Nadja Christin

Natascha


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Hassgefühl, erwartete es sehnsüchtig, um mich damit einzuhüllen, um darin zu versinken und vielleicht auch zu ertrinken.

      Ich war noch nicht sehr lange ein Vampir erst zehn Jahre. Seltsam, wenn man sonst mit Vampiren sprach, oder von welchen hörte, waren alle immer mindestens über fünfzig Jahre schon verwandelt, die meisten noch viel, viel länger. Aber irgendwann haben alle mal angefangen, angefangen ein Vampir zu sein.

      Mein Entschluss stand damals sehr schnell fest, in das Reich der Verdammten zu wechseln.

      Ich hatte bei Frank als Sekretärin gearbeitet und war gut mit ihm ausgekommen. Irgendwann erzählte er mir von seinem wahren Wesen und ich war fasziniert.

      Wochenlang erklärte er mir die Vorteile ein Vampir zu sein. Die wenigen Nachteile wollte ich erst gar nicht hören. Ich freute mich schon auf mein neues Leben.

      Die Verwandlung selbst, zog sich über etliche Monate hin. Immer weiter veränderte ich mich, aber so langsam, dass es kaum einem auffiel.

      Kurz vor der Vollendung meiner Umwandlung entschloss sich Frank aber, mich sterben zu lassen.

      Ich musste sterben für meine Mitmenschen. Ich konnte nicht als fertiger Vampir weiter mit meiner Familie leben, als sei nichts geschehen. Er meinte, irgendwann würde ich mich nicht mehr beherrschen können und meine Kinder oder sonst jemanden in meinem nahen Umfeld beißen.

      Wie gut er mich damals schon kannte. Es wäre bestimmt so geschehen. Mit meiner Beherrschung war es heute auch noch nicht weit her.

      Ich hatte damals einen tödlichen Autounfall. Alles wurde perfekt arrangiert und der Unfallort hergerichtet. Meine Leiche wurde gespielt von einer Frau aus der Stadt, die keiner vermissen würde. Sie wurde von Frank ausgesucht, da sie eine gewisse Ähnlichkeit mit mir aufwies.

      Alles lief einfach perfekt, die Identifizierung, die Beerdigung, die Trauerfeier, alles hatte ich aus sicherer Entfernung beobachtet. Wer möchte nicht gerne sehen, wer alles zur eigenen Beerdigung erschien und wie sich die Hinterbliebenen ums Erbe stritten, es war das reinste Vergnügen für mich.

      Der einzige Wermutstropfen war, das ich zwei kleine Kinder von fünf und sechs Jahren hinterließ, die mein Mann zu versorgen hatte.

      Auch als ich schon für den Rest der Welt als tot galt, bin ich bei Frank geblieben, um in weitere Einzelheiten eingeweiht zu werden. Er erzählte mir von dem Kodex und dem Clan der Vampire. Er lud mich ein, einer von ihnen zu werden. Ich hätte auch ablehnen können, ich fragte mich nur, was Frank dann mit mir gemacht hätte. Er duldete keine Vampire um sich, die nicht dem Clan angehörten.

      Es war eine interessante, berauschende Zeit. In der wir fast jedes Wochenende wilde Feste feierten, mit appetitlichen Jungs und Mädchen als Partyhäppchen. Ich wusste bis heute nicht, wo dieser ständige Nachschub an Jugendlichen herkam.

      Einmal fragte ich Frank nach unserem Kodex und er antwortete mir mit einem Schulterzucken, das es alles Ausreißer, Dummköpfe und Kleinkriminelle sind. Die würde keiner vermissen.

      Wehret den Anfängen. Sozusagen.

      Meine Kinder sind jetzt Jugendliche, ich hatte meinen Mann und meine Tochter seit meinem Tod und der anschließenden Beerdigung, nicht mehr gesehen.

      Nur meinen Sohn musste ich vor zwei Jahren kurz wieder auf den rechten Weg geleiten. Zufällig hatte ich erfahren, dass er mit ein paar seiner Freunde einen Einbruch plante. Kurz vor ihrem Treffen habe ich ihm den Kopf ein wenig gerade gerückt. Er hatte mich nicht erkannt, da ich mich mittlerweile stark veränderte und er noch ein kleines Kind war, als ich … starb. Ich wollte um jeden Preis vermeiden, dass er auf die schiefe Bahn geriet.

      Wer weiß, vielleicht hätte ich ihn sonst als Partyhäppchen bei Franks Wochenend-Ausschweifungen wieder getroffen. Bis heute habe ich keinerlei Schandtaten von ihm gehört. Frank hatte ich nie von meinem kurzen Ausflug in die Menschenwelt erzählt.

