Nadja Christin

Natascha


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betrachtete, dann war Ansgar bei der Jagd ein Hurrikan. Er überrollte seine Opfer, zielstrebig und zerstörerisch, er war so schnell, sie hörten und sahen nichts, bis er sie packte. Wir teilten uns oft die Beute, manchmal fing sich jeder selbst seine Mahlzeit, vor allem kurz vor den Wochenenden, da wir dann die meiste Zeit im Desmodus und in unserem neuen Bett verbrachten.

      Unser Zusammensein endete fast immer im gegenseitigen Blutrausch. Mittlerweile hatte ich Ansgars Blut so oft getrunken, dass es mir schien, als kannte ich meinen Geliebten durch und durch.

      Nur wenn wir auf die Vernichter zu sprechen kamen, umwölkte sich seine Stirn, sein Blick wurde hart und unnahbar.

      In diesen Momenten hörte ich nicht mehr seine Stimme in meinem Kopf, dann war er still. Er sprach nicht mehr mit mir, als wenn seine Stimme seine Gefühle verraten konnten, als wenn er mich davor beschützen wollte, was er wirklich dachte

      Josh und die Bewahrer der Nacht hatten die Jagd auf die Vernichter eröffnet, unerbittlich spürten sie einen nach dem anderen auf und töteten sie. Nur der Kopf der Bande, Justin, Dennis und ein paar wirklich hartgesottene Gefolgsleute, schlüpften immer wieder durch das engmaschige Netz der Bewahrer.

      In meiner roten Wolke der Erinnerungen sah ich nur noch ganz selten Justin und seine sich verändernden Augen vor mir. Ich hatte ihn verdrängt, andere, wichtigere, schönere Dinge hatten ihn ausgeblendet. Ich konnte mich kaum noch an seine Stimme oder an seinen Geruch erinnern. Allerdings noch an jedes seiner Worte, vor allem an seine letzten zu mir. Dann sah ich ihn vor mir, wie seine Schuhspitze sich in die Erde bohrte und er mir den Staub ins Gesicht schleuderte, während ich mit gebrochenem Genick auf dem Boden lag. Dann hörte ich seine Worte: »Ich hasse dich«, voller Überzeugung und Inbrunst gesprochen, sodass ich es ihm einfach glauben musste.

      Und ich hörte seine Worte, die er am Ufer des Flusses gebrüllt hatte: »Ich werde dich erwischen und dann töte ich dich!«

      In diesen Momenten spürte ich, wie alles an ihm vor Hass nur so sprühte.

      Am Anfang hatte ich bei jeder Jagd Angst, dass ich wieder in eine Falle tappte, sie mich doch noch erwischten.

      Mit der Zeit verlor sich die Angst, man wurde unvernünftig und leichtsinnig.

      Es war Ende November, der Schneefall hatte soeben aufgehört. Die ganze Stadt war wie überzuckert, es sah wunderschön aus. Ansgar und ich wollten Weihnachtseinkäufe machen, ganz wie ein richtiges menschliches Pärchen. Er wollte noch etwas erledigen und ich sollte mich um sechs Uhr abends mit ihm bei Josh treffen.

      Unsere Wohnung war etwas außerhalb der Stadt, darum musste ich mit dem Auto fahren. Mittlerweile hatte ich auch meinen Mustang wieder. Ansgars Auftreten in der Werkstatt und ein Bündel Geldscheine beschleunigten die Reparatur. Wie neugeboren sah er aus, mein kleiner roter Flitzer. Aber dieses Wetter mochte ich ihm nicht zumuten, darum nahm ich den Bentley von Ansgar, außerdem war ich so seinem Geruch nahe. Immer wieder atmete ich tief den Duft ein, den der Wagen verströmte und sah Ansgars Augen vor mir. Wie der begrenzende rote Ring pulsierte, sich nicht entscheiden konnte, ob er das Feuer verdrängen sollte oder lieber doch nicht. Ob er über mich herfallen sollte, oder lieber doch nicht. Ich lächelte in mich hinein.

      Vor Joshs Hexenladen war ein Parkplatz frei, ich steuerte den Bentley darauf zu, stellte das schnurrende Kätzchen ab und stieg aus. Es war kalt, vereinzelte Schneeflocken fielen noch auf die Erde. Ich stieß die Tür zu Joshs Laden auf.

      Das Glöckchen über mir bimmelte in zarten Tönen, aber ich hörte es nicht, hielt nur die Tür offen, hielt mich an ihr fest.

      Der Geruch traf mich wie ein Geschoss, drang in mein Innerstes und zerfetzte dort alles. Langsam ließ ich die Eingangstür los, erneut ertönte das Glöckchen, als sie ins Schloss fiel.

