Nadja Christin

Natascha


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müssen, seine Stimme in meinem Kopf klang traurig und ein bisschen verzweifelt. Es tut mir entsetzlich leid, ich war… abgelenkt, mit meinen Gedanken und Instinkten woanders, das wird nie wieder vorkommen. Ich verspreche es dir, nie wieder.

      Ich blickte ihn an, sah in seine braunen Augen, wo die Lava träge und langsam im Kreis floss, dort, wo das Feuer in seinen Pupillen loderte.

      »Schade«, murmelte ich. Langsam überzog ein Lächeln sein ganzes Gesicht. Das Feuer war kurz verschwunden, dann loderte es abermals auf.

      »Wir müssen jetzt erst mal hier raus. Ich mache dir Platz und du versuchst unter dem Schutt hervor zu kriechen. Der Ausgang ist hinter uns, die Türen sind weg, also kommst du wohl irgendwie raus.« Er stemmte sich hoch und Schutt prasselte um mich herum zu Boden. Metallisches Knirschen und Quietschen war zu hören, dann war mein Körper wieder frei. Ich versuchte mein verletztes Bein unter Ansgar hervor zu ziehen, es schmerzte. Ich drehte mich um, kroch und krabbelte über den Schutthaufen in Richtung Ausgang. Durch eine schmale Lücke fiel das Neonlicht aus der Tiefgarage, ich zwängte mich durch und hüpfte auf einem Bein ein paar Schritte, bevor ich wieder zu Boden gerissen wurde. Mit einem Rums, fiel der Aufzugsschacht erneut in sich zusammen. Staub und Dreck wirbelte auf und hüllte alles ein. Ansgar hatte den Schuttberg angehoben und schneller als dieser wieder in sich zusammenfallen konnte, war er durch die Lücke nach draußen gerannt und hatte mich mit umgerissen.

      Ich spürte, wie ich vom Boden abhob und erneut durch die Luft flog. Als ich die Augen öffnete, sah ich, dass Ansgar mich trug, er schleppte mich zu seinem Auto. Wie ein Bündel warf er mich auf den Beifahrersitz, war fast im selben Augenblick neben mir und startete schon den Bentley. Mit einer irren Geschwindigkeit raste er aus der Tiefgarage heraus und über die Straßen.

      Ich betrachtete mein Bein, im Unterschenkel war ein Loch, ich konnte hindurch gucken und sah dahinter das Muster vom Teppich, der im Fußraum lag. Fast mochte ich meinen Finger hindurch stecken, nur um zu sehen, ob es auch die Wirklichkeit war, oder ob ich das nur wieder fantasiere. Schon streckte ich meine Hand aus.

      »Lass es, es wird gleich wieder verheilt sein«, seine Stimme klang laut in der Stille des Wagens. Ich schreckte ein bisschen zusammen und sah ihn an. Sein ganzer Anzug war hellgrau, vor Betonstaub, das Jackett teilweise zerrissen und alles war besprenkelt mit Blutstropfen. Er blickte stur geradeaus, da bemerkte ich die tiefe Wunde, an seiner rechten Halsseite. Erschrocken streckte ich meine Hand danach aus.

      »Du bist verletzt, du hättest beinahe…« Deinen Kopf verloren, dachte ich den Satz zu Ende.

      Ja, ich weiß, es ist aber nicht passiert, erklang seine Stimme in meinem Kopf. Ich ließ mich wieder in den Sitz fallen. Wohin fahren wir jetzt? Fragte ich in Gedanken. Es war angenehm, nicht reden zu müssen, man konnte sich daran gewöhnen.

      Ich bringe dich zu Josh, da bist du erst mal in Sicherheit. Er kann dich verarzten und eine Runde duschen könnte uns auch nicht schaden, außerdem hat Josh bestimmt ein paar Klamotten für uns übrig. Er machte eine kurze Pause. Dann werden wir weitersehen, er presste die Lippen zusammen und starrte auf die Straße.

      Wer war das? Wie ist das passiert? Du hast eben noch gesagt, du hättest sie riechen müssen? In Gedanken bombardierte ich ihn mit meinen Fragen, ich bekam aber keine Antworten.

      In meinem Kopf trat Stille ein, ich wusste nicht, ob ich mich darüber freuen sollte. Sie fehlte mir, seine tröstliche Stimme. Seufzend presste ich mich in die Polster und atmete den köstlichen Geruch ein. Den Geruch, der Ähnlichkeit mit seinem hatte, eben als er mich im Aufzug küsste.

      Wir schossen durch Joshs Eingangstür und das arme Glöckchen klingelte heiser und fast panisch über uns. Ansgar hatte seine Arme um mich gelegt und hielt mich an seine Seite gepresst, sodass meine Füße den Boden nicht berührten. Wir waren so schnell, das Josh unser Kommen nicht bemerkte.

