Nadja Christin

Natascha


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eine Frage von Sekunden, bis entweder sein Geruchssinn mich roch, oder seine scharfen Augen mich erspäht hatten. Aber bis dahin musste ich nah genug an ihm dran sein.

      Da sah ich es plötzlich, des Schicksals Fügung, wenn man so wollte. Einem Geschenk gleich, lehnte es einsam und verlassen an einem Stein. Der Holzgriff durch die viele Arbeit glatt und dunkel geworden, das Blatt blank gerieben von der Erde, die scharfe Kante gezeichnet von Steinen, auf die es traf.

      Da stand es, mein persönliches Geschenk direkt aus der Hölle, von wo auch sonst.

      Ein Spaten.

      Nichts eignet sich besser, mal abgesehen von einem Schwert, um einem blutrünstigen Vampir damit den Kopf abzuschlagen. Eine hervorragende Waffe, leicht und handlich und die Einzige, die ich hatte.

      Schnell rannte ich zu dem großen Stein, an dem der Spaten unschuldig lehnte. Frank hatte meine Anwesenheit erstaunlicherweise noch nicht bemerkt. Vorsichtig nahm ich das Grabwerkzeug an mich, wiegte ihn probehalber in meiner Hand. Ja, der war erstklassig.

      Er gehörte vermutlich dem Friedhofswächter, damals kam ich mit ihm ins Gespräch. Er pflegte wohl immer noch die Gräber. Allerdings war er bereits früher schon uralt und gebrechlich. Wunderte mich, dass er die Arbeit noch verrichten konnte.

      Jetzt fühlte ich mich besser, ich war bewaffnet.

      Erneut spähte ich vorsichtig um den Stein, aber diesmal war es ein Fehler. Franks Kopf ruckte herum und seine Raubtieraugen hatten mich entdeckt.

      »Tascha, du hast es tatsächlich geschafft. Du bist stärker als ich dachte.« Er grinste leicht und schüttelte den Kopf.

      »Wo ist Justin?«, rief ich zurück.

      »Dein Liebling ist zu einem Monster geworden. Dennis redet ihm gerade gut zu. Aus irgendeinem Grund hat Justin einen unerklärlichen Hass auf dich. Er will dich lieber tot als lebendig sehen. Was hast du wieder angestellt?«

      Ja, das fragte ich mich auch. Ich hatte ihm nichts getan. Ob er immer noch ein bisschen wütend auf mich war, wegen Josh?

      »Gar nichts«, rief ich laut zurück.

      »Dann muss dein mieses, verseuchtes Blut daran schuld sein.« In Franks Stimme schwang Wut mit.

      Inzwischen war ich derselben Meinung, leider konnte ich Frank nicht widersprechen.

      Er stand noch an der gleichen Stelle. Ich versteckte den Spaten hinter meinem Rücken, stand auf und kam langsam auf ihn zu.

      »Da wirst du recht haben, Frank«, sagte ich leise zu ihm.

      »Aber bitte bedenke, von wem ich dieses verseuchte, dreckige Blut bekommen habe«, ich grinste frech, »der Spender muss wohl auch ein böser, verseuchter Dreckskerl sein, meinst du nicht?«

      Während ich näher kam, zog sich Franks Gesicht immer düsterer zusammen, als ich endlich vor ihm stand, hatte er eine Mordswut auf mich.

      Seine Augen sprühten vor Zorn, seine Hände waren zu Fäusten geballt, ein leises, warnendes Knurren kam aus den Tiefen seines Körpers.

      »Pass auf, was du sagst«, knurrte er mich an.

      Ich fasste den Spaten, hinter meinem Rücken, fester, blitzschnell beugte ich meinen Kopf vor, nahe an sein Gesicht.

      »Ich passe immer auf, vor allem darauf, was ich tue.«

      Das war wohl zu viel für ihn, seine Hand schnellte vor und er versetzte mir einen Schlag gegen die Brust, dass es mich von den Füßen hob und ein paar Meter zurück schleuderte.

      Ich zerbrach beim Aufprall einen Grabstein und blieb keuchend darauf liegen. Den Spaten hatte ich verloren, da ich während des Fluges wild mit meinen Armen ruderte. Ich hob meinen Kopf und sah zwei Dinge fast gleichzeitig: Frank, der mit gesenktem Kopf und geballten Fäusten langsam auf mich zukam und meinen geliebten Spaten, der nur zwei Meter entfernt, etwas seitlich von mir auf dem geharkten Friedhofsboden lag. Ich spannte meinen Körper an, in einem ungeheuren Tempo, das ich selbst nie für möglich hielt, schnellte ich aus meiner liegenden Position auf den Spaten zu. Packte ihn mit beiden Händen und schlug damit in Franks Richtung. Er hatte nicht mit meiner schnellen Gegenwehr gerechnet. Er war wirklich vollkommen überrascht.

