Nadja Christin

Natascha


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zog die Stirn in Falten und blickte ihn an.

      »Was hast du denn gesagt, oder getan. Hast du etwa Krach mit ihm angefangen im Bad?«

      »Tja, Frank stand wohl schon etwas länger vor der Tür und … na ja, er gab mir die Schuld dafür, was da passiert war. Ich antwortete etwas Unpassendes und dann ist er über mich hergefallen. War wohl alles nicht so toll.« Er grinste leicht.

      Ich schüttelte den Kopf, das alles verstand ich nicht und es ergab auch keinen Sinn.

      »Was hast du gesagt?«, fragte ich leicht irritiert.

      »Tascha, lass es uns doch einfach vergessen, ja.« Er stand auf und zog mich am Arm mit hoch. Er war wirklich stärker geworden. Jetzt könnte ich ihn mir nicht mehr so einfach vom Leib halten, wie heute Nacht.

      Sollte er noch einmal versuchen mich zu verführen, hätte ich Mühe, mich zu verteidigen. Ein kleiner Teil in mir wollte sogar, dass er noch einen zweiten Versuch startete. Ich kämpfte verzweifelt meine zweideutigen, irritierenden Gefühle nieder.

      Das alles war total verrückt.

      Kurze Zeit später saßen wir in meinem Mustang, diesmal auf dem Weg zu meiner Wohnung.

      Den braunen Umschlag mit unserem neuen Auftrag hatte ich achtlos auf den Rücksitz geworfen. Wir fuhren mit geschlossenem Verdeck, Der Himmel hatte sich verfinstert und in weiter Ferne hörte man schon das böse Grummeln und Knurren eines weiteren, herannahenden Gewitters. Es wird eine böse Nacht werden. So oder So.

      In diesem engen Käfig zusammen mit Justin eingesperrt zu sein bereitete mir fürchterliche Plagen. Ich konnte mich mit Justin nicht unterhalten, ich musste meine ganze Willenskraft zusammen nehmen, damit ich bloß keinen Versuch unternahm, um seinen köstlichen Geruch und Geschmack in mich aufzusaugen. Ab und zu warf ich aus den Augenwinkeln einen Blick auf Justin. Er starrte aus der Seitenscheibe, auf die vorbei flitzende Umgebung. Sein Hals sah verlockend aus, seine Haut, seine schöne makellose Haut schrie förmlich nach meinen Zähnen. Sein Blut darunter pulsierte mir rhythmisch entgegen: »Beiß mich, beiß mich, beiß mich.« Ich schluckte und verdrehte die Augen zur Decke.

      Langsam schüttelte ich den Kopf.

      Das Blut eines Menschen oder auch das von einem Halbblut zu begehren war eigentlich nichts Neues für mich, das ging mir ständig so.

      Aber hier, war irgendetwas anders, ich konnte es noch nicht erfassen, aber es fühlte sich … falsch an.

      Ich parkte mein Auto in der Tiefgarage. Die Familienkutsche von diesem Ralph stand noch neben meinem Parkplatz.

      Zu meiner Wohnung ging ich die Treppen hoch, mit Justin zusammen in diesem kleinen Aufzug eingesperrt zu sein, würde ich jetzt nicht ertragen können.

      Oben angekommen, begab ich mich in meine kleine Küche. Justin hatte es sich auf meinem Sofa gemütlich gemacht und verfolgte jeden meiner Schritte. Ich überlegte, ob ich mit ein bisschen Konservenblut, seinen Geruch besser aushalten und auch widerstehen könnte. Zum Glück hatte ich immer einen kleinen Vorrat in meinem Kühlschrank, damit er wenigstens etwas zu kühlen hatte. Ich riss mir eine Dose auf und schüttete die Hälfte in ein Glas, das ich der Mikrowelle anvertraute.

      Meiner Unhöflichkeit bewusst, sah ich Justin fragend an und hob die Dose hoch. »Auch was?« Er winkte ab.

      »Nein, Danke.«

      Als das zarte Pling ertönte merkte ich, wie gierig ich auf dieses rote Getränk war. Schnell stürzte ich das Blut herunter, das Glas war rasch wieder aufgefüllt, um erneut erwärmt zu werden. In meinem Körper breitete sich ein warmes Gefühl aus, ich glaubte, dass ich jetzt seinen Geruch besser ertragen konnte. Ich sah Justin an, der mich erneut mit diesen unergründlichen Augen musterte. Tiefe Brunnen, dachte ich.

      »Was?«, fragte ich ihn gereizt. Er wusste doch Was ich war, warum sah er mich so anklagend an?

