Nadja Christin

Natascha


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hast du davon gewusst?«, fragte ich ihn leise.

      Er atmete scharf ein und packte mich an den Schultern. Seine Augen nagelten meine fest.

      »Tascha, natürlich nicht, wie kannst du nur so etwas denken.« Er ließ seine Arme sinken und fügte leise hinzu: »Ich dachte, du vertraust mir ein bisschen.« Traurigkeit lag in seiner Stimme.

      Ich ihm vertrauen, überlegte ich und atmete Justins Geruch tief ein. Wie kam er darauf, dass er mein Vertrauen gewonnen hatte? Ganz in Gedanken legte ich meine Stirn in Falten.

      Leise sagte ich: »Der letzte, der mein Vertrauen hatte, war Frank. Wohin das geführt hat sieht man ja.« Erneut packte Justin mich an den Schultern und drehte mich zu sich.

      »Tascha.« Ich öffnete meine Augen und sah tiefe Brunnen vor mir, ganz nah vor mir. Ob ich ihm vertraue, überlegte ich. Ich war so nah bei ihm, dass ich in seinen Augen mein Spiegelbild erkannte. Plötzlich wurde mir klar, dass ich ihm wirklich vertraute, mehr noch: Ich würde ihm mein Leben anvertrauen. Diese Erkenntnis traf mich wie ein Hammerschlag.

      »Tascha«, sagte Justin abermals. Er hatte wohl bemerkt, dass mein Blick abwesend und durch ihn durch ging. Ich blinzelte einmal und war wieder in der Wirklichkeit angekommen.

      »Ja?«, hauchte ich

      »Ich würde dir niemals wehtun, Tascha.« Er nahm mein Gesicht in seine warmen Hände und küsste mich flüchtig auf die Lippen. Für einen längeren Kuss reichte sein Vertrauen in meine Beherrschung wahrscheinlich nicht aus. Dann umarmte er mich. Auch ich schlang meine Arme um seinen warmen Körper. Es tat mir gut. Er tat mir gut.

      Wenn mir vor zwei Tagen jemand gesagt hätte, das ich einen Menschen umarme, ohne meine Zähne in seinen Hals zu schlagen, Ich hätte denjenigen nicht nur für völlig verrückt erklärt. Nein, ich hätte ihn getötet.

      Die Stille wurde unterbrochen von meinem Handy, das klingelte. Mechanisch ging ich ran. »Ja?«

      »Tascha?«, fragte die Stimme am anderen Ende der Leitung

      Ich versteifte mich in Justins Armen, und brüllte in das Telefon: »Frank. Du Schweinehund. Wie kannst du es wagen mich anzurufen.« Justin drückte mich fester an sich. Ich hörte wie sein Puls anstieg, sein Blut schneller rauschte.

      »Tascha, stell dich nicht so an. Wir sind die Putzkolonne, schon vergessen? Wir säubern die Stadt von all den Subjekten, die sie verunreinigt. Dass dein Sohn dazugehört, dafür kannst du mich nicht verantwortlich machen!«

      Ich fühlte, wie Wut und Hass in mir aufstiegen.

      »Du wirst dir sicher denken können, dass ich das nicht machen werde.« Im gleichen Augenblick wo der Satz meine Lippen verließ, wollte ich ihn gerne zurücknehmen. Ich wusste, es war ein Fehler.

      »Das macht nichts. Es gibt genug andere, die nicht so zimperlich sind. Dann schicke ich eben Thomas auf die Jagd.« Es knackte, er hatte aufgelegt. Ich hatte das dringende Bedürfnis, dieses verflixte Handy mit Wucht auf den Boden zu werfen. Aber ich widerstand diesem Drang und steckte es einfach wieder weg.

      Justin sah mich fragend an. Ich erzählte ihm von Thomas und was ich über ihn wusste. Es war sehr wenig.

      »Thomas wird Dennis jagen und er wird ihn erwischen«, fügte ich am Ende hinzu.

      »Wir müssen schneller sein, das ist alles.« Justin sah mich prüfend an.

      »Frank wird Thomas bestimmt eine andere Uhrzeit geben und einen anderen Ort, oder was meinst du?«

      »Ja, bestimmt. Thomas zu verfolgen hat gar keinen Sinn, wir müssen Dennis ausfindig machen und ihn verstecken. Nur so sind wir auf der sicheren Seite.«

      »Ja, du hast Recht, also los, wo ist dein Sohn jetzt?« Justin blickte auf seine Armbanduhr, »um sechs Uhr morgens?«

      Ich überlegte kurz. »Na ja, ich schätze im Bett, wenn er nicht wieder auf einem Raubzug ist.«

      »Okay, also auf zu seinem Bett, wo immer das auch sein mag.«

      »Es sind fast zwei Stunden Fahrt bis dahin«, wendete ich ein.

