Nadja Christin

Natascha


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      Immer noch hielt ich meine Augen geschlossen, sie waren wahrscheinlich zu gelben Raubtieraugen mutiert, wenn ich sie jetzt öffnete, könnte das zu Missverständnissen führen.

      Ich hielt mir das Glas mit dem Konservenblut unter die Nase, und langsam beruhigte sich das Monster in mir.

      Ich konnte meine Augen wieder öffnen und trank einen Schluck.

      Jeanie und Josh unterhielten sich leise, ich hatte nicht mitbekommen, worüber.

      Ich war ganz in meiner Blutwelt versunken.

      Jetzt lauschte ich ihnen. Es ging wohl um einen gemeinsamen Bekannten. Ich wusste gar nicht, dass Josh überhaupt Kontakt mit Jeanie hatte.

      Sie drehte ihren Kopf in meine Richtung und verzog die Lippen. Sollte das ein Lächeln sein? Ich konnte sie einfach nicht leiden. Um meine Gefühle zu verbergen, trank ich schnell noch einen Schluck Blut.

      »Tascha«, begann sie gerade und ich fiel ihr sofort brüsk ins Wort.

      »Natascha!«, etwas freundlicher setzte ich hinzu, »bitte.«

      »Okay«, sie zuckte kurz mit den schmalen Schultern.

      »Natascha. Wir waren in der Vergangenheit nicht gerade Freundinnen, eher ganz im Gegenteil. Aber, wie du vielleicht weißt, gehöre ich auch nicht mehr zum Clan.« Ich hob erstaunt meine Augenbrauen, das war das Erste, was ich hörte.

      »Ach, und wieso nicht?«

      »Das ist eine längere Geschichte und ehrlich gesagt, geht es dich nichts an«, sie presste die Lippen zusammen.

      Da war sie wieder, die alte Jeanie, ekelig und arrogant, wie wir sie kannten und hassten. Ich bemerkte, wie Josh neben ihr kurz nach Luft schnappte.

      Jeanie räusperte sich umständlich.

      »Auf jeden Fall, bin ich auch nur gekommen, um dich zu warnen, Natascha«, sie blickte mich gespannt an.

      Mich warnen? Wovor? Vor dem nächsten Schnee? Laut sagte ich zu ihr:

      »Und was bitte ist so wichtig, dass du extra hergekommen bist?« Ich war leicht verärgert über so viel Arroganz.

      Sie tauschte einen schnellen Blick mit Josh.

      »Der hohe Rat sucht nach dir, sie wissen, wo du dich die meiste Zeit aufhältst.« Jeanie warf mir einen prüfenden Blick zu, dann blickte sie wieder auf ihr Glas, das sie in der Hand hielt.

      »Sie werden jemanden schicken, der mit dir reden soll. Dich ausfragt«, erneut geriet sie ins Stocken.

      »Ja? Und weiter?«, fragte ich.

      »Es geht natürlich um … letzten Sommer. Um deinen Sohn und dieses Halbblut … ich meine den Vampir, Justin.«

      Bei der Erwähnung seines Namens sah ich kurz wieder diese Augen vor mir. Seine schönen braunen Augen und wie sie sich langsam zu Raubtieraugen veränderten.

      »Ja und?« meine Verärgerung war schon fast greifbar.

      »Also, es geht darum, da Dennis nun mal dein Sohn war und Justin von dir verwandelt wurde, wollen sie wohl einen schicken, der dich … na ja, prüft.« Wieder tauschte sie einen schnellen Blick mit Josh aus. Dann seufzte sie und sah auf ihre Hände.

      Josh wendete sich mir zu.

      »Hör mal meine Süße, es ist im Prinzip ganz einfach. Der hohe Rat schickt einen Kerl, einen Abgesandten, vorbei, der soll prüfen, ob dein Blut wirklich so verseucht und … böse ist. Außerdem will er aus deinem Munde die Ereignisse hören, schließlich hast du auch einiges verloren. Und Franks Tod soll geprüft werden.« Josh atmete ein bisschen schneller als sonst.

      »Und wer soll das sein?« fragte ich gespannt.

      »Das wissen wir nicht, aber du kannst ihn wohl als deinen«, Josh schmunzelte kurz, »Rechtsbeistand betrachten. Er ist weder auf deiner Seite, noch auf der Seite des Rates. Er ist zwar einer von ihnen, aber man könnte ihn als … nun ja, als neutral betrachten. Vielleicht ist danach der Rat nicht mehr hinter dir her, betrachte es mal von dieser Seite.« Josh lächelte ein bisschen schief.

