhr aus einer Kommode.

      "Nun", sagte er, "Diese Uhr hier hat schon viel erlebt. Sie hat einmal meinem Großvater gehört, der sie beim Ausbruch des Krieges an meinen Vater weitergegeben hatte, mit der Bitte, sie stets im rechten Augenblick aufzuziehen. Er tat dies in weiser Voraussicht, für den Fall, dass er vielleicht stürbe, inmitten all der Wirren, die so ein Krieg eben mit sich bringt. Seitdem ist sie immer regelmäßig aufgezogen worden. Ich habe es kein einziges Mal vergessen..."

      "Hä?", machte sein schwitzender Angestellter und stammelte schließlich, weil ihm sonst nichts einfiel: "Und...ist er denn gestorben?"

      "Gewiss", sagte Herr Zacharias. "Der natürliche Lauf der Zeit ist in diesen Fragen immer unerbittlich. Haben Sie die Bücher schon alle sorgfältig abgestaubt, Herr...äh..?"

      "Hä?"

      "Sie schwitzen ja", stellte der Alte unvermittelt fest. "Ist es warm, draußen..?"

      Es machte keinen Sinn, den Antiquitätenhändler nach dem Grund der Auseinandersetzung zu fragen. Dieser Mann wäre wohl tatsächlich eher gestorben, als zuzugeben, dass hier, in seinem so akribisch geordneten Reich etwas nicht stimmte. Und noch weit weniger Sinn hätte