      »Na dann aber nichts wie los.« Justin zog mich am Arm aus meiner Wohnung. Ich sah ihn unverständlich an und fragte mich wieder einmal, was er verbarg, was ihn so plagte.

      Wir rannten die Treppen hinunter, zu meinem Mustang, sprangen hinein und ich fuhr mit quietschenden Reifen aus dem Parkhaus, aus der Stadt, in die Richtung, in der ich früher einmal lebte. Zurück in mein altes Haus.

      Dunkelheit umgab uns, das Gewitter war vorbei, aber die schwarzen Wolken bedeckten immer noch den Himmel und färbten ihn schwarz. Plötzlich fiel mir etwas ein.

      »Justin, was wird denn jetzt aus dir? Wie stehst du denn zu Frank? Immerhin bist du noch sein Halbblut«, fragte ich erstaunt. Überrascht, dass er noch nicht von selbst darauf zu sprechen gekommen war.

      Justin drehte nicht nur seinen Kopf zu mir, sondern fast seinen gesamten Körper. Er sah mich an.

      »Tascha, Frank hat mich auch gelinkt. Willst du immer noch wissen, warum er mir im Badezimmer die Wunden nicht verschlossen hat?«

      Ich konnte ihn nur verständnislos ansehen.

      Justin schmiss sich wieder in seinen Sitz und starrte nach vorne.

      »Er wollte, dass du mich erledigst. Frank wollte mich auf eine einfache und für ihn bequeme Art loswerden. Das ist der Grund. Außerdem hättest du ihm und der Obrigkeit, endlich einen triftigen Grund geliefert, dich aus dem Weg zu räumen.«

      Ich sah nach vorne auf die Straße und konnte es nicht glauben, was ich soeben hörte.

      »Frank will mich … töten?« Es klang in meinen Ohren nicht echt und ich sagte es direkt noch einmal.

      »Aber warum?«, dann durchzuckte es mich.

      »Und wie kommt es, dass du davon weißt?«

      »Fahr bitte rechts ran.« Justin starrte immer noch nach vorne.

      »Warum sollte ich. Ich will schnell zu Dennis.«

      »Bitte Tascha, fahr rechts ran. Ich hab dir was zu sagen und ich möchte verhindern, dass du das Auto um einen Baum wickelst, nur aus Wut über mich. Denn so möchte ich nicht sterben«, er grinste schief.

      Das Glück war mit ihm. Es kam gerade eine Pannenzone, ich steuerte den Wagen hinein, hielt an und stellte den Motor ab. Nur das leise Ticken war zu hören. Und Justins Blut, das viel zu schnell durch seinen Körper rauschte.

      Ich drehte mich halb zu ihm um. »Nun?«

      Justin nahm meine kalte Hand und legte sie in seine warme, dann bedeckte er sie mit seiner anderen Hand. Er sah mich wieder mit seinem unergründlichen, tiefen Augen an.

      »Tascha, letzten Monat wollte ich noch Selbstmord begehen, ich hatte nur einen Wunsch, aus dieser verdammten Welt zu verschwinden. Ich stand auf der Brücke, sie ist hoch genug und wollte springen. Da kam Frank, wie aus dem Nichts. Ich habe mich lange mit ihm unterhalten und er machte es mir echt schmackhaft, vor meinem Tod noch etwas für ihn zu erledigen. Ich weiß nicht mehr, wie er mich dazu gebracht hat. Aber er hat es letztendlich geschafft. Er weihte mich ein und machte mich zu seinem Halbblut, oder … besser gesagt zu seinem Diener.« Justin legte eine kurze Pause ein.

      »Weiter«, drängte ich. Er löste seinen Blick von meinem und sah erneut durch die Frontscheibe in die Dunkelheit. Ohne meine Hand loszulassen fuhr er fort:

      »Es war alles inszeniert. Die Blondine, die er dir geschickt hat, die Versammlung, unser kleines Geplänkel draußen vor der Tür, meine Angst. Alles nur gespielt, für dich gespielt.« Ich entziehe ihm meine Hand, seine klatschen leise und leer aufeinander.

      »Alles nur … . gespielt?«, fragte ich ungläubig.

      »Ja, oder vielmehr … Nein«, er blickte zu mir, ich konnte ihm jedoch nicht in die Augen sehen, ich starrte ins Nichts.

      »Nein, das war nicht richtig,