Nadja Christin

Natascha


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Sommernacht, der Wald, und Justin. Meine Augen strahlten bestimmt, als ich sie wieder öffnete.

      »Los jetzt«, sagte ich und wir rannten los.

      Es war herrlich, wir liefen durch die Nacht, waren gleich schnell und lachten uns immer wieder zu.

      Rasch ließen wir den Wald hinter uns, vorbei an meinem einsam geparkten Mustang und rannten auf mein altes Haus zu.

      Kurz davor hielt ich an, Justin neben mir auch. Es war merkwürdig, das Haus, die Umgebung, alles war mir so vertraut und doch auf eine eigenartige Weise völlig fremd. Ich versuchte den Geruch von Dennis aufzunehmen, er war nur in kleinen Spuren vorhanden. Geruchsfetzen, die immer wieder an meiner Nase vorbei wehten.

      Ich befürchtete, dass Dennis nicht zu Hause war. Aber wo konnte er nur sein, dieser kleine Verbrecher, wo trieb er sich herum? Ich sah Justin an und zuckte mit den Schultern.

      »Ich glaube, er ist nicht mehr hier«, flüsterte ich ihm zu. Er legte seine glatte Stirn in Falten.

      »Was meinst du, wo er jetzt ist? Wo können wir nach ihm suchen?« In seiner Stimme schwang Ratlosigkeit mit.

      Ich überlegte blitzschnell, in meinem Kopf tauchten Bilder auf, von vor zwei Jahren, als ich mir Dennis zur Brust nahm. Eine Kneipe, ein Hinterhof, ein Gesicht, sein Freund, eine Straße, eine Adresse in der Stadt.

      »Ich weiß, wo ein Freund von ihm wohnt, vielleicht sind die beiden ja immer noch befreundet und er ist jetzt bei ihm?« Zweifelnd sah ich Justin an, ich wusste im Moment nicht weiter.

      »Ja, okay wir werden sehen.« Abrupt drehte er sich um und rannte schon zurück zu meinem Wagen. Ich war erstaunt, gewöhnte mich erst langsam an den veränderten Justin.

      Kurz vor dem Mustang hatte ich ihn eingeholt.

      Zweifel stieg in mir auf, was hatte ich eigentlich genau vor, wenn wir Dennis finden würden? Ihn entführen? Ihn verstecken? Vor wem denn genau? Wen wird Frank zu Dennis’, und wahrscheinlich unserer, Hinrichtung schicken? Oder kam er wohlmöglich selber? Fragte ich mich grimmig.

      Justin blickte mich besorgt an.

      »Was ist los?«

      Ich seufzte, dann fragte ich ihn all die Dinge, die ich mir gerade selbst gestellt hatte.

      Während wir einstiegen, sah ich, wie Justin ins Grübeln kam. Ich fragte mich, ob er sich vorher keine Gedanken darüber gemacht hatte. Oder hatte er etwa so ein Urvertrauen in mich gesetzt, dass er meinte, ich wüsste schon, was zu tun sei, ich wüsste bereits einen Ausweg? Da musste er sich aber auf eine Endtäuschung vorbereiten.

      Im Moment kam ich mir eher hilflos, unorganisiert, schwach und … ja richtig menschlich vor. Ein ekelhaftes Gefühl! Das wollte ich nicht! Dieses Gefühl hasste ich!

      Wir saßen schweigend nebeneinander, als ich wieder zurück in Richtung Stadt raste.

      Es war noch nicht sehr lange her, obwohl es mir wie Jahre vorkam, da fuhren wir in die entgegengesetzte Richtung. Doch da waren wir nicht dieselben wie jetzt.

      Er war noch ein Mensch, wenn auch nur ein halber, aber ein Mensch, ein atmender Kerl mit Herzschlag. Jetzt war er ein Vampir, so schnell änderten sich die Zeiten.

      Und ich? Ich war auch nicht mehr dieselbe wie vor, ist es wirklich nicht schon viel länger her, zwölf Stunden.

      Die Aussprache mit Justin, Thomas und Elisabeth, der Kampf, Justin, wie er in seinem Blut lag, wie er schließlich starb und dann seine Verwandlung.

      All das hatte mich verändert, ich wusste genau, dass ich nicht mehr zurück wollte, oder konnte, zu dem Clan der Vampire. Ich wollte keine Verbrecher mehr jagen. Es war endgültig vorbei, ich hatte meine Lektion gelernt.

      Zu leicht konnte man den Oberen des Clans verärgern … zu leicht konnte man dabei sterben.

