Nadja Christin

Natascha


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ich im letzten und in diesem Leben nur angestellt, das ich so viel Hass verdiente? Es mussten schlimme Dinge gewesen sein, sehr schlimme.

      Ich blickte Dennis an.

      »Nein! Du wirst mich schon umbringen müssen. Ich lasse nicht zu, dass du Unschuldige tötest.«

      Dennis hob die Augenbrauen und zuckte mit den Schultern.

      »Okay, ganz wie du willst.« Seine Stimme war ruhig und gelassen. Er wendete sich um, zu Justin.

      »Bitte schön, sie gehört dir.« Dabei vollführte er eine Handbewegung, als wollte er mich Justin auf einem Tablett servieren.

      Die Beiden tauschten einen schnellen Blick.

      »Ich gehe mich in der Zeit amüsieren.« Dennis rannte los. Genau das wollte ich aber nicht zulassen. Ich machte eine Bewegung und stellte mich ihm in den Weg.

      Genau in diesem Moment prallte ich mit einem Zug zusammen. Jedenfalls war es ein Gefühl, als wäre es der Schnellzug aus der Stadt gewesen. Ich flog ein paar Meter rückwärts, knallte auf den Boden und rutschte über die schmutzige Straße. Um mich herum wirbelte Staub und Dreck hoch, er nahm mir fast die Sicht. Ich sah rechts von mir noch Dennis weglaufen. Schnell rappelte ich mich auf, ich wollte ihm hinterher.

      Meine Füße machten einen Schritt, dann noch einen. Schon hatte mich der Zug erneut erfasst und weg geschleudert. Diesmal prallte ich mit meinem Rücken gegen die Laterne, es gab ein hohles Boing, und ich rutschte an ihr runter, bis auf den Boden. Die Laterne wackelte und schaukelte bedenklich, ihr Licht flackerte kurz, dann ging es aus. Dunkelheit hüllte mich ein, es dauerte ein kurzes Blinzeln, bis ich wieder besser sehen konnte.

      Justin stand mit gesenktem Kopf etwa fünf Meter vor mir. Seine Hände waren zu Fäusten geballt, seine Lippen zusammengepresst, der Blick, dieser Raubtierblick mit dem er mich anstarrte, war hasserfüllt.

      »Justin, was … habe ich dir getan? Womit habe ich so viel Hass verdient?«, es quälte mich, ihn so zu sehen.

      »Ich dachte, wir gehören zusammen, ich dachte, wir beschützen einander.«

      Ein merkwürdiges Gefühl von Déjà-vu überkam mich.

      Ich sah kurz uns beide in einem Zimmer stehen, umgeben von vier verbrannten Jungs. Es waren seine Worte, ausgesprochen in Verzweiflung und Angst. Ich konnte nicht anders, ich musste einfach seine Worte wiederholen:

      »Ich dachte … du liebst mich.« Ich blickte ihn gespannt an.

      Seine Brauen zogen sich zusammen, regungslos stand er da. Ein Schatten überflog sein Gesicht, ganz kurz nur, aber für mich deutlich erkennbar.

      Sein Mimik, sein Blick entspannten sich ein bisschen. Ein bittender, beinahe schon gequälter Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. Die gelben Augen bewegten sich rastlos hin und her. Er sah aus, als dachte er scharf nach.

      Vielleicht war in der Tiefe immer noch der alte Justin verborgen, ich musste ihn nur wieder hervorholen.

      »Justin, wach auf! Bitte. So bist du nicht, du bist nicht so ein … Monster. Ich weiß das!«, meine Stimme war flehend.

      Justin hob den Kopf, legte ihn ein bisschen auf die Seite und blickte mich durchdringend an.

      »Du hast mich zu dem gemacht, was ich jetzt bin. Du warst es. Du hast mich in dieses«, seine Lippen zogen sich verächtlich nach oben, »dieses Monster verwandelt.«

      Ich sah seinen Hass noch einmal kurz aufblitzen.

      »Du wärst gestorben, Justin«, meine Stimme war leise, nur ein Murmeln. Ich wusste, er hatte mich verstanden.

      »Du wärst jetzt tot.«

      Er kam ein paar Schritte auf mich zu.

      Ich saß immer noch unter der Straßenlaterne. Als er vor mir stehen blieb, musste ich zu ihm aufblicken. Er kam mir so groß vor, so gewaltig. Er streckte mir seine Hand hin, um mir aufzuhelfen. Misstrauisch sah ich erst auf seine Hand, dann in sein Gesicht. Es wirkte freundlicher, friedlich. Seine Augen waren nicht mehr ganz so gelb, ein leichter brauner Schatten war zurückgekehrt, färbte sie wieder dunkler. Es sah schön aus, tröstlich und … so vertraut.

