Nadja Christin

Natascha


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erzählt.

      Vielleicht war es in der Lage mich zu töten. Vielleicht machte mich sein verunreinigtes, böses Blut aber auch nur noch stärker. Vielleicht passierte gar nichts. Wahrscheinlich war es nur eine Legende, ein Mythos, damit die Vampire nicht gegenseitig übereinander herfielen.

      Ein Geräusch ließ mich hochfahren und zu meinem Todesspaten greifen. Das Feuer glimmte nur noch vor sich hin, bald war nichts mehr übrig von Frank.

      Ich sah Dennis und Justin um die Ecke eines Mausoleums biegen. Sie erstarrten beide in der Bewegung, als sie mich und die glimmenden Überreste erblickten. Ich hockte noch auf dem Grabstein, der Spaten lag auf dem Boden vor mir. Meine Hände waren um den Stiel gekrallt. Ich war zum Schlag bereit.

      Dennis fand wohl als Erster aus seiner Erstarrung. Mit einem Löwengebrüll rannte er auf mich zu. Mitten in seinem Angriff bekam er meine Waffe zu spüren. Er klappte mit einem seltsamen Geräusch einfach zusammen, krümmte sich auf dem Boden liegend. Ich hob meinen Spaten und stellte ihn meinem Vampirsohn auf den Hals. In Dennis’ Blick flammte Panik auf, er blickte fieberhaft zwischen dem Blatt und meinem Gesicht hin und her. Ich wollte mich gerade fester auf den Stiel stützen, da wurde ich von Justin weggefegt. Er hatte mich mit seinem Körper gerammt und ich flog im hohen Bogen durch die Luft. Diesmal landete ich auf dem weichen Weg.

      Ich sah, wie Justin Dennis aufhalf, sie standen mir jetzt gegenüber. Zwei Vampire, zwei mordsmäßig wütende Vampire. Justins Augen sprühten vor Hass und Wut.

      Diesmal hatte ich meinen Spaten bei dem Flug nicht verloren, ich hielt ihn noch in meiner Hand, hob ihn an und sagte:

      »Er hatte es verdient.«

      Ein leises Knurren war die Antwort.

      Ich blickte zu Justin, meinem lieben, netten Justin. Sein Monster schien nicht mehr weichen zu wollen. Sein Gesicht war eine einzige verzerrte Fratze, die Zähne lang und spitz die Augen gelb und kalt.

      »Was hat er dir erzählt?«, fragte ich ihn.

      »Das geht dich gar nichts an«, seine Stimme war eisig, »nichts, was mich betrifft, geht dich noch etwas an.«

      Ich zog die Augenbrauen zusammen und schüttelte meinen Kopf, ich konnte es einfach nicht verstehen.

      »Justin … ich …«, war alles, was ich herausbrachte.

      Dennis fasste Justin am Arm und zog ihn weg.

      »Komm, wir haben noch etwas zu erledigen. Es gibt noch ein wenig Rache zu üben, die ich auskosten möchte.«

      Er grinste Justin an, der lächelte zurück.

      Dann rannten sie los. Ich starrte ihnen mit großen Augen hinterher. Dennis wollte Rache nehmen? An wem denn?

      Dann fiel mir ein, wo ich mich genau befand.

      Der Schreck fuhr mir durch den Körper.

      »Oh, nein. Das darf doch nicht wahr sein. Alles, nur das nicht.«

      Schnell rappelte ich mich hoch und jagte beiden hinterher.

      Ich rannte, ich lief wie der Blitz, und schien doch nicht von der Stelle zu kommen. Ich spürte wie ich lief und doch war ich nicht schnell genug.

      Er war vor mir, genau vor mir und doch noch so weit, unerreichbar für mich. Ich streckte meine Hand aus, sie griff ins Leere.

      Später, in meinen Erinnerungen, sofern ich sie zuließ, durchlebte ich diese Sekunden immer wieder.

      »Justin.« Auch mein Ruf ging ins Leere, er war vor mir, ich konnte ihn sehen, riechen, aber er drehte sich nicht um, er schien mich nicht zu hören.

      »Justin.« Nochmals der Ruf aus meinem Mund, fast schon ein Schrei. Panik ergriff mich, machte sich in mir breit. Löste den Hass ab, auf meinen Sohn Dennis. Die Furcht ließ mich noch schneller werden. Die Bäume rasten als dunkle Schatten an mir vorbei. Wenn ich doch nur. … Bitte, lass mich ihn erreichen.

      Erneut streckte ich meine Hand aus, machte einen verzweifelten Satz nach vorne. Meine Finger krallten sich in sein T-Shirt. Ich hatte ihn erwischt, hielt ihn fest.

      »Justin, bitte, bleib doch stehen.«

      Er hob den Arm, im selben Moment spürte ich seinen Ellenbogen im Gesicht. Ich ließ ihn wieder los.

      Genau zwischen meine Augenbrauen hatte er mich getroffen. Mit einer einzigen, flüssigen Bewegung hatte er mich geschlagen.

      Justin hatte mich geschlagen.

      Ich spürte keinen Schmerz, keinen körperlichen. Aber das Entsetzen, das sich in rasender Geschwindigkeit in meinem Körper ausbreitete, lähmte mich für ein paar Sekunden.

      Ich wurde langsamer. Justin rannte einfach weiter, er blickte über seine Schulter zurück. Blickte mich an, ganz kurz nur, aber ich konnte den grenzenlosen Hass in seinen Augen sehen, konnte ihn sogar spüren. Dennis, der vor ihm lief, lachte kurz und hämisch auf.

      Ich blieb stehen. Ich konnte nicht mehr, das war zu viel für mich. Ich zwinkerte ein paar Mal, damit ich wieder klar denken konnte, damit ich ohne Emotionen nachdachte.

      Dann rannte ich erneut los, ich lief einen Bogen, in der Hoffnung ihnen den Weg abzuschneiden. Ich ahnte, wohin Dennis wollte.

      Wieder rannte ich im Höllentempo durch den dunklen Wald. Ich bemerkte nicht die Bäume, die an mir vorbeihuschten, nicht die Äste, die mich streiften, ich hörte nicht den pfeifenden Wind in meinen Ohren. Ich sah nur Justins Augen vor mir. Seine Augen die diesen unerträglichen Hass versprühten, Hass auf mich.

      Ich lief noch schneller, ich musste sie erwischen.

      Da waren sie. Sie waren auf dem Weg zu Dennis’ Haus, das auch mal mein Haus war.

      Sie wollten ein Blutbad anrichten, wollten Unschuldige ins Verderben stürzen. Ich wusste es.

      Sie gingen jetzt im normalen Tempo, sie befanden sich auf einem Weg, unter einer Straßenlaterne konnte ich sie deutlich sehen.

      Ich schoss förmlich aus dem Wald und stand ihnen in einiger Entfernung gegenüber. Sie blieben abrupt stehen, wahrscