Nadja Christin

Natascha


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ein Leben ohne schlechtes Gewissen.«

      Ich lehnte meine Wange gegen seine eiskalte Schulter und dachte über seine Worte nach. Während Josh mir sacht übers Haar streichelte, kreisten meine Gedanken um die Möglichkeiten, die er mir soeben offenbarte.

      Mit seinen kurzen Worten, öffnete er mir eine Welt, nach der ich mich insgeheim schon lange sehnte.

      Ein Dasein ohne Regeln, ohne den Kodex und vor allem … ohne Frank.

      »Bekomme ich noch eine Antwort, bevor ich alt und grau bin und am Krückstock gehe?« Joshs Stimme klang amüsiert, aber es schwang auch ein angespannter Ton darin.

      Ich kicherte. »Sicher doch. Ich war nur in Gedanken versunken.« Sanft drückte ich ihn von mir und setzte mich behutsam zurück in den Sessel.

      Er nahm mir gegenüber Platz. »Und deine Gedanken ergaben … Was?«

      Ich holte tief Luft.

      »Du hast völlig recht Josh. Die Zeit ist reif für Veränderungen. Aber ich werde, wenn ich erst den Clan verlassen habe, die Stadt wechseln müssen. Sie … ER wird hinter mir her sein und er wird verdammt wütend sein.«

      »Das kommt überhaupt nicht in Frage.« Vertrauensvoll legte mir Josh seine Hand aufs Knie. »Du wirst am besten hier bei mir bleiben, nur hier bist du sicher. Ich werde dich beschützen.«

      Was er sagte, flößte mir Vertrauen ein, ich war tatsächlich bereit Frank und den Clan zu verlassen, um ein Dasein in Freiheit zu führen. Ich konnte es selbst nicht richtig glauben.

      »Aber es geht noch nicht sofort«, sagte ich leise und beschwor sofort einen säuerlichen Gesichtsausdruck bei ihm hervor.

      Ich beeilte mich weiter zusprechen.

      »Ich werde noch einen Auftrag erledigen.«

      Joshs Miene hellte sich wieder ein wenig auf.

      »Einen?«, fragte er misstrauisch.

      »Ja, nur einen einzigen. Ich verspreche es dir.«

      »Nun gut, wenn es sich wirklich nur um einen Auftrag handelt, meine Süße.« Er stand auf und lächelte auf mich herab.

      »So lange kann ich wohl noch warten, schließlich hoffe ich schon sehr lange auf eine Änderung deiner Sichtweise der Dinge.« Er drehte sich um und ging in Richtung seiner Theke.

      Verwirrt erhob ich mich.

      »D-Du wartest? W-wie lange denn sch-schon?«

      »Willst du was trinken?« Er überhörte meine Frage und goss stattdessen Konservenblut in zwei Gläser.

      »Nein danke. Beantworte bitte meine Frage, Josh.«

      Er stand mit dem Rücken zu mir, aber ich sah, wie er in der Bewegung verharrte. Er drehte sich nicht um, als er leise meinte:

      »Schon lange, Natascha. Schon verdammt lange.«

      Josh stellte ein mit Blut gefülltes Glas in die Mikrowelle und schaltete sie ein, dann trafen sich unsere Blicke.

      »Eigentlich schon, solange wir uns kennen.«

      Ich schluckte und wusste keine Antwort darauf.

      »Willst du wirklich nichts?«, fragte er lakonisch und zeigte auf die noch laufende Mikro.

      Ich schüttelte mit dem Kopf. »Danke Josh, aber ich hatte schon genug.«

      Ein schiefes Grinsen erschien auf seinem Gesicht.

      »Genug von … Was?«

      Ich holte tief Luft. »Von allem. Und jetzt muss ich gehen. Heute Abend ist ein Treffen und da sollte ich ausgeruht sein.«

      »Wie du meinst«, murmelte er und nahm das erwärmte Blut aus der Mikrowelle. Genüsslich hielt er es sich unter die Nase. Mit geschlossenen Augen zog er den Geruch des Blutes ein.

      Ich spürte, wie sich mein Mund schmerzhaft zusammen zog, jetzt war es wirklich an der Zeit diesen Ort zu verlassen.

      »Auf bald, Josh«, hauchte ich und drehte mich brüsk um.

