Nadja Christin

Natascha


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mein Schatz, er wollte es selber machen, aber ich habe ihn darum gebeten.« Er blickte kurz an mir vorbei.

      »Ach was, angefleht habe ich ihn, dass ich das machen darf. Das ich dich töten darf.« Seine Augen hatten ganz plötzlich wieder dieses bedrohliche raubtiergelb angenommen.

      »Du liebst mich nicht mehr …«, ich musste schlucken,

      »darum gibt es auch nichts mehr zwischen uns und ich kann wieder in deinem Blick versinken.«

      In mir drinnen gab es ein kurzes Geräusch, als wenn eine Sicherung durchbrannte, knisternd, knackend und zischend.

      Ich blinzelte einmal.

      Justin zog die Augenbrauen zusammen und einen kurzen Augenblick sah ich wieder diesen gequälten Ausdruck in seinem Gesicht.

      Dann riss er mir blitzschnell den Kopf herum. Ein anderes Geräusch war zu hören, ein scharfes Splittern, ein Knacken und Krachen.

      Es hallte laut in meinen Ohren wieder, lauter als ich es je für möglich gehalten hätte, als Justin mir mit einer schnellen Bewegung das Genick brach.

      Er ließ meinen Kopf los und ich fiel einfach um, prallte auf die staubige Straße, unfähig mich zu bewegen.

      Ich konnte ihn noch sehen, wie er sich die Hände an der Hose abwischte, als hätte er etwas Ekeliges angefasst. Er stieß seine Schuhspitze in die lockere Erde, kurz vor meinem Gesicht, Staub und Dreck flogen nur so um mich herum. Er landete auch in meinen Augen, Ohren und in meinem halb geöffneten Mund. Ich konnte nichts dagegen unternehmen, ich war vollkommen bewegungsunfähig, ich konnte noch nicht einmal blinzeln.

      »Ich hasse dich!« Es kam aus dem letzten Winkel seines Körpers, aus der hintersten Ecke, und er sprach mit so einer Überzeugung, dass ich ihm einfach glauben musste, ihm auch glauben wollte.

      Dann drehte er sich um und ging.

      Er ließ mich im Staub liegen, mit gebrochenem Hals.

      So lange es ging, starrte ich auf seinen Rücken, wie er die Straße entlang schlenderte und mich verließ.

      Ein Bild, das sich für immer in mein Gedächtnis einbrannte.

      Als er verschwunden war, starrte ich noch die leere Straße hinunter, auf den Punkt, wo ich ihn das letzte Mal sah.

      Endlich konnte ich meine Augen schließen und horchte in mich hinein. Meine Selbstheilungskräfte waren bei der Arbeit, gut so. Es würde noch eine Weile dauern, so ein Wirbelbruch war nicht so schnell zu reparieren. Ich musste hier noch ein bisschen liegen.

      Ich fragte mich, warum er mich nicht wirklich vernichtet hatte. Selbst er würde wissen, dass ein simpler Genickbruch uns nur kurzfristig lähmte, aber nicht töten konnte. Hatte er es schließlich doch nicht über sich gebracht? War doch noch ein Funke Gutes in ihm? Ich wusste es nicht und wollte auch nicht weiter darüber nachdenken. Ich wollte mich nur endlich wieder bewegen können um nach dem kümmerlichen Rest meiner Familie zu sehen. Vielleicht hatte Justin ja gelogen, vielleicht wollte er mir nur weh tun, mich verletzen.

      Ich flüchtete mich in meine Gedanken und Erinnerungen, nur weg von dem hasserfüllten Blick, der immer noch vor meinem inneren Auge umher tanzte. Nur weg von der Wirklichkeit, hinein in die tröstliche Wolke und die Zeit ein paar Jahre zurückdrehen. In eine Zeit eintauchen, als es noch keinen Justin gab, noch keinen Frank und noch keine Vampire, jedenfalls für mich noch nicht.

      Einige Stunden verbrachte ich am Fuße der Straßenlaterne und ließ meine Selbstheilungskräfte für mich arbeiten.

      Ich stand auf und bewegte meinen Hals vorsichtig hin und her. Es ging wieder. Gleich würde es hell werden, ich musste schnell sein.

      Ich rannte zu meinem alten Haus, die Stufen zur Eingangstür hoch und stand vor der offenen Tür.

      Blutgeruch stieg mir in die Nase, ich schloss kurz die Augen. »Nein!«, es war nur ein Hauch.

