Nadja Christin

Natascha


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wovor genau. War es die Tatsache, dass Justin oder Dennis mich versuchen werden zu töten, oder dass ich einen von ihnen wiedersah?

      Ich wartete auf die tröstliche Wolke, aber sie kam nicht. Ich setzte mich im Bett auf und zog meine Knie an.

      Leise ging die Tür auf, Ansgar stand vor dem Bett und blickte auf mich herunter.

      Josh hat nur Angst um dich, du musst nicht wütend auf ihn sein, hörte ich ihn in meinem Kopf.

      »Ich weiß«, seufzte ich, drehte den Kopf zur Seite und legte meine Wange auf die Knie.

      »Hast du Angst?«, in seiner Stimme lag Neugierde.

      Ich blickte ihn nur an.

      »Du hast wieder die Augen der desperatio, der Verzweiflung« Schneller als ich es registrieren konnte, lag er neben mir und streichelte meinen Arm.

      »Meine süße mellila, wie kann ich dir nur helfen? Was kann ich tun, damit die Verzweiflung aus dir verschwindet.«

      Seine Stimme war wie Honig, zuckersüß, zäh und klebrig.

      Mir lief ein Schauer den Rücken runter. Ich versank fast in seine Augen, das Feuer loderte, der begrenzende Ring pulsierte heftig. Ich legte mich zurück auf das Bett und schickte ihm meine Gedanken: Du könntest mir meinen Wunschtraum erfüllen, mein Geliebter.

      Ich hatte den Satz noch nicht ganz zu Ende gedacht, da kniete er auch schon über mir. Seine Finger in meine verschränkt, starrte er in mein Gesicht. Seine Augen waren ein einziger Lavastrom, unterbrochen, von kleinen Feuerstößen, die immer wieder kurz aufloderten.

      Ich werde dich wahrscheinlich dabei beißen. Hörte ich ihn in meinem Kopf sagen. Das macht nichts, dachte ich und schloss meine Augen, daran bin ich inzwischen gewöhnt.

      Er beugte sich herunter zu mir und küsste mich. Als seine eisigen Lippen meine berührten, bäumte mein Oberkörper sich auf um ihm noch näher zu kommen. Ich saugte seinen Geruch in mich ein, ließ mich von meinen Gefühlen tragen, von meiner Gier und Lust überrollen.

      Auch Ansgar ließ sich gehen, schien seine Beherrschung zu verlieren. Aus seinem Inneren hörte ich immer wieder ein Knurren, ab und zu unterbrochen von diesem Löwengebrüll, das ich schon mal hörte. Ich hatte keine Angst davor, eher ganz im Gegenteil.

      Unsere Hände flogen nur so über unsere Körper, tasteten uns ab, streichelten uns, verkrallten sich in unser kaltes Fleisch.

      Plötzlich wurde sein Brüllen lauter, wilder, dann spürte ich seine Zähne, wie sie durch meine Haut drangen, in meinem Hals versanken.

      Laut stöhnte ich auf, mein Körper bäumte sich ihm entgegen, um noch näher bei ihm zu sein.

      Ich war nur wenige Zentimeter von seinem Hals entfernt. Ohne darüber nachzudenken, schlug ich meine Zähne in seine reine, weiße Haut. Er riss seinen Kopf in den Nacken und brüllte kurz. Von seinen langen Zähnen sah ich Blut spritzen, mein Blut. Dann versenkte er sie wieder in meinen Hals.

      Es war ein unheimliches Gefühl, sein Blut zu trinken, es wärmte mich nicht, es war kalt.

      Aber mich durchströmte dennoch ein warmes Gefühl, ein mächtiges Gefühl. Es war so, als konnte ich plötzlich seine Gedanken lesen, wusste was er weiß, roch, was er je gerochen hatte und schmeckte, was er je geschmeckt hatte.

      Es war so, als wusste ich alles von ihm – auch dass er mich liebte.

      Keuchend sank ich zurück auf das Kissen, blickte auf seinen Hals und sah, dass sich die Wunden schon von selbst geschlossen hatten. Auch er ließ von mir ab, aber nicht ohne die Einstichstellen, wieder zu verschließen.

