Nadja Christin

Natascha


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und ging langsam tiefer. Küssend näherte sich mein Mund seinem Hals. Der unversehrten Halsseite. Ich atmete seinen Geruch ein, strich mit der Nase über seine Halsseite, küsste ihn genau auf die Stelle, an der unter der weichen Haut seine Ader pulsierte. Ich merkte, wie er schluckte.

      »Versuch mir zu verzeihen.«

      Das war der letzte Satz, den Justin in seinem menschlichen Leben hörte. Meine Zähne schlugen sich durch seine zarte, fast durchscheinende Haut. Kurz bäumte er sich in meinen Armen auf und stöhnte. Ich trank sein Blut, saugte es schnell in mich hinein. Ich musste mich konzentrieren, genau darauf achten, wann ich aufzuhören hatte. Es musste alles schnell gehen. Sehr schnell, sonst war Justin verloren und das für immer. Wenn ich einen Fehler machte und er sich in ein blutrünstiges, mordendes Monster verwandelte, würde er noch heute als dritte Fackel auf dieser schönen Lichtung enden.

      Ich spürte genau, wie er in meinen Armen starb, wie der letzte Rest Leben aus ihm herauslief. Gleich war nichts mehr in ihm. Keine Seele, keine Persönlichkeit, kein Lachen … kein Leben.

      All das hatte ich ihm weggenommen, hatte es in mich aufgesaugt.

      Ich war bereit, ihm alles zurückzugeben. Gemischt mit meiner Persönlichkeit, meinem Lachen, meiner Seele.

      Ich war fertig und legte Justin auf den weichen Boden. Sein Gesicht war schneeweiß, kein Atemzug bewegte seinen Brustkorb.

      Er war tot, wirklich tot.

      Ich hob meinen Unterarm an die Zähne, betrachtete Justins Gesicht, er sah so friedlich aus, so glücklich.

      Ich zögerte kurz, sollte ich hier Schluss machen, sollte ich ihm seinen Frieden lassen?

      Nein, auch er hatte sich für diesen Weg entschieden, darum wollte ich auch so dringend eine Antwort von ihm. Damit ich es ruhigen Gewissens verantworten konnte. Vor allem vor mir, dass ich ihn zu ewiger Verdammnis zwang. Ihn in ein Geschöpf der Nacht verwandelte.

      Kräftig biss ich in mein Handgelenk, direkt über den Pulsadern. Sofort sprudelte mir Blut entgegen. Ich hielt die offene Wunde an seinen Mund, drückte seine Lippen und Zähne auseinander und zwang ihm so mein Blut auf.

      Es wird sich in seinem Mund sammeln und in seinen Magen laufen. Dort wird es seine Arbeit verrichten, oder auch nicht, wenn ich zu lange zögerte und den richtigen Zeitpunkt verpasste.

      Es lag nun nicht mehr in meiner Macht. Alles, was ich konnte, habe ich getan. Nun konnte ich nur noch abwarten.

      Ich zog meine Hand zurück, verschloss die Wunde und hob Justin hoch, trug ihn wie ein kleines Kind. Er hing schlaff in meinen Armen.

      Ich trug ihn in den Wald hinein.

      Unter einem Baum ins trockene Moos legte ich ihn ab, lief zurück zu der Lichtung, nahm das Richtschwert und meine Machete an mich. Ohne einen Blick auf die noch glimmenden Vampire zu werfen, ging ich wieder zu Justin, setzte mich zu ihm unter den Baum und bettete seinen Kopf auf meinen Schoß.

      Jetzt begann das Warten.

      Das Warten auf die Verwandlung und welches Ende sie nehmen würde.

      Ich war erschöpft, völlig erledigt. Was stand mir heute Nacht noch bevor? Wie wird diese Nacht enden? Ich lehnte mich an den rauen Stamm des Baumes und wartete.

      Es war bereits Nachmittag, als Justins Körper anfing zu zucken. In regelmäßigen Abständen durchlief ihn eine neue Schmerzenswelle. Ganz langsam verschlossen sich die Wunden, die seinen Körper überdeckten. Ab und zu stöhnte er leise. Gespannt beobachtete ich sein Gesicht.

      Immerhin schien die Verwandlung funktioniert zu haben, ich habe ihn aus dem Reich der Toten geholt, wohin ich ihn zuerst schickte. Jetzt kam es nur noch darauf an, wie er zurückkehrte. Wie würde er sein, was für ein Vampir würde er werden?

      Kurz vor Sonnenuntergang, die Schatten waren schon sehr lang geworden, öffnete er plötzlich seine Augen. Sie waren immer noch braun.