      Erst als wir durch die Tür fast in seinen Laden fielen, ruckte sein Kopf hoch. Seine Augen wurden größer, als er uns erblickte. »Was ist denn mit euch passiert?«, fragt er verwundert und kam auf uns zu.

      »Später«, brummte Ansgar, »kümmert Euch erst mal um das hier«, dabei zeigte er auf mein Bein. Joshs Augen wurden noch größer und er nahm mich Ansgar ab. Ich legte meinen Arm um seine Schultern und bewegte mich hüpfend, auf einem Bein, zu seiner Theke. Dort hob er mich an den Hüften hoch und setzte mich auf die Glasplatte.

      Ansgar ging zu Joshs Kühlschrank und nahm sich drei Dosen, stellte drei Gläser vor sich und schüttete das Blut hinein. Als er es in der Mikrowelle erwärmte, stützte er seine Hände auf die Kante der Tischplatte und senkte den Kopf zwischen die ausgestreckten Arme.

      Ein tiefes Schnaufen war zu hören, dann ein Knurren, dunkel und bedrohlich, mir lief es kalt den Rücken herunter. Ich blickte Josh an, der noch mit meinem Bein beschäftigt war, doch ich sah nur, wie er die Augenbrauen zusammenschob und leicht den Kopf hin und her bewegte. Lieber jetzt nichts sagen, hieß das wohl.

      »A-a-ah, verdammt, das tut weh«, kreischte ich, Josh hielt ein etwa drei Zentimeter langes Metallrohr hoch. Er hatte es aus dem Loch in meinem Unterschenkel gezogen.

      Ich sah noch, wie sich die Tür zum Hinterhof schloss, Ansgar war weg.

      »Er gibt sich die Schuld dafür«, sagte Josh heiser und verbindend mein Bein mit einem Mullverband.

      »Warum nur?«, ich verstand es nicht, »er kann doch nichts dafür.«

      »In seinen Augen wohl schon, er hat sich nicht genug um dich gesorgt, nicht genug aufgepasst. Ich weiß es auch nicht genau, die alten Vampire sind sehr schwer zu durchschauen. Sie haben schon zu viel mitgemacht, so viel gesehen und erlebt, das hat sie verändert. Sie sind nicht mehr so wie wir, sie sind anders.« Josh erhob sich und betrachtete mein Bein mit dem weißen Verband.

      »Das müsste fürs Erste langen, jetzt trinkst du mal was Anständiges und in ein paar Minuten ist es schon verheilt. Dann kannst du duschen gehen, wenn du willst, im Keller ist eine, neue Klamotten habe ich bestimmt auch noch für dich.«

      »Was ist mit Ansgar?«, fragte ich vorsichtig.

      »Der wird sich schon wieder beruhigen, lass ihm nur etwas Zeit. Ich gehe in den Keller und suche was zum Anziehen für dich raus, bin gleich wieder da.«

      »Okay, danke schön Josh. Das ist ein guter Verband«, ich grinste ihn an, er zuckte mit den Schultern.

      »Dann waren die vergangenen Kriege doch zu was nütze«, er lachte leise und ging in den Keller.

      Ich hüpfte von der Theke und stellte mich probehalber auf mein Bein, es ging, bald konnte ich wieder normal gehen.

      Ich nahm zwei Gläser aus der Mikrowelle und humpelte in Richtung Hintertür. Durch den Glasausschnitt konnte ich Ansgar im Stuhl sitzen sehen, er hatte die Hände vor sein Gesicht geschlagen und die Ellenbogen auf den Tisch gestützt. Ich mochte ihm meine Gedanken schicken, ihn trösten, irgendetwas sagen, aber ich wusste nicht, ob das funktionierte, er sagte doch, er musste mich sehen dafür.

      Lass mich bitte allein, es ging also auch so.

      Nein, dachte ich, es ist nicht deine Schuld, wer immer das war, hat umsichtig gehandelt, wer hätte das denn ahnen können?

      Ansgar schob zwei Finger auseinander und linste mit einem Auge durch die Lücke.

      Über tausend Jahre Vampirdasein und ich vernachlässige meine Instinkte, werfe meine Beherrschung über Bord, breche meinen Kodex und alles, an das ich glaube, wegen ein paar Sekunden mit einer kleinen Schwarzhaarigen. Wer, glaubst du, ist wohl an dem Chaos schuld. Sein Auge glühte zwischen den Fingern hindurch.

      Na, die kleine Schwarzhaarige, natürlich, sagte ich ihm in Gedanken. Er atmete prustend aus, nahm die Hände vom Gesicht und schüttelte den Kopf. Dann ließ er ihn auf die Arme sinken. Ich hatte genug und stieß die Tür auf, setzte mich ihm gegenüber und schob das volle Glas zu ihm hin.

      »Trink was, dann geht’s dir gleich besser.«

      »Hm-m«, ich sah seine Nasenflügel beben, mit einer viel zu schnellen Bewegung hielt