      »Oh nein, er hat es doch wahr gemacht.«

      Zögernd ging ich in den Flur. Rechts war die Küche, aber der Geruch kam von oben. Langsam stieg ich die Treppen empor, Stufe um Stufe kostete mich mehr Kraft. Oben angekommen verharrte ich kurz. Ich musste mich orientieren, hier war ein Geruch, den ich nicht kannte. Er kam von rechts, ich ging ihm nach. Die Tür vor mir war nur angelehnt, mit einer Hand stieß ich sie auf.

      Da lag sie vor mir, im Badezimmer, eine hübsche Frau, braune Haare und sehr schlank. Vielleicht vierzig Jahre alt. Ich blickte sie an und legte meine Stirn in Falten, ich überlegte, wer sie war und ob ich sie schon mal gesehen hatte.

      Klar, er hatte wieder geheiratet, schoss es mir durch den Kopf. Er konnte zwei so kleine Kinder ja nicht ohne Mutter aufwachsen lassen. Ich betrachtete sie genauer. Ihr Gesicht war kalkweiß und schmerzverzerrt, an ihrem Hals prangten zwei Einstichstellen. Wie in Trance drehte ich mich um und folgte den bekannteren Gerüchen. Im Schlafzimmer fand ich meinen Mann, er lag noch auf dem Bett, auf dem Bauch. Ich stellte mich neben ihn, damit ich sein Gesicht sehen konnte. Er war in den letzten Jahren kaum gealtert, eigentlich sah er noch genauso aus, wie früher.

      Ich drehte mich um und ging zum Kinderzimmer. Auch hier war die Tür nur angelehnt. Es war, als sollte ich sie alle so finden, kein Mörder machte sich die Mühe, die Türen sorgfältig anzulehnen. Er knallte sie nach der Tat entweder zu, oder ließ sie einfach offen stehen. Was erwartete mich hier, fragte ich mich. Der Blutgeruch war überwältigend. Zögernd hob ich meine Hand und stieß die Tür auf.

      Es war früher schon ihr Zimmer. Nach Osten raus, weil sie den Sonnenaufgang so geliebt hat. Sie lehnte gerne verträumt am Fenster und sah den Sonnenstrahlen zu, wie sie langsam die Wände berührten und sich an ihr entlang tasteten.

      Auch jetzt ging gerade die Sonne auf, ihre Strahlen trafen auf die gegenüberliegende Seite, malten ein bizarres Schattenspiel auf die weiße Wand.

      Dazwischen hing meine Tochter.

      An den Handgelenken mit Seilen aufgehängt, aufgeknüpft wie ein Stück Vieh. Ihr Kopf war nach vorne geneigt, ihr langes, blondes Haar verbarg ihr Gesicht. In dem Blond der Haare waren rote, fast rostige Stellen. Sie sahen aus, wie blutige Strähnchen. Sie hatte ein weißes Nachthemd an, mit kleinen rosa Blümchen drauf. Überall waren Blutflecken und Spritzer. Selbst an der Decke über ihrem Kopf. Ihre Füße waren nackt, sie schwangen ganz sachte hin und her.

      Auf ihrem Nachthemd war ein breiter roter Streifen zu sehen, er führte bis unten hin zum Saum. Es war das Blut, das aus ihrer Halswunde geflossen war. Dennis hatte sich nicht die Mühe gemacht, sie auszusaugen, er hatte sie gebissen und die Wunde offen gelassen, damit sie langsam verblutete.

      Ein dicker Tropfen lief unter dem Saum ihres Nachthemdes hervor, floss über ihren Fuß, bis zum Zeh. Dort sammelte er sich und wurde dicker, bis er sich schließlich löste und fiel.

      Ich verfolge diesen Tropfen mit den Augen, sah wie er sich durch den Luftzug verformte. Bis er unten auftraf. Ein leises Plitsch ertönte, als der Tropfen sich mit den unzähligen anderen Tropfen, die unter ihren Füßen eine Lache gebildet hatten, vereinte. Es spritzte leicht, aber nur ein bisschen.

      Das war mein Stichwort.

      »NEIN!« Es war das Einzige, was ich zu brüllen in der Lage war.

      Ich stand da, blickte meine tote Tochter an und brüllte mein Entsetzen, meine Wut und meine Trauer hinaus.

      Ich konnte nicht weinen, ich bedauerte das zutiefst. Ich mochte weinen, damit die Tränen meine Gefühle weg spülten. Diese unerträglichen Gefühle, die meinen Körper von innen her zu zerreißen drohten.

      Die wie Tischtennisbälle in meinem Inneren unkontrolliert hin und her sprangen. Bis an die Grenzen meines Seins, meines Daseins.

      Ich wollte weinen können.

      Damit ich sie nicht in mir drin behalten musste.

      Irgendetwas in mir zerriss. Zersprang mit einem scharfen, klirrenden Geräusch.

      Ich schloss meinen Mund und drehte mich abrupt um.

      Ich