      Der Spaten traf nicht seinen Hals, er traf ihn seitlich am Kopf, in der Eile hatte ich zu hoch gezielt. Auch hatte ich das Blatt nicht gerade gehalten, sondern hochkant. Ich erreichte nur, dass der Spaten Franks Kopf bis fast zur Mitte hin eindrückte. Seine linke Gesichtshälfte war verschwunden, zerquetscht, als hätte ihn sein eigener Jeep gerammt. Blut floss, aber nur wenig. Ich hob den Spaten an und schlug nochmals zu, auf die gleiche Seite. Es riss ihn herum, er taumelte. Ein erneuter Schlag von mir, diesmal zu seinem Hals schleuderte ihn zu Boden.

      Da lag er nun vor mir, mein Erzeuger. Ich hatte ihm vertraut, mein Dasein anvertraut, wie konnte ich nur.

      Ich stürzte auf ihn zu und stellte die Kante des Spatens genau auf seinen Adamsapfel. Frank war schwer angeschlagen. Seine linke Gesichtsseite war einfach weg. Sein rechtes Auge fixierte mich, aber es lag keine Drohung in seinem Blick.

      »Du bist böse«, krächzte er.

      »Ich weiß«, antwortete ich ihm und lächelte süffisant.

      Sein Blick ging kurz zu meinem Spaten, auf dem ich gestützt lehnte.

      »Tu es!«, er fixierte mich.

      »Das habe ich auch vor. Du hast zu viel Schlechtes verbreitet, du hast jegliches Recht auf Gnade verwirkt. Du hast es verdient zu sterben.«

      »Du traust dich ja doch nicht«, sein Lächeln war voller Arroganz.

      Etwas in meinem Gesicht verriet meine Entschlossenheit, sein Auge wurde größer vor Erkenntnis, er zog die Luft scharf ein.

      »Oh doch.« Damit stieß ich den Spaten herunter. Es gab ein knackendes und knirschendes Geräusch, als das Spatenblatt seinen Hals durchtrennte. Ich musste ihn wieder aus der Wunde ziehen und nochmals zustoßen, diesmal mit mehr Schwung. Dann war Frank seinen Kopf los.

      Ich kickte ihn ein paar Meter weiter, man konnte ja nie wissen, wenn die beiden Körperteile nah genug beieinander waren, vielleicht wuchsen sie ja wieder zusammen.

      Der Geruch von Franks Blut schwebte über mir, mein Monster, das bis dahin geschlafen hatte, war blitzartig wieder wach. Es kreischte und jaulte.

      Es hatte recht, warum auch nicht.

      Ich musste mich beeilen, sonst war nichts mehr da.

      Ich nahm Franks schlaffen Arm und biss ihm kräftig in die Pulsadern. Sein Blut strömte mir entgegen, ich trank es gierig und schnell. Beinahe schnell genug, sodass ich kaum bemerkte, wie schlecht es schmeckte, wie scheußlich es sich in meinem Mund anfühlte.

      Als es meine Kehle herunter floss breitete sich in meinem Körper ein warmes, wohliges Gefühl aus.

      Ich hatte meine Beute gejagt und besiegt. Das war mein Lohn. Mein süßer Lohn. Ich hatte es mir verdient.

      Plötzlich fühlte ich Feuer in der Hand und im Mund. Der unerwartete Feuerstoß versengte mir die feinen Haare im Gesicht. Ich verschloss rasch die Augen und ließ mich nach hinten fallen. Franks Körper brannte, sein Kopf ein paar Meter weiter hatte auch Feuer gefangen.

      Ich starrte in die Flammen, sie zeichneten ein bizarres Muster auf die umliegenden Grabsteine und wahrscheinlich auch auf mein Gesicht.

      Es war vollbracht, ich hatte ihn wirklich getötet. Über vierhundert Jahre Vampirdasein, getötet.

      Meinen Erzeuger, getötet. Meinen ehemals Vertrauten, meinen Mentor, ermordet. Ich ließ mich rückwärts auf einen Grabstein fallen und blickte in den dunklen Himmel. Ich war erschöpft, total ausgelaugt. Todmüde aber glücklich. Ich hatte es geschafft.

      Jetzt war ich nur noch gespannt darauf, was das Blut in mir anstellen würde.

      Es war so ziemlich das Erste, was man als Vampirneuling lernte. Beiße niemals einen anderen Vampir und trinke sein Blut, egal wie durstig du bist. Dass es einfach