      Ich sah ihm gerade in die Augen und überlegte, ob ich nun erfreut darüber sein sollte, dass man sich scheinbar Sorgen um mich machte und mich warnen wollte, oder ob ich lieber wütend war, weil die Beiden hinter meinem Rücken alles aushandelten.

      Ich konnte mich nicht entscheiden, somit stand ich auf und sagte an Jeanie gewandt:

      »Danke für die Warnung«, dann drehte ich mich um und wollte gehen.

      »Wo willst du hin?«, fragte Josh, stand auf und folgte mir in seinen Laden.

      »Warte, bitte«. Ich drehte mich halb zu ihm um.

      »Wieso, was ist denn jetzt noch?« Jetzt spürte ich, wie die Wut in mir hochstieg.

      Josh hielt mich am Arm fest. »Ich will nicht, dass du so gehst, so wütend. Versteh doch bitte, dass ich es nur gut mit dir meine«, er zog mich zu sich heran.

      »Ich will einfach nicht, dass dir etwas geschieht.« Er vergrub sein Gesicht in meinen Haaren und, wie immer, atmete er ganz unwillkürlich meinen Geruch tief ein.

      Ich löste mich von ihm. »Josh, ich bin dir dankbar, dir und …« Ich sah kurz zu seinem Hinterausgang, wo Jeanie immer noch im Hof saß, uns aber wahrscheinlich zuhörte.

      »… und ihr auch, aber ich muss jetzt los. Falls du den Abgesandten siehst, kannst du ihm ja meine Adresse geben. Mach‘s gut.« Ich wendete mich zum Ausgang und war überrascht, dass Josh mich nicht noch einmal zurückhielt. Normalerweise kam man unter vier Versuchen bei ihm nicht davon.

      »Auf bald«, seine Stimme war nur ein Flüstern.

      Draußen atmete ich die warme Frühlingsluft ein, zog mir meinen Helm auf und startete mein Motorrad.

      Unter mir erwachte das Monster wieder zum Leben.

      Mein Monster in mir war allerdings noch nicht befriedigt, es kreischte und jaulte und schrie nach Nahrung. Nach frischem Blut, nach herrlich, köstlichem menschlichem Blut. Ich würde ihm nachgeben, mich ihm hingeben und mit ihm meine Beute teilen. Wir werden gemeinsam unseren Blutdurst stillen, noch heute Nacht.

      Ich machte mich auf den Weg.

      Ich schloss meine Augen und lehnte den Kopf an die raue Mauer. Meine Zähne wurden gerade wieder normal. Ich ließ das Mädchen einfach fallen, schwer plumpste sie auf den Boden. Sie war leer und tot und interessierte mich nicht mehr. Nur ihr Blut war für mich von Interesse, und das hatte ich bekommen. Mein Monster und ich.

      Ich versuchte mich zu sammeln.

      Mein Handy klingelte, ich ging ran.

      »Natascha? Hier ist Josh.«

      Es war schon ein paar Stunden her, seit ich ihn und Jeanie verließ.

      »Ja?«, war alles, was ich herausbekam.

      »Ich wollte dir nur sagen, dass der Abgesandte nach dir sucht.« Josh machte eine kurze Pause.

      »Pass auf dich auf.«

      »Danke«, ich legte auf, ich war noch nicht in der Lage große Reden zu schwingen. Das Mädchenblut musste sich erst in meinem Körper verteilen.

      Mit einem Ruck löste ich mich von der Mauer und ging zu meinem Motorrad. Es war ganz in der Nähe geparkt, meine Beute war einfach zu überwältigen. Ich musste sie nicht verfolgen, wie sonst immer, sie kam praktisch wie von selbst zu mir.

      Langsam fuhr ich durch die menschenleere Stadt nach Hause. Immer wieder überlegte ich, wo mich dieser Abgesandte der Hölle wohl zu fassen kriegen würde. Sollte ich davonlaufen, oder einfach alles auf mich zukommen lassen?

      War es wirklich so, wie Josh sagte, dass er neutral war, oder hatte ich von Anfang an keine Chance, mich zu verteidigen, da seine Meinung schon feststand?

      Grübelnd parkte ich die Honda auf meinem Parkplatz. Ein neuer Wagen