      Er legte sich auf den Rücken, sein Atem ging immer noch zu schnell. Seine Augen waren geschlossen, er schluckte einmal. Ich legte meinen Kopf auf seine nackte Brust und hörte seinen Atem, sein Blut rauschte. Er strich mir übers Haar. Es war ein schöner Moment, ein vertrauter Augenblick, ich mochte ihn nicht zerstören. Also versuchte ich an nichts zu denken, damit seine Stimme nicht in meinem Kopf erklang. Aber ich konnte es nicht ganz verhindern, ich dachte gerade, wie angenehm seine regelmäßigen Atemzüge auf mich wirkten, da hörte ich auch schon seine Stimme in mir: Dum spiro spero, solange ich atme, hoffe ich.

      Ich drehte meinen Kopf um ihn anzuschauen

      Auf was hoffst du denn? Fragte ich in Gedanken. Er hielt immer noch die Augen geschlossen.

      Frieden, Vernunft, Vertrauen, Gerechtigkeit und Liebe.

      Er öffnete seine Augen, sie hatten sich verändert, das Feuer in der Mitte war weg, es war nur noch die schwarze Pupille zu sehen. Die braune Lava floss noch langsam im Kreis darum herum, begrenzt von dem feinen, dünnen Ring aus roter Glut.

      Frieden, Vernunft, Vertrauen, Gerechtigkeit und Liebe, sprach ich seine Hoffnungen in Gedanken nach. Darauf lohnt es sich zu hoffen, ein Leben lang zu hoffen.

       Bist du ohne Hoffnung?

      Sein Gesicht war völlig entspannt.

      Nein, dachte ich, ich habe andere Hoffnungen, wir unterscheiden uns von einander.

       Aber nicht sehr, sag mir deine Hoffnungen.

      Ich hoffe auf eine gute Beute,

      Ah, spe praedea adductus, unterbrach er mich.

      Ein glückliches Leben, Gerechtigkeit und Liebe, darauf hoffe ich auch.

      Siehst du, so unähnlich sind wir uns gar nicht. Er lächelte leicht.

      Heute Nacht hoffe ich vor allem auf den Sieg.

       Vae victis, wehe den Besiegten.

      Ansgar? Ich mochte immer noch nicht sprechen, ich wollte diese Stille nicht zerstören.

      Hm-m? Brummte er in meinem Kopf

      Sind meine Augen wieder normal? Ich meine, sehen sie wieder normal aus, ohne diese … diese desperatio, ohne die Verzweiflung?

      »Ja«, seine Stimme klang laut, in der Stille des Zimmers.

      Ich legte meinen Kopf erneut auf seine Brust.

      »Ich danke dir.«

      Te amo hörte ich ihn in meinem Kopf flüstern. Wieder strich er mir übers Haar.

      Ich schloss meine Augen und genoss seine sachten Berührungen. Irgendwann schlief ich ein.

      Als ich sie wieder öffnete umgab mich eine vollkommene Dunkelheit. Ich merkte, dass ich alleine war. Ansgar war gegangen, ich wusste nicht wann. Ich seufzte tief und lang.

      Was hatte ich da nur wieder getan, war das alles richtig?

      Ich spürte plötzlich eine Welle der Kraft in mir aufsteigen,

      Necesse est. Es ist, wie es ist, unausweichlich.

      Fast war mir, als hörte ich Ansgars Stimme in meinem Kopf, aber es war meine eigene, sie klang neu, voller Macht, Kraft und …Wissen.

      Ich riss meine Augen weit auf, sollte Ansgars Blut in mir mich so verändert haben? War es nur das oder…?

      Unruhig stand ich auf und ging in Joshs Badezimmer. Nur zögernd näherte ich mich dem Spiegel. Ich hatte ein bisschen Angst davor, was ich dort zu sehen bekam.

      Dann erblickte ich mein Spiegelbild, sah mein schmales Gesicht, mit den hohen Wangenknochen, die langen schwarzen Haare, die meinen Kopf wie einen Mantel umhüllten. Meinen Mund, mit den vollen Lippen, die in meinem weißen Gesicht viel zu rot erschienen.

      Erst dann hatte ich genug Mut gesammelt, um in meine Augen zu sehen. Ich schnappte nach Luft, mein Kiefer klappte nach unten, mein Mund blieb mir vor Erstaunen offen stehen.

      Die desperatio, die Verzweiflung war aus meinen Augen gewichen, da hatte Ansgar recht.

      Allerdings hatte er mir verschwiegen, dass sie sich dennoch verändert hatten.