      »Schmeckt das?«, fragte er wie beiläufig. Ich wusste genau, dass er das nicht wirklich fragen wollte, es plagte ihn etwas anderes. Ich sah mir das zweite Glas an und schwenkte das Blut leicht.

      »Ja«, antwortete ich kurz angebunden.

      Er seufzte, dann wurde sein Blick wieder lebendiger.

      »Wohin führt uns denn unser nächster Auftrag? Du hast ja noch gar nicht nachgesehen«, führte er tadelnd hinzu.

      Ich lachte kurz auf, da hatte er recht. Irgendwie verspürte ich kein großes Verlangen, diesen Auftrag auszuführen. Ich hatte mir selbst versprochen, nur noch einen Auftrag auszuführen, also musste es jetzt dieser sein. Genauso gut konnte ich aber jetzt sofort Schluss machen, ich war hin und her gerissen.

      Ich versuchte meine Gefühle zu verdrängen, nahm den Umschlag, den ich achtlos auf die Küchenanrichte geworfen hatte und riss ihn mit einem Ruck auf.

      Den gesamten Inhalt schüttete ich auf die Arbeitsplatte vor mir. Heraus fiel ein Bild, ein maschinengeschriebenes Blatt Papier, eine handgeschriebene Notiz und ein Stück Jeansstoff.

      Dennis

      Es traf mich wie ein Blitzschlag. Dieser Geruch, der von dem kleinen Stückchen Stoff zu mir hoch zog, dieses Gesicht auf dem Foto, beides kannte ich, beides war mir sehr vertraut. Es gehörte zu mir, es war von mir. Das Glas, das ich noch in der Hand hielt, zersprang in meiner Faust. Das restliche Konservenblut lief über meine Hand und tropfte auf den Boden. Ich merkte es kaum. Mein Blick war fixiert auf dieses Foto, und auf dieses Gesicht auf dem Foto. Um mich herum nahm ich nichts mehr wahr, die Zeit schien still zustehen. Wäre ich ein Mensch, ich wäre augenblicklich in eine dankbare Ohnmacht gefallen. Nur um meinen Blick von diesen Augen auf dem Bild abzuwenden. Damit ich endlich nicht mehr dieses Gesicht anschauen musste. Nur um nicht daran zu denken, dass es mein Auftrag war, diesen Jungen zu töten.

      Ich konnte nichts fühlen, ich konnte nicht mehr denken, in mir war nur noch Leere, eine furchtbare Leere, die meinen ganzen Körper einzunehmen schien.

      Ich starrte immer noch auf das Bild vor mir, nahm den Geruch war, diesen vertrauten, menschlichen Duft. Wie aus weiter Ferne hörte ich Justin:

      »Tascha?«, seine Stimme klang ein wenig ängstlich und verwirrt.

      »Tascha, was ist denn?«, er kam zu mir und legte den Arm um mich, ich bemerkte es kaum. Ich lauschte nur in diese Leere in mir, hörte tief unten aus meinem Innersten leise ein Wort. Es wiederholt sich immer wieder: NEIN. NEIN. NEIN.

      Justin neben mir schüttelte mich an der Schulter.

      »Tascha, was ist denn mit dir?«, er sah auch auf die verstreut liegenden Unterlagen.

      »Kennst du den Jungen?«

      Ob ich den kenne, dachte ich in diese Leere hinein, die mich komplett auszufüllen schien.

      Es war so, als wenn Justins Worte ein Echo in mir erzeugten. Immer wieder hörte ich die Worte: »Kennst du den Jungen« und meine Antwort darauf: »Ob ich den Jungen kenne?« Die Worte wurden immer lauter. Immer schneller hörte ich die Sätze, bis sie ein gemischtes Wortchaos waren, bis die Worte nur noch Unsinn ergaben.

      Erst dann konnte ich mich wieder bewegen. Langsam drehte ich meinen Kopf in Justins Richtung. Meine Muskeln und Sehnen am Hals schienen zu knarren und zu ächzen. Ich fühlte mich wie ferngesteuert.

      »Ob ich ihn kenne?«, wiederholte ich nun laut und meine Stimme klang krächzend.

      Ich blickte erneut auf das Bild.

      »Das ist mein Sohn, mein richtiger Sohn«, ich holte tief Luft. »Das ist Dennis.«

      Dennis, Dennis, Dennis, in meinem Kopf hallte sein Name wie ein Echo nach, und löste damit die unsinnigen Wortfetzen ab.

      Ich fühlte noch diese hohle Leere in mir, aber ich spürte schon, wie sie langsam von einem anderen Gefühl verdrängt wurde: Hass! Blinder, wütender, alles vernichtender Hass.

      Das wird sich besser anfühlen, dachte ich, damit