Nadja Christin

Natascha


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weiter stur geradeaus, auf die immer heller werdende Straße.

      Dann eben nicht, dachte ich, da schlug ich mir innerlich auch schon auf den Mund, er konnte doch meine Gedanken hören. Wie unvorsichtig ich war. Es kam keine gedachte Antwort von ihm. Vielleicht ging das ja auch nicht mehr, vielleicht war mein Blut ja weg.

      »Kannst du jetzt nicht mehr meine Gedanken lesen?«

      Er grinste mich an. »Wieso, hast du gerade an etwas Schönes gedacht?«

      »Nein, ich …habe dir nur in Gedanken eine Antwort gegeben und habe eigentlich deine Stimme erwartet.«

      Ich senkte den Blick, das war ja echt peinlich.

      Schon bog er in meine Tiefgarage ein und hielt vor dem Aufzug an. Ich sah mich ein wenig erstaunt um.

      »Kommst du nicht mit hoch? Ich dachte du wolltest dich ein wenig ausruhen, das kannst du auch oben bei mir machen.«

      Ich versuchte verzweifelt meine Endtäuschung zu verbergen, schließlich hatte ich noch etwas vor.

      »Ich dachte nicht, dass du das wolltest«, er sah mich mit seinen glühenden Augen an.

      »Doch …doch, warum nicht. Immerhin hast du mir ein Angebot gemacht, das ich, nach reiflicher Überlegung, nicht abschlagen kann und auch nicht will.«

      »Ganz wie du willst«, er fuhr seinen Bentley auf einen Besucherparkplatz und das schnurrende Kätzchen war stumm.

      Nur das Ticken des Motors war zu hören, wir blieben sitzen. Ich war mir nicht sicher, ob ich Ansgar anschauen sollte, konnte er nun meine Gedanken lesen, oder nicht, er hatte mir noch keine Antwort darauf gegeben.

      »Willst du nicht aussteigen?«, seine Stimme war leise und sanft.

      »Ja«, kaum stand ich neben dem Bentley, war Ansgar auch schon neben mir.

      »Darf ich bitten?«, damit hielt er mir seinen Arm hin. Ich musste lächeln, hakte mich aber bei ihm ein, so gingen wir langsam in Richtung Aufzüge.

      Der Eingang zum Treppenhaus war zwar genau daneben, aber Ansgar steuerte unbeirrt auf die Aufzugtür zu.

      Er stand davor und drückte den Knopf, grinsend sagte ich:

      »Du willst dir das noch mal antun? Schon wieder Aufzug fahren?«

      »Ich quäle mich eben sehr gerne«, ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht, als er den Kopf hob, konnte ich das Feuer kurz auflodern sehen. Der rote Rand schien zu pulsieren, als könnte er sich nicht entscheiden, ob er sich ausdehnen sollte, das Feuer verschlang, oder ob er die Lava weiterhin zurückhielt.

      Ich runzelte die Stirn, quälen, dachte ich verächtlich, Qualen sind dazu da, dass man sie beendet, nicht erträgt. Laut sagte ich:

      »Das musst du doch nicht, wir können die Treppe gehen, kein Problem.« Ich wollte ihn am Arm zum Treppenhaus ziehen, aber es half nichts, er rührte sich nicht von der Stelle. Ich gab genervt auf. Er blickte mich an und legte seinen Arm um meine Schultern.

      »Es ist schon in Ordnung, ich stelle nur meine Willenskraft auf die Probe«, er küsste mich aufs Haar.

      Da fiel mir der Lateinische Spruch von eben wieder ein.

      »Ego sum, qui sum, ich weiß jetzt, was das bedeutet: Ich bin der, der ich bin. Stimmt das so in etwa?« Er war noch in meine Haare vergraben und nickte nur brummend.

      Endlich ging die Aufzugtür auf, wir stiegen ein. Er drückte das Stockwerk, dann drehte er sich zu mir um und nahm mich in seine kalten, steinharten Arme.

      Der Geruch nach Nichts war überwältigend. Ich war es nicht gewohnt, als Vampir lebte man mit seinem Geruchssinn, wie ein Tier war man davon abhängig, aber ein Nichts zu riechen, das war wirklich seltsam. Ich überlegte kurz, ob ich mein Vorhaben aufgeben sollte. Hier entstand vielleicht gerade eine Situation, an die ich mich später gerne zurück erinnern würde. An seine Brust gelehnt seufzte ich kurz auf. Nein, dachte ich, ich werde es als Preis betrachten, als Preis für meine Erinnerungslosigkeit, für meine Leere.

