Nadja Christin

Natascha


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mich und meine Lieblingsplätze genau kannte.

      Es war Frank.

      »Es ist schon spät, Frank«, murmelte ich, »was führt dich hier her?«

      Ich lehnte meine Arme auf das eiserne Geländer der Brücke und starrte demonstrativ hinunter auf den dunklen Fluss und die um sich wirbelnden Strudel.

      Er lachte kurz trocken. »Du meinst wohl, es ist bereits früh, Tascha.« Mit seinem Finger zeigte er knapp an meiner Nase vorbei in Richtung Osten. Ob ich wollte, oder nicht, ich folgte, mit den Augen, seinem ausgestreckten Finger.

      Dort ging gerade zwischen den Hochhäusern die Sonne auf. Der Himmel wurde schon heller und die Wolkenkratzer hoben sich deutlich gegen das hellorange Firmament ab.

      »Gleich geht die Sonne auf«, flüsterte Frank mit einer brüchigen Stimme. »Ein neuer Tag beginnt, Tascha. In deinem und auch in meinem Dasein.«

      Ich erwiderte nichts, mir fiel keine Antwort ein, so starrte ich einfach wieder in die Fluten unter uns.

      Frank lehnte sich in der gleichen Stellung gegen das Brückengeländer und blickte ebenfalls über den Fluss, auf dem sich der Sonnenaufgang glitzernd wiederspiegelte.

      Seine Stimme zerriss die Stille.

      »Warst du … jagen?«

      Mir entging die kleine Kunstpause nicht. Ich warf ihm einen kalten Blick zu.

      »Nein. Mir kam etwas dazwischen.«

      Frank hob eine Augenbraue. »Dazwischen?«, fragte er ungläubig.

      »Ja«, ich lachte kurz, »etwas Blondes.«

      Sein Blick durchbohrte mich, ich sah erneut auf das dunkle Wasser, es hatte etwas Beruhigendes an sich.

      »Tascha, wir alle haben schwache Momente, aber du …«

      Ich wusste bereits, was er sagen wollte, noch bevor er es aussprach.

      »Aber du … bestehst nur aus schwachen Momenten. Du musst dein Verlangen zügeln, du musst dich einfach dazu zwingen, so geht das nicht weiter.«

      Er tippte mir mit dem Finger gegen die Schulter und ich sah zu ihm auf.

      »Irgendwann, musst du die Konsequenzen für deine Taten tragen. Dann kann ich dir nicht mehr helfen. Ich werde ihnen recht geben und einen Schritt beiseitetreten um sie durchzulassen.« Seine Stimme war leise und eindringlich.

      Er blickte über mich hinweg und fixierte irgendeinen Punkt am Horizont.

      Es verfehlte seine Wirkung nicht. Ein leichtes Kribbeln stellte sich ein, es begann am Rücken und zog sich, in rasender Geschwindigkeit, über den Rest meines Körpers fort.

      Er sah mir in die Augen.

      »So ist es brav, mein Mädchen«, er lächelte selbstgefällig, »du solltest auch ein bisschen Angst haben.«

      Ich hasste ihn dafür und mich noch viel mehr.

      Vor allem aber verabscheute ich die Angst. Sie war schlecht, sie lähmte einen. Angst ließ einen nicht mehr richtig reagieren.

      Ich fragte mich, ob er meinen Hass wohl auch so gut roch, wie meine Angst.

      Das war aber anscheinend nicht der Fall.

      Er beugte sich nach vorne und küsste mich sachte auf die Stirn. Abermals durchzuckte es mich wie ein Blitz und das Kribbeln stellte sich augenblicklich erneut ein. Es hatte nichts Angenehmes an sich, das war der reine Selbsterhaltungstrieb.

      Abrupt drehte Frank sich um, er wollte scheinbar gehen, der Kloß in meinem Hals, begann sich langsam zu lösen, die Angst, die mein Herz schmerzhaft zusammen presste, ließ ein wenig lockerer.

      Die Hände, vergraben in seiner leichten Jacke, entfernte er sich zwei Schritte, dann blieb er stehen.

      Sofort drohte der Kloß meinen Hals zu sprengen und die kalte Hand mein Herz zu zerquetschen.

      Frank machte sich nicht die Mühe sich umzudrehen.