      Könnte ich doch noch einmal in diesen schönen tiefen Brunnen versinken. Ich würde alles dafür geben um in der Unergründlichkeit unterzutauchen, mich zu verlieren.

      Ich ergriff seine Hand, er zog mich hoch und wir standen uns gegenüber.

      »Wäre das so schlimm?«, fragte er mich sanft.

      »Was?«, ich war irritiert und zwinkerte kurz. Es kam mir vor, als hätte ich irgendwo unterwegs den Faden unserer Unterhaltung verloren. Als hätte ich mich verloren. War ich doch wieder in seinen unergründlichen Augen versunken? Hatten die tiefen Brunnen mich kurz in ihren Abgrund mitgerissen?

      Er holte Luft. »Ich habe dich gefragt, ob das so schlimm ist, wenn ich jetzt tot wäre.«

      Ich war fassungslos.

      »Sicher wäre das schlimm«, ich hob meine Hand um über seine Wange zu streichen. Kurz bevor ich sie berühren konnte, hatte er mein Handgelenk gepackt und hielt es eisern fest.

      »Nein!«

      Seine Lippen waren erneut zusammengepresst, sein Blick starr und kalt.

      »Niemals mehr will ich deine kalte Haut spüren. Dennis hat recht, du hast mein wahres Gesicht nicht akzeptiert, du hast mein Inneres mit Feuer verbrennen wollen. Du wolltest dass ich gut bin. Ich bin es aber nicht. Ich bin nicht so, wie du mich erschaffen wolltest. Ich bin ein Monster. Und das will ich auch sein. Jetzt bin ich frei. Endlich frei!«

      Die ganze Zeit hielt er dabei mein Handgelenk fest, ich spürte nichts. Nur seine kalten Finger. Das zarte Band, das zwischen uns existierte, es war scheinbar weg.

      Was hatte es vertrieben? Seine Worte? Nur seine Worte? Vermochten ein paar einfache gesprochene Sätze alles zu zerstören? Oder war es sein grenzenloser Hass auf mich? Ich konnte es nicht fassen. Gespannt schaute ich auf seine Hand, die immer noch mein Handgelenk umfasste. Ich wartete darauf, dass meine Gefühle für ihn zurückkehrten, dass es wieder wie vorher war.

      Sein Blick ging in dieselbe Richtung und er begriff. Ganz plötzlich ließ er mein Gelenk wieder los.

      In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Ich musste ihn wieder auf den rechten Weg bringen, nur wie? Er steckte so voller Hass und Mordlust, wie kam ich dagegen an?

      Ich konnte ihm nicht wehtun, das hatte ich noch nicht einmal über mich gebracht, als er noch ein Mensch war und jetzt …erst recht nicht.

      Plötzlich musste ich an Dennis denken,

      »Justin lass mich wenigstens Dennis aufhalten, er bringt Unschuldige um, er bringt seine Familie um. Lass mich gehen, danach kannst du mich ja immer noch töten, wenn dir danach ist.«

      »Du wirst ihn nicht aufhalten können. Er ist weiter gezogen. Seine Schwester und seinen Vater hat er schon vor ein paar Stunden getötet. Es war alles nur eine Finte. Nur gespielt mein Schatz, für dich inszeniert.«

      Er grinste mich frech an. Ich schlug mir die Hände vor den Mund und schloss die Augen. Entsetzen packte mich, blankes Entsetzen.

      »Nein, nein, das darf nicht sein.«

      Ich fiel auf die Knie, meine Beine konnten mich nicht mehr halten. Meine Arme fielen kraftlos an mir herunter. In meinem Kopf summte und brummte es, als hätte man dort einen Bienenschwarm ausgesetzt. Mit einem Mal fügten sich die Teilchen ineinander. Die Erkenntnis überwältigte mich fast, raubte mir den Atem. Sehr leicht hatte es sich mein Sohn gemacht.

      »Dann hat er dich da gelassen, um mich aus dem Weg zu räumen. Das hätte er auch selber machen können, der Feigling.« Verachtung lag in meiner Stimme.

      Justin legte seine Hände an meine Wangen und lehnte sich zu mir herunter. Kein Feuer, keine Leidenschaft, nichts, nur die Kälte seiner Haut.

      Ganz dicht beieinander waren unsere Gesichter. Ich