      Er legte seine Finger unter mein Kinn und drückte meinen Kopf hoch, damit ich ihn ansah. Und was ich da sah, verschlug mir die Sprache. Die rote Lava war zurückgekehrt, sie floss träge im Kreis, immer wieder loderte ein kleines Feuer mitten in der Lava auf. Sein Blick war hungrig, gierig und … allwissend.

      Ich starrte ihn mit offenem Mund an.

      Seine Stimme schien von überall her zukommen, nur nicht aus seinem Mund,

      »Ego sum, qui sum, ich bin der, der ich bin. Aber ich bin nicht derjenige, der dir dein Leben nehmen wird. Ich weiß, was du vorhast, aber es wird nicht so geschehen.«

      Verdammt, dachte ich, er hat mich durchschaut. Dann spürte ich seine eisigen Lippen auf meinen, er küsste mich, ganz selbstverständlich.

      Ich zog vor Überraschung kurz meinen Atem ein und mit ihm seinen Geruch, plötzlich hatte er einen Geruch, ein Wohlgeruch, so köstlich, so überwältigend, tausendmal besser, als er seinem Wagen anhaftete.

      Mein Blut geriet augenblicklich in Wallung, schlimmer noch, es kochte, es rauschte, beinahe war es schon schmerzhaft. Ich keuchte und schloss meine Lippen um seinen Mund, damit nur kein Duftmolekül daneben strömte, damit ich alles in mich einsaugen konnte.

      Es war das Köstlichste und Beste, das ich je gerochen hatte, es war eine Erinnerung wert.

      Hinter mir gingen, mit einem quietschenden Geräusch, die Aufzugtüren auf, dann explodierte die Welt um mich herum, mit einem lauten Knall.

      Ich kann fliegen, dachte ich noch, dann prallte ich gegen die Wand im Aufzug. Etwas Schweres, Hartes traf mich am Rücken und presst mir jede noch in mir befindliche Atemluft aus den Lungen. Um mich herum war eine irre Hitze, alles schien zu brennen, selbst die Luft. Ein hohles Knarren und Krachen war zu hören, dann ein Geräusch, wie ein Peitschenschlag, und ein schnelles Surren, ich spürte, wie es abwärts ging. Die Lichter im Aufzug waren scheinbar ausgegangen, ich konnte nichts erkennen, bis mir auffiel, dass ich die Augen zukniff. Ich riss sie auf und sah, dass die Aufzugtür weg war, es war nur noch ein gähnendes Loch an ihrer Stelle, an der in rasender Geschwindigkeit die Stockwerke vorbeizischten. Ein hohes metallisches Geräusch erklang. Als mir schlagartig klar wurde, dass der Aufzug abgestürzte, schloss ich schnell wieder meine Augen und erwartete den Aufschlag. Keine Lidschlaglänge später, prallte der Aufzug ungebremst in der Tiefgarage auf. Es krachte fürchterlich, alles bebte und wackelte um mich herum, Staub flog durch die Luft, hüllte mich ein. Beton und Metallteile flogen um mich herum und landen genau vor meine Nase. Das schwere, harte Ding lag immer noch auf mir drauf, es umhüllte mich nicht komplett, meine Beine lagen noch frei. Ich spürte den Schmerz, als etwas meinen Unterschenkel durchschlug. Ich schrie kurz auf und das harte Ding um mich herum, zog sich noch fester zusammen, erdrückte mich fast. Der Schmerz, in meinem Bein, schoss durch meinen Körper, strahlte bis in meinem Kopf und ließ vor meinen geschlossenen Augen kleine bunte Kreise explodieren. Plötzlich war es um mich herum still, nur noch ein leichtes, metallisches Kratzen war zu hören.

      Ich biss die Zähne aufeinander, der Schmerz in meinem Bein war mörderisch.

       Es wird alles wieder gut, ich verspreche es dir.

      Ich riss meine Augen wieder auf. Ansgar, dachte ich in die Stille hinein. Die Schmerzen wurden augenblicklich zu einem entfernten Pochen. Ansgar, wo bist du? Ich versuchte die Umgebung zu erkennen, aber vor lauter Staub und Rauch war kaum etwas zu sehen.

      Ich bin direkt vor dir. Ein leises Lachen ertönte. Ich blickte geradeaus und tatsächlich sah ich sein Gesicht, kaum fünf Zentimeter von meinem entfernt.

      Er war das Ding, das mich umklammert hatte. Er hatte auch die Teile des Aufzugswracks von mir abgehalten. Der ganze zertrümmerte Fahrstuhlschacht dürfte jetzt wohl auf seinem Rücken lasten. Mit seinem Körper hatte er einen schützenden Wall aus Stein um mich herum und über mir gebaut, damit mir nicht so viel geschah.

      »Danke schön«, flüsterte ich und dachte: Du hast mir mein Leben gerettet, Ansgar. Danke.