      »Bis bald… hoffe ich doch. Ich werde auf dich warten, meine Süße.«

      Seine Worte kreisten in meinem Kopf. Den ganzen Weg, bis zu mir nach Hause, konnte ich an nichts anderes mehr denken, als nur an Joshs letzte Worte.

      Bei mir angekommen, widerstand ich der Versuchung, mir eine Dose Blut zu erwärmen, ich wollte einfach so lange wie möglich damit warten. Zu köstlich war das echte, solange es noch in meinem Körper kreiste, schüttete ich keine gepanschte Blutmixtur darauf.

      Ich wohnte in einem der vielen Hochhäuser, fast am Ende der Stadt. Im Obersten Stockwerk befand sich ein kleines Appartement mit großer Dachterrasse. Es bestand nur aus einem Zimmer: Dem Wohnzimmer.

      Da wir Vampire nicht schlafen, benötigte ich auch kein Bett, falls ich das Bedürfnis hatte mich auszuruhen, legte ich mich einfach auf mein kleines Sofa. Ein Esstisch war ebenso wenig nötig, wie eine voll ausgestattete Küche. Eine kleine Küchenzeile mit Mikrowelle, ein Kühlschrank und Platz für ein paar Gläser genügten völlig für meine Bedürfnisse. In meinem winzigen Badezimmer war gerade Platz für eine Dusche und das Waschbecken, die Toilette diente mir nur als Sitzplatz.

      Schwer plumpste ich auf das Sofa, warf einen Blick aus den großen Fenstern und dachte nach.

      Ich bewohnte zwar den östlichen Teil der Stadt, aber meine Terrasse ging nach Westen hinaus, der untergehenden Sonne entgegen. So konnte ich nicht nur sehen, wie die Dunkelheit herauf kroch, auch den Fluss, die Brücke und den Bezirk der Reichen konnte ich ausmachen.

      Ich überlegte, ob das wirklich so eine gute Idee war, mich nach dem nächsten Auftrag von Frank und dem Clan zu trennen. Was würde mich erwarten? Konnte ich wirklich hier in der Stadt bleiben, wie es mir Josh versicherte? Das kam vielleicht darauf an, wie ich mich vom Clan trennte, im Guten, oder im Schlechten. Wir werden sehen.

      Ich lehnte meinen Kopf seufzend gegen die Lehne und schloss die Augen.

      Als ich sie wieder öffnete und einen erneuten Blick aus meiner Terrassentür warf, stellte ich verwundert fest, dass ich die Sonne sah. Es musste also später Nachmittag sein.

      Ich hatte mich den gesamten Tag ausgeruht, ohne die kleinste Störung.

      Ich duschte ausgiebig und zog mich an.

      Um achtzehn Uhr machte ich mich auf, zu Franks Haus. Er wohnte sehr weit draußen, außerhalb der Stadt. Das hieß, dass ich mein Auto nehmen musste.

      Ich ging durch das Treppenhaus in die Tiefgarage,

      Aufzüge machten mich nervös.

      In ihnen konzentrierte sich die Luft, der Geruch der Menschen konnte nicht entweichen. Er stand förmlich in dem kleinen Raum, füllte ihn komplett aus, und war für mich kaum auszuhalten, besonders wenn der Geruchsträger noch mit mir zusammen eingeschlossen war. Auch wenn die Fahrt nur wenige Sekunden dauerte, konnte es für das Menschlein bedeuten, dass meine Zähne das Letzte war, was er in seinem Leben zu sehen und zu spüren bekam.

      Um dieser schier unausweichlichen Tat aus dem Wege zu gehen, benutzte ich die Treppe.

      In der Tiefgarage stank es nach Gummi, Benzin und Bremsstaub. Aber noch einige andere Gerüche mischten sich unter die Vorherrschenden.

      Menschliche Gerüche, nach Hektik, Schweiß, Angst, und Streit.

      Tief atmete ich ein und ging gelassen zu meinem Parkplatz mit der bezeichnenden Nummer 666.

      Mein 66er Mustang stand neben einem anderen Wagen, aus dem, genau in dem Moment, einer der Mieter ausstieg. Ausgerechnet.

      Das Verdeck war von meiner letzten Spritztour noch offen, somit konnte ich mich nicht schnell in meinem Wagen verschanzen. Es war aber auch zu bedauerlich.

      Als ich an meinem Parkplatz ankam, stand der Mensch noch immer neben seinem Auto und sah zu mir herüber. Ich würdigte ihn keines Blickes,