      Josh hatte Recht, alles ist besser als der Clan. Ein freies Dasein, ohne Regeln, ohne Hintertüren, das war eindeutig mehr wert. Wenn ich Dennis in Sicherheit wusste, werde ich zu Josh gehen und mich ihm anschließen.

      Leichthin fragte ich Justin in die Stille hinein, die uns umgab:

      »Sag mal, was hast du eigentlich vor, wenn …« Ich suchte nach Worten, »wenn das hier vorbei ist.« Ich glaubte er wusste genau wie ich das meinte.

      Er schaute mich an und nahm meine Hand, die locker auf dem Schalthebel lag. Statt einer Antwort küsste er mir auf den Handrücken, mehrmals. Dann ging er über, zu der Innenseite am Handgelenk, immer weiter streichelten seine Lippen über meine Haut. Dann hielt er inne und blickte mich von unten her an.

      Was für Augen, dachte ich bei mir, die tiefsten Brunnen, die es gab. Aber ich blieb an der Oberfläche, die Brunnen konnten mich nicht mehr mit in ihre unergründliche Tiefe ziehen.

      »Ich möchte gerne dort sein, wo du bist«, flüsterte er mir zu und küsste mich erneut, diesmal in die Armbeuge.

      Er nahm seinen Blick nicht von mir. »Wenn du das möchtest.«

      Ob ich das möchte, fragte er. Ich starrte durch die Frontscheibe auf die dunkle Straße vor uns. Ich überlegte, ob ich das wirklich wollte. Bei all der Liebe, dem gegenseitigen Vertrauen, der Gleichheit unser beider Daseins, dem wilden, verrückten Feuer, …wollte ich wirklich mein einsames Leben aufgeben?

      Ihn zum Gefährten haben, hieß nicht nur, zusammen jagen und wildern, sondern auch die Beute teilen.

      Wollte ich das wirklich?

      Justin hatte noch keine Vampirerfahrungen sammeln können. Er wusste noch nicht, was auf ihn zukam. Was war, wenn wir in Streit gerieten, vielleicht über ein nettes, schmackhaftes Blondinchen. War ich wirklich bereit zu teilen? Wird er in ein paar Monaten auch noch bereit sein, zu teilen? Oder versuchen wir dann schon uns gegenseitig die Köpfe abzureißen?

      Neben mir wurde Justin ungeduldig, er ließ meinen Arm sinken, und sah mich mit zusammengekniffenen Augen an. Auch ich blickte jetzt zu ihm und musste unwillkürlich lachen. Mit einer Hand strich ich ihm über die Wange, bis zu meiner Lieblingsstelle, seinem Hals. Justin schloss genüsslich die Augen.

      »Ja, natürlich möchte ich, dass du bei mir bist.« Ich grinste immer noch, »solange wir das beide wollen.«

      »Das ist schön.«

      Ich wusste nicht genau, ob er meine Antwort, oder meine kalten Finger auf seiner Haut meinte.

      Ich wollte wirklich, dass er bei mir blieb, wurde mir plötzlich schlagartig klar. Nicht nur weil er mir Vertrauen und Liebe entgegenbrachte. Nicht nur weil wir beide die gleichen Wesen waren, mit denselben, fast unkontrollierbaren Gelüsten.

      Nein!

      Weil ich einfach wollte, dass er in meiner Nähe war. Seinen Geruch, seine Nähe, ich wollte alles an ihm bei mir haben.

      Über meine Motive war ich mir nicht ganz im Klaren, liebte ich diesen Kerl etwa? Fragte ich mich erstaunt. Wusste aber bereits in derselben Sekunde, dass das nicht so war. Ich dachte nicht, dass ich überhaupt fähig war jemanden zu lieben. Ich mochte Justin einfach nur bei mir haben, solange, bis es nicht mehr ging.

      Vielleicht auch nur, weil ich es zurzeit nicht mehr ertrug, alleine zu sein.

      Langsam lenkte ich meinen Wagen durch die dunklen Straßen der Stadt. In Richtung der Adresse, die ich von damals her noch im Kopf hatte. Hoffentlich fanden wir Dennis dort, oder wenigstens einen Anhaltspunkt, wo er sein könnte.

      Justin neben mir schien in Gedanken versunken, ab und zu bemerkte ich, wie er angestrengt die Stirn runzelte. Ich fragte mich, über was er so intensiv nachdachte.

      Vielleicht hatte er aber auch Durst, möglich, dass sich zum ersten Mal das Monster in ihm meldete. Damit musste er erst noch lernen umzugehen, das ging mir auch nicht anders.

      Den Durst eine Weile zu bekämpfen, das Verlangen in sich zu zügeln, das Monster nur für kurze Zeit zu beherrschen, dazu gehört schon eine große Portion Mut und Willenskraft.

      Justin