Nadja Christin

Natascha


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sagte er: »Danke, auf bald. Josh, dir danke ich auch.« Er verließ uns mit einem Kopfnicken.

      Ego sum, qui sum, überlegte ich, was soll das denn heißen? Mein Latein war furchtbar eingerostet und ich fing an, die Wörter zu zerlegen, aber ich kam nicht drauf. Josh unterbrach mal wieder meine Gedankengänge.

      »Also, wenn ich vorher gewusst hätte, dass sie Ansgar schicken, dann hätte ich mir keine Sorgen um dich gemacht, meine Süße.«

      »Wieso?«, fragte ich misstrauisch und zog meine Augenbrauen zusammen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie noch einen Schlimmeren schicken könnten, oder dass es den überhaupt gab.

      »Na, weil es Ansgar ist«, Josh blickte mich vorwurfsvoll an.

      »Ansgar eben, das ist der, der sich um die Seele sorgt. Ich dachte, du hättest schon von ihm gehört.«

      Ich überlegte: also von wegen, Ansgar heißt Speer Gottes, ich wusste doch, dass das nicht stimmt. In Wahrheit heißt es der sich um die Seele sorgt. So ein verlogener Mistkerl.

      »Nein, Josh, ich habe noch nichts von ihm gehört. Du weißt doch, dass Frank mir nicht viel erzählt hat, vor allem nicht über den hohen Rat.« Da kam mir eine Idee.

      »Hör mal, Josh, wenn du so gut Latein kannst, was heißt denn dann: Ego sum, qui sum?«, gespannt blickte ich ihn an. Josh runzelte die Stirn und dachte nach.

      »Ich glaube es heißt so viel wie: ich bin der, der ich bin. Oder so ähnlich, nagele mich bitte nicht darauf fest. Wo hast du das denn gehört?« In meinem Kopf, dachte ich flüchtig, laut sagte ich: »Ist nicht so wichtig, ich wollte es nur gerne wissen. Was macht denn jetzt dieser Ansgar im hohen Rat genau? Und warum bist du so froh, dass sie ihn geschickt haben.«

      »Kannst du ihn etwa nicht leiden?«

      Ich dachte kurz an seine Lava-Augen und die blitzenden Zähne. »Doch, er ist schon okay.« Solange er aus meinem Schädel bleibt, setzte ich in Gedanken hinzu.

      »Ansgar ist, wie der Name schon sagt, der, der sich um die Seele sorgt. Das heißt, er steht immer mehr auf der Seite der Angeklagten. Mit ihm hast du nichts zu befürchten, das kann nur gut ausgehen. Er wird dem hohen Rat deine Fassung der Geschichte mitteilen, sie werden seinen Worten Glauben schenken und dich in Zukunft wohl in Ruhe lassen.«

      Josh beugte sich über den Tisch und legte seine Hand auf meine.

      »Hey, meine Süße, das ist doch klasse, warum machst du nur so ein Gesicht?«

      »Was ist mit meinem Blut? Wie will er dem Rat mitteilen, wie mein Blut beschaffen ist, ob es nun verseucht ist oder nicht? Ob ich eine Trägerin des bösen Blutes bin. Das wollten die doch wissen. Was meinst du, wie er zu dem Wissen kommt.« Ich war richtiggehend wütend. Nur meine Geschichte erzählen, sicher Josh, du weißt ja auch nicht, was ich die letzte Stunde mitgemacht habe. Du weißt ja auch nichts von meiner Angst.

      Josh blickte an mir vorbei und bemerkte meine unterdrückte Wut nicht.

      »Tja, das weiß ich auch nicht so genau. Die Methoden, die dem Rat zur Verfügung stehen, kennen meistens nur die Angeklagten selbst und die schweigen dazu.«

      Ich kann mir auch denken warum, setzte ich in Gedanken hinzu, lehnte mich in meinem Stuhl weit zurück und blickte in den Sternenhimmel.

      »Ach Josh, was habe ich nur verbrochen. Manchmal wünsche ich mir, wieder ein Mensch zu sein, dann hätte ich nicht solche Probleme am Hals.«

      Am Hals, welche Ironie, dachte ich grimmig.

      »Dann gäbe es andere Probleme. Natascha, das ist keine Lösung. Du musst aus dem, das dir zur Verfügung steht, immer das Beste machen.«

      »Und was habe ich, das mir zur Verfügung steht, damit ich das Beste daraus machen kann?«

      »Nun ja, in erster Linie hast du mal mich.«

      Ich legte meinen Kopf wieder in den Nacken und betrachtete die Sterne.