      Er hätte es nicht gutgeheißen, er vertrat die Meinung, dass man in die Welt der Blutsäcke nicht einzugreifen hatte. Sie müssten ihr Leben ohne Beeinflussung durch uns meistern. Auch ihre Entscheidungen dürften nicht durch einen von uns durchkreuzt oder verändert werden. Nur wenn wir den Abschaum jagten, sollen wir mit der Menschenwelt in Berührung kommen.

      Ich zwinkerte kurz und schlug meine Augen auf. Dunkelheit hüllte mich ein. Ich lag auf meinem Sofa. Ich überlegte, wie ich dort hinkam.

      Wurde ich vielleicht doch ohnmächtig? Nein, das kann nicht sein, Vampire können nicht ohnmächtig werden. Ich horchte in mich hinein und hörte immer noch das leise Echo: »Dennis, Dennis, Dennis«

      Wie bin ich bloß auf dieses verflixte Sofa gekommen.

      »Na, wieder unter den Lebenden?«

      Ich zuckte zusammen, ich hatte Justin überhaupt nicht bemerkt Er stand direkt neben mir und grinste mich von oben herab an. Aber seine Augen machten diese Bewegung nicht mit. Seine unergründlichen, tiefen Brunnen sahen mich forschend an.

      Schnell setzte ich mich auf, mit einem Mal überkam es mich, schwappte die Erinnerung wie eine Welle über mich hinweg und riss mich mit. Ich krallte mich mit beiden Händen an dem Polster des Sofas fest, um nicht fort gespült zu werden.

      Ich schüttelte den Kopf um ihn frei zu bekommen und horchte erneut in mich hinein. Die Leere war weg, zum Glück. Der Hass war noch da. Aber im Moment war er ein weit entferntes, dumpfes Pochen. Damit konnte ich leben.

      Ich erhob mich und ging zur Küche.

      Der Inhalt des Umschlages lag verstreut auf der Arbeitsplatte.

      Ich überflog den Anfang der Information, die persönlichen Daten kannte ich schon und ging direkt zu den aufgeführten Taten:

      Angefangen mit kleineren Ladendiebstählen und Vandalismus. Dann wurde die versuchte Tat vor zwei Jahren erwähnt, also wusste man doch die ganze Zeit davon, dass ich Dennis damals von dem Einbruch abhielt, wie konnte ich nur so naiv, so dumm sein.

      Fast ein Jahr herrschte Ruhe um ihn, dann ging es wohl Schlag auf Schlag mit Raubüberfall, Erpressung, schwerer Körperverletzung, wieder Raubüberfall, Totschlag und sogar einem Mord weiter. Mein Söhnchen war in einem Jahr wirklich sehr fleißig, das musste man ihm lassen.

      Er war genau der Kandidat, den Frank früher auf unsere wilden Wochenendpartys eingeladen hätte. Eine kleine Tankstelle für Vampire, ein Taugenichts und Dummkopf, den keiner vermissen würde.

      Ich warf einen raschen Blick auf die handgeschriebene Notiz. Wie immer stand da Datum, Uhrzeit und der Ort, an dem er sich befinden wird. Der Ort war wieder unten am Fluss, diesmal das Gebäude Nummer 2. Das Datum war das von Übermorgen und die Uhrzeit war zwölf Uhr mittags.

      Niemals hatte ich einen Auftrag für tagsüber erhalten, immer spielte sich meine Jagd nachts ab. Immer.

      Nur, dass hier sowieso alles anders war.

      Ich blickte Justin an. »Wo sind das Foto und der Stofffetzen?« fragte ich gelassen. Seine Augen blickten gehetzt hin und her, er sah gestresst aus.

      »Die hab ich ins Klo geworfen. Du wirst sie nicht brauchen.«

      Ich blickte ihn grimmig an, aber gleichzeitig verstand ich, was er meinte. Ich brauche kein Foto um mich an das Aussehen meines Sohnes, zu erinnern. Ich brauche auch keine Geruchsprobe, um seinem Geruch zu folgen. Er hatte natürlich Recht.

      Ich suchte Justins Blick, suchte die unergründlichen, tiefen Brunnen um mich darin ein bisschen zu verlieren, um diesen Alptraum, in dem ich mich befand, kurz zu vergessen. Ich fühlte mich so allein, mir war nach ein wenig Gesellschaft.

      Er erwiderte meinen Blick, schaute mich von unten her an. Zuerst misstrauisch, dann glättete sich sein Gesicht und er kam näher. Nur wenige Zentimeter trennten unsere Körper voneinander. Mir genügte das schon, sein Geruch, seine Wärme, die sein Körper abstrahlte, das Rauschen seines Blutes. All das genügte mir, all das half mir schon. Ich hätte ihn gerne umarmt, hätte mich gerne von ihm umarmen lassen. Befürchtete aber, dass sich die Situation dann wieder verselbstständigt. So genoss ich, mit geschlossenen Augen, nur