      Es herrschte Stille in dem Raum, vollkommene Stille. Josh stand nicht hinter seinem Tresen, wie ich das gewohnt war. Er war nirgends zu sehen, oder zu riechen.

      Dafür traf mich ein anderer Geruch, einen, den ich schon verdrängt hatte und am liebsten auch nie wieder gerochen hätte.

      Justin war hier, und er war nicht alleine. Der pergamentartige Geruch, von vielen Vampiren hing noch in der Luft.

      Was wollte er hier? Fragte ich mich, wo sind Josh und Ansgar?

      Schnell durchsuchte ich den Laden und den angrenzenden Keller. Nirgends eine Spur. Als ich hinter der Theke stand und gerade überlege, was ich als nächstes tun sollte, fiel mein Blick auf einen Gegenstand, der in Joshs Laden nichts zu suchen hatte und hier auch nicht reinpasste.

      Auf der Glasplatte der Theke lag eine CD.

      Ich nahm sie und hielt sie mir unter die Nase. Eindeutig, Justin hatte sie in der Hand.

      Rasch ging ich in den Keller und in Joshs Büro, dort stand sein Computer. Ich öffnete das CD Fach und legte die Scheibe ein. Als ich das Fach wieder schloss, merkte ich, dass meine Hände leicht zitterten. Ich ignorierte es.

      Ich starrte auf den Bildschirm, wartete ungeduldig, hämmerte mit der Computermaus auf den Tisch. Dann schloss ich die Augen, um mich zu beruhigen. Das Programm ging auf, die CD startete, ich verfolgte entsetzt den Film, der über den Bildschirm flackerte.

      Zuerst sah ich gar nichts, nur Dunkelheit, dann bewegte sich die Kamera, ein Licht flackerte auf, wie von einer Kerze.

      Es war ein dunkler, dreckiger Raum zu sehen, die Wände waren nackt und starrten vor Dreck. Langsam fuhr die Kamera weiter nach rechts, ein schmutziges Fenster, es war noch hell, dahinter. Die Decke, der Putz bröckelte teilweise ab, die Kamera hielt kurz an, und fuhr dann langsam runter, bis sie den Boden filmte.

      »Nein«, meine Stimme war nur ein Hauch, ich hob die Hand und strich mit den Fingern über den Bildschirm.

      »Nein«, zu mehr war mein Gehirn nicht bereit.

      Auf dem nackten Boden laben zwei Gestalten, es sah aus, als seien sie tot. Kein Atmen hob ihren Brustkorb, kein Finger rührte sich, nichts. Sie hatten die Köpfe unnatürlich verdreht, ihr Genick war gebrochen.

      Erneut streichelte ich über den Bildschirm, über Ansgars Gestalt und auch über Josh, der neben ihm lag.

      »Wie konnte das nur…«

      Die Stimme, die plötzlich aus den Boxen ertönte, unterbrach mich.

      »Sieh sie dir an, Tascha. SIEH HIN!«, die laute Stimme ließ die Boxen krachen und knacken.

      »Jetzt können sie dich nicht mehr beschützen, keiner kann dir mehr helfen. Du bist alleine.«

      Das Bild verschwand kurz und ich dachte schon das war alles. Dann flackerte es wieder und die nächste Einstellung kam. Diesmal hingen Ansgar und Josh nebeneinander an langen, dicken Ketten, die um ihre Handgelenke gewickelt waren und zur Decke führten. Beide hatten den Oberkörper nackt und waren mit unzähligen Wunden übersät, aus denen Blut austrat und langsam an ihnen herab floss. Ihre Köpfe waren nach vorne gelehnt, aber ich konnte sehen, dass der Genickbruch verheilt war. Also dauerte ihre Gefangenschaft bereits ein paar Stunden.

      Die Kamera fuhr nach rechts und zeigte den Hals von Ansgar. Zwei Einstichstellen prangten an der Seite.

      Sie haben sie ausgesaugt und sie so geschwächt, schoss es mir durch den Kopf.

      Die Einstellung änderte sich, ich sah beide wieder an den Ketten hängen. Ganz plötzlich stand Justin zwischen ihnen und blitzte in die Kamera.

      »Na, Tascha, wie gefällt dir das?« Sein Blick war wie irre. Er ist wahnsinnig, dachte ich, völlig verrückt.

      Justin griff in Ansgars kurze Haare und riss seinen Kopf hoch. Ansgar hatte die Augen offen, aber ich konnte sie nicht richtig erkennen, da die Kamera wackelte und zu weit weg war. Sie fuhr näher heran, auf Justin, der wie verrückt grinste und dabei seine langen Dolche entblößte. Er beugte sich zu Ansgar hin und schlug ihm seine Zähne in den Hals.

      In der linken oberen Ecke des Bildschirmes, konnte ich noch ein Auge von Ansgar sehen. Das Feuer in der Pupille war fast verloschen, aber der pulsierende