      »Ach, Josh, das hatten wir erst. Du weißt, dass ich mich auf keine Beziehung mehr einlassen werde. Ich scheue das Risiko und ich werde mich nicht mehr verlieben. Basta!«, ich sah Josh herausfordernd an.

      »So meinte ich das ja auch gar nicht. Ich meinte als Freund, als Verbündeten. Jeanie steht auch hinter dir. Und das Beste kommt doch noch, du hast Ansgar. Da kann gar nichts mehr schief gehen.«

      Ansgar, dachte ich wütend, derselbe Ansgar, der mich vor einer Stunde beinahe aufgefressen hat. Obwohl … Ein teuflischer Plan schoss durch mein Gehirn. Vielleicht konnte er mir doch helfen. Möglicherweise, wenn ich mutig genug war und wenn ich meine Gedanken im Zaum hielt. Und wenn er …seine Beherrschung bereit war, zu verlieren.

      Dann könnte es klappen. Dann könnte ich für immer und ewig meine Gedanken verlieren. Was hatte ich schon Großartiges, an das es sich zu erinnern lohnte. Fast nur schmerzende, schlimme Gedanken. Ich wäre wie neugeboren, ich könnte neu anfangen. Ich musste mich nur zuerst vergewissern.

      »Josh, hast du schon mal davon gehört, dass es Vampire gibt, die anderen Vampiren ein bisschen Blut aussaugen, ihnen Erinnerungen nehmen und dann ihre Gedanken lesen können?«, ich sah ihn gespannt an.

      »Ja, die gibt’s wohl wirklich, ich habe davon gehört, aber noch keinen persönlich getroffen. Ich weiß auch nicht, ob ich das zulassen würde.« Er runzelte die Stirn.

      »Wie ist denn das, wenn der eine Vampir den anderen komplett aussaugt, ich meine … sterben kann der ja wohl nicht daran, oder?«

      Jetzt war mir ein bisschen mulmig zumute, ahnte Josh etwas?

      »Nein, sterben kann er daran wohl nicht, aber … ich kann mir nicht vorstellen, dass es gut ist. Der Blutverlust würde den Vampir natürlich enorm schwächen, auch seine Erinnerungen, die wären mit dem Blut ja auch weg. Er wäre ein Nichts, wahrscheinlich zu blöd um sich neues Blut zu besorgen, dann würde er allerdings irgendwann sterben.«

      Josh lachte leise vor sich hin.

      »Aber das würde ja auch keiner tun. Weder einen bis zum Letzten aussaugen, noch das zulassen.« Er blickte mich neugierig an.

      »Warum willst du das wissen? Wie kommst du drauf?«

      Wie immer, wollte Josh alles ganz genau wissen. Das war der Preis für die Antwort.

      »Ich …weiß nicht. Ich hab’s wohl irgendwo…«

      In dem Moment ging die Tür auf und Ansgar stand wieder in Joshs kleinen Hinterhof. Er hatte mich gerettet, vor einer Antwort gerettet. Ich versuchte schnell an nichts zu denken, mein Kopf musste leer sein, damit meine Gedanken mich nicht verrieten.

      »Ich hoffe, ich habe euch nicht zu lange warten lassen. Ich bin mir meiner Unhöflichkeit durchaus bewusst, aber es war sehr wichtig.«

      »Schon gut, möchtet Ihr jetzt etwas zu trinken und Euch setzen?«, damit zeigte Josh auf den letzten freien Stuhl.

      »Nochmals muss ich leider Euer großzügiges Angebot ablehnen. Aber ich möchte Natascha jetzt nach Hause bringen und mich dann ein wenig ausruhen.«

      »Das war das Stichwort«, ich sah Josh mit hochgezogenen Brauen an und erhob mich aus dem Stuhl. Gemeinsam gingen wir zurück in den Laden. Josh küsste mich auf beide Wangen, das hatte er schon lange nicht mehr gemacht, ich war ganz verwundert. Ansgar und er reichten sich auch zum Abschied die Hände, genauso, wie zur Begrüßung. Diesmal verspürte ich keinen Lachanfall mehr, ich versuchte krampfhaft an nichts zu denken.

      Wir standen auf dem Gehsteig und Ansgar hielt mir die Wagentür auf. »Danke«, murmelte ich und stieg ein. Wiederum umfing mich dieser köstliche Geruch, dieser satte, saubere Duft. Ich atmete tief ein.

      Ansgar saß neben mir und startete den Motor, leise schnurrte das Kätzchen, dann fuhr er in meine Richtung, an den Stadtrand. Es wurde langsam hell, die Sonne ging gleich auf. Ich wusste nicht, womit ich dieses Stille, dieses Schweigen zwischen uns, durchbrechen sollte, ob ich es überhaupt sollte.

      »Wo warst du denn eben?«, fragte