      »Denk an meine Worte, ich habe dich gewarnt.«

      Zu keiner Antwort fähig, konnte ich nur stumm nicken. Das genügte ihm scheinbar und er schlenderte über die Brücke, in Richtung der reichen Seite.

      Mit einem zittrigen Seufzer fiel auch die Furcht von mir ab, was blieb, war nur Wut und Hass, auf ihn und mich selbst.

      Darauf, dass ich mich nicht beherrschen konnte und das ich mich damals dem Clan anschloss. Wenn ich das nicht getan hätte, wäre ich jetzt ein freier Vampir, ich könnte tun und lassen was immer ich wollte. Niemandem müsste ich Rechenschaft ablegen, keiner würde mich fortwährend ausfragen.

      Was gut und richtig, oder falsch und schlecht wäre, müsste ich selbst entscheiden.

      Mein bester Freund, Josh, lebt genau nach diesen Prinzipien.

      Meine Faust schlug gegen das Geländer. Genau diesen Freund werde ich jetzt aufsuchen. Ich sehnte mich nach einem freundlichen Gesicht, nach einem frechen Grinsen, nach jemandem, der mich verstand.

      Ich ging über die Brücke, dem Sonnenaufgang entgegen.

      Joshs Buchladen war von der Sorte: 24 Stunden geöffnet und hier bekommen Sie alles. Ein regelrechter Hexenladen war das und er lag im östlichen, dem ärmeren Teil unserer Stadt.

      Ich machte mich auf den Weg.

      Mein Wagen, ein 66er Mustang Convertible, stand noch bei mir zuhause in der Tiefgarage, so ging ich den ganzen Weg, zu Josh’ Hexenladen, zu Fuß.

      Die Sonne war schon ein gutes Stück den Himmel hinaufgeklettert, als ich endlich vor Joshs Buchladen ankam.

      Nur gut, dass uns Geschöpfe der Nacht die Helligkeit nichts ausmacht, dass wir nicht, wie in den unzähligen, lächerlichen Büchern und Filmen über uns, einfach zu Staub zerfallen.

      Es bedarf schon einiger Anstrengungen, um einen Vampir, von diesem Dasein, ins nächste zu schicken.

      Uns den Kopf abschlagen, das ist schon mal eine sehr gute und zuverlässige Möglichkeit. Feuer ist auch sehr effektiv.

      Ein Genickbruch lähmt uns nur, für die Zeit, die unsere toten Körper brauchen, um die Selbstheilungskräfte zu aktivieren. Alle anderen Wunden verschließen sich innerhalb kürzester Zeit, Schmerzen können wir sehr gut ertragen.

      Wir essen nicht, wir trinken nicht, es sei denn, es handelt sich um Blut, möglichst frisch aus der Vene.

      Alternativ kann es auch aus der Konserve kommen.

      Eine kleine Firma im östlichen Teil der Stadt spezialisierte sich darauf. Sie bezogen das Blut von verschiedenen Orten, Blutbanken, freiwillige Spender und wer weiß noch, woher.

      Sie füllten es in schmale Konservenbüchsen, ähnlich einer Limo-Dose, ab und verkauften es an die Vampire in der Gegend.

      Der Erlös aus dem Verkauf ging fast vollständig an den hohen Rat der Vampire, der Abfüller erhielt nur einen verschwindend geringen Teil für seine Arbeit.

      Der hohe Rat aber gab das Geld an uns weiter, hat man je einen armen Vampir getroffen? Wir sind immer flüssig.

      Je mehr Konservenblut wir konsumierten, umso mehr Geld konnte der Rat an uns verteilen.

      So war allen geholfen: Den Menschen, da nicht mehr so viele von ihnen getötet wurden, und den Vampiren, sie brauchen nicht mehr jagen und es drohte keine Aufdeckung unserer Geheimnisse.

      Somit waren alle glücklich, wenn auch die Blutsäcke, ohne etwas davon zu ahnen.

      In Gedanken versunken betrachtete ich das Geschäft von außen. Die beiden Fenster, links und rechts der Eingangstür, waren verdunkelt. Es war nicht möglich, einen Blick in das Innere zu werfen.

      Josh hatte auch keine Waren in den Fenstern ausgestellt, nur über der Tür prangte eine rote Leuchtreklame. Joshs Buchladen stand in verschnörkelter