Nadja Christin

Natascha


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      »Und, besser?«, fragte ich interessiert.

      »Nein«, er schluckte kurz und starrte vor sich hin, »ich werde den hohen Rat bitten, jemand anderen zu dir zu schicken. Ich kann dich nicht beschützen, ich kann mich in deiner Nähe nicht konzentrieren, ich bin immer abgelenkt, du lenkst mich ab.«

      Er sah mich an und der feine rote Rand schien sich wieder auszudehnen, er wollte das Feuer verdrängen, wollte alles beherrschen.

      »Keine Angst, ich werde dem Anderen meinen Wissensstand mitteilen, es besteht keine Notwendigkeit, dass du nochmals …gebissen wirst.« Er stand auf.

      Mistkerl, schickte ich ihm in Gedanken.

      Ego sum, qui sum, erklang es in meinem Kopf, dann war er weg.

      Ich hörte ihn im Laden mit Josh sprechen, ich konnte mich nicht bewegen, ich wollte nur noch hier sitzen und gar nichts mehr tun. Nach einiger Zeit schloss ich meine Augen, ich überlegte, ob ich mich in die rote Wolke meiner Erinnerung flüchten sollte, entschied mich aber dagegen, zu viel Schmerzhaftes erwartete mich dort.

      Als ich nach, mir erschien es wie Stunden, meine Augen wieder öffnete, sah ich das grinsende Gesicht von Josh vor mir.

      »Wie schaffst du das nur immer wieder?«, fragte er leise.

      »Wie schaffe ich was?«, ich blickte wohl eher verständnislos.

      »Da kommt ein tausend Jahre alter Vampir daher, der schon so ziemlich alles gesehen, geschmeckt und gerochen hat, und Zack…«, Josh schnippte kurz mit den Fingern, »hast du ihn eingelullt, er vergisst alles und ist total verknallt in dich.«

      Josh schüttelte den Kopf, »wie machst du das bloß?«

      »Glaub es mir, nicht absichtlich.«

      Aber jetzt war er weg und ich wusste nicht, wen sie als nächstes schicken werden. Falls ich bis dahin überhaupt noch auf dieser Erde wandelte. Ohne Ansgar wäre ich heute zu einem Häufchen Asche geworden, wer weiß, was die sich als nächstes ausdenken.

      »Josh, weißt du wer das heute war? Hat Ansgar irgendetwas zu dir gesagt?«

      »Er brauchte mir nichts zu sagen, ich weiß auch so, wer dafür verantwortlich ist. Das waren Justin und Dennis.«

      Ganz plötzlich sah ich wieder braune Augen vor mir, die sich langsam in Raubtieraugen verwandelten und blitzende Zähne.

      »Die Beiden habe eine Gruppe Vampire um sich versammelt und nichts Gutes im Sinn. Sie nennen sich die Vernichter und ziehen mordend durch die Stadt. Aus meinen Quellen habe ich erfahren, dass ihr eigentliches Ziel der hohe Rat ist, sie wollen den Rat stürzen um wieder ein Leben ohne Regeln und ohne den Packt zu haben. Die Obrigkeit sucht natürlich fieberhaft nach ihnen. Die Vernichter haben schon viele Anhänger, alles böse und niederträchtige Vampire. Der Anschlag heute aber war wohl nur eine ganz persönliche Rache, ich schätze von Justin selbst.«

      »Was habe ich dem schon entgegenzusetzen«, murmelte ich und wickelte mir den Verband langsam ab.

      »Zurzeit nichts, da gebe ich dir recht, aber du bleibst erst einmal bei mir, hier kann dir so schnell nichts passieren.«

      Ich betrachtete mein Bein, die Wunde war vollständig verheilt.

      Ich stand auf. »Kann ich jetzt duschen gehen?«

      »Ja, ich hab dir Klamotten hingelegt, vielleicht passen sie ja.«

      »Danke«, murmelte ich und verschwand unter die heiße Dusche.

      Während das Wasser auf mich niederprasselte dachte ich nach. Wenn ich hier bliebe, brachte ich Josh in Gefahr. Das ging nicht.

      Ich konnte nirgendwo hin, meine Wohnung war ein einziger Trümmerhaufen, außerdem würde die Polizei dort sein, das konnte ich gar nicht gebrauchen. Zu sonst jemanden kam nicht in Frage, ich zog eine Todesfahne hinter mir her, jeder, der mit mir in Berührung kam war akut gefährdet.