      Ich war erstaunt, ich hatte mit gelben, raubtierartigen Augen gerechnet. Er starrte an mir vorbei in die Baumkrone hoch. Langsam glitt sein Blick den Stamm herunter, bis er in meinem Gesicht anhielt. Unwillkürlich musste ich schlucken, so durchdringend hatte er mich noch nie angesehen. Sein Gesicht war angespannt. Unverwandt starrte er mich an. Ich musste irgendetwas zu ihm sagen, ich musste diese Stille, diese gespannte, gefährliche Stille durchbrechen. Krampfhaft suchte ich nach einem sinnvollen Satz in meinem Kopf.

      »Na, wieder unter den Lebenden?«

      Was anderes fiel mir auf die Schnelle nicht ein. Meine Stimme sollte fröhlich klingen, aber sie klang ängstlich. Sein Blick war nachdenklich auf mich gerichtet, als wenn er überlegen musste, wer ich war und ob er mich schon einmal gesehen hatte.

      Dann, endlich schien er mich zu erkennen und sein Gesicht entspannte sich, sein Mund verzog sich zu einem Lächeln und, was das Schönste war, seine Augen lachten mit.

      »Ja, mir geht’s ganz gut.« Er richtete sich auf und sein Oberkörper schwankte noch ein bisschen. Er fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare, mit dem Erfolg, das sie nach allen Richtungen abstanden. Dann blickte er mich an.

      »Und wie geht es dir?«

      »Jetzt gut.« Ich grinste ihn an, ich konnte einfach nicht anders, »jetzt geht es mir richtig gut.« Ich fing an zu lachen, lachte aus vollem Hals. Ich hielt mir den Bauch vor lauter Gelächter, so erleichtert war ich. Die ganze Anspannung der letzten paar Stunden, als ich über seinen, in der Verwandlung befundenen Körper, wachte, war wie weggeblasen.

      Es schien geklappt zu haben, er war kein … böser Junge geworden, kein Monster, er roch sogar fast noch genau wie vorher.

      Ich konnte einfach nicht anders, ich umarmte ihn und hielt ihn leise lachend fest. Er erwiderte meine Umarmung, wenn sich auch auf seinem Gesicht Erstaunen über meinen Ausbruch breit machte.

      Justin seufzte. »Du bist das Beste, das ich je erlebt habe«, er blickte mich an, seine Augen strahlten. »Es hat sich gelohnt, dafür zu sterben.«

      »Justin«, flüsterte ich und lehnte mich an ihn. »Ich bin so froh, dass es dir gut geht.« Ich strich mit meiner Wange über seine Halsseite, atmete seinen Duft ein.

      Er griff mit seiner Hand in meine Haare. Dann legte er seine kühlen Hände rechts und links an mein Gesicht, augenblicklich hatte ich das Gefühl, als stünde ich in Flammen, er blickte mir tief in die Augen.

      »Tascha, Liebes, du hast Großartiges vollbracht. Du hast mich gerettet. Ich liebe dich.«

      Er näherte sich meinem Gesicht und unsere kalten Lippen berührten sich.

      Es war ein ganz anderes Gefühl als das letzte Mal, da floss noch Blut durch seine Adern, er war noch menschlich, lebendig.

      Ich näherte mich ihm heftig und erwiderte den Kuss.

      Wir ließen uns gemeinsam auf das weiche Moos sinken. Er zog mich auf sich drauf. Ich ließ es nur zu gerne zu.

      Irgendwann trennten sich unsere Lippen. Ich legte meinen Kopf auf seine Brust und lauschte seinem Atem darin. Nur das Atmen, sonst hörte ich nichts. Es hörte sich gut an, kein verlockendes, rauschendes Blut, kein Herzschlag mehr. Nur noch sein Geruch, der mich einhüllte und mich verführte.

      Wir lagen eine Zeitlang einfach so da und hingen unseren Gedanken nach. Die Sonne war mittlerweile untergegangen und eine tröstliche Dunkelheit hüllte uns beide ein.

      Mit einem Schlag wurde mir wieder bewusst, warum ich eigentlich hier war und was ich noch zu erledigen hatte. Schnell erhob ich mich und klopfte mir den Staub aus der Hose.

      Justin lag noch auf dem Boden und blickte mich von unten her an. Ich hielt ihm meine ausgestreckte Hand hin, um ihm aufzuhelfen.

      Die Dunkelheit hüllte uns ein wie ein Mantel, verbarg uns. Wir hatten über zwölf Stunden Zeit verloren, ich hoffte dass es noch nicht zu spät war, um meinen Sohn zu retten.

      »Komm jetzt«, murmelte Justin und nahm meine Hand

      Wir lächelten uns an, in dieser