      Ich hatte nur eine Chance, ich stellte mich dem hohen Rat, erzählte, was ich über Justin und Dennis wusste, sie konnten mich vielleicht als Köder benutzen, so kamen sie an die Beiden besser heran.

      Nicht nur Justin wollte mich tot sehen, Dennis war auch ganz scharf darauf. Er würde es sich sicher nicht entgehen lassen, wenn er mich auf einem Tablett serviert bekam.

      Ich drehte die Dusche ab.

      Das heiße Wasser konnte meine innere Kälte nicht erwärmen, ich befürchtete, dass gar nichts mehr das vermag.

      Mein Entschluss war gefasst, ich musste zum hohen Rat. Langsam zog ich mich an und überlegte, wo ich den bloß finden konnte. Aber da fiel mir jemand ein, der das genau wusste: Jeanie.

      Sie arbeitete für die Obrigkeit und hatte Kenntnis davon, wo der hohe Rat zu finden war. Ich konnte nur nicht zu ihr hin. Aber telefonieren konnte ich noch. Schnell angelte ich mein Handy aus der Hosentasche und klappte es auf.

      Sie stand in meinem Telefonbuch und ich wählte sie an.

      »Ja«, sie klang wie ich, wenn ich an mein Telefon ging, äußerst misstrauisch.

      »Eh, hi, Jeanie, hier ist Natascha. Ich wollte dich gerne was fragen…«

      Ich stockte kurz und überlegte, wie ich meine Frage formulieren sollte, möglichst auch noch so, dass sie nicht sofort alles Josh weitererzählte.

      »Oh, hallo Natascha«, sagte sie gerade.

      »Weißt du wo ich den hohen Rat finden kann?« Ich kniff die Augen zusammen, wie blöd war das denn? Noch direkter ging es schon gar nicht mehr.

      »Ja, klar, die hohen Mitglieder des Rates halten jeden Donnerstagabend um acht Uhr eine Versammlung ab, im Keller, unter dem Rathaus, in der Innenstadt, kennst du das?«

      »Ja, das kenne ich.«

      Ein unterirdisches Gewölbe, mit schier endlos langen Gängen, in dem sich sogar eine riesige Halle befinden sollte, so die Erzählungen. Ich kannte den Eingang, den hatte Frank mir vor Jahren mal gezeigt. Sollte er nicht gewusst haben, dass dort der hohe Rat tagt?

      »Danke Jeanie, du hast mir sehr geholfen.«

      »Keine Ursache«, gab sie munter zurück. Wie praktisch, sie stellte keine lästigen Fragen, wie Josh es jetzt getan hätte, wie überaus praktisch. Trotzdem musste ich noch etwas hinzu fügen: »Und Jeanie, kein Wort zu irgendjemandem, ja?«

      »Nein, mein Mund ist versiegelt«, sie lachte kurz, »Bis bald.« Es klickte, sie hatte aufgelegt.

      Hoffentlich erzählte sie wirklich nichts weiter, ich verdrehte die Augen zur Decke. Das Risiko musste ich eingehen. Ich blickte auf mein Handy um die Uhrzeit abzulesen, noch drei Stunden Zeit, denn wie es der Zufall wollte, war heute Donnerstag. Also funktionierte das Ganze ohne Zeitverzögerung. Jetzt musste ich mich nur noch an Josh vorbei schleichen und irgendwie hier raus kommen.

      Ich wusste nur noch nicht wie.

      Da klopfte es an die Tür, ich zuckte zusammen.

      »Natascha?«, rief Josh durch die geschlossene Tür.

      »Ja?«

      »Ich habe ganz vergessen, ich muss heute Abend noch mal weg. Kannst du ein paar Stunden alleine auf dich aufpassen?«

      »Ja, klar, kein Problem, schließt du den Laden ab?«

      »Ich habe schon ein Schild raus gehangen, komme um 21 Uhr wieder. Also mach dir keine Sorgen, du musst keine Kundschaft bedienen.«

      Darum ging es mir gar nicht, aber das der Laden offen bliebe, wenn ich mich auch davon stahl, das wäre mir nicht recht gewesen.

      »Prima«, gab ich zur Antwort.

      »Kann ich dich noch mal umarmen und mich verabschieden von dir?« Ich biss die Zähne zusammen und blickte an mir runter, ich war komplett angezogen.

      »Tut mir leid, Josh, ich bin noch nackt und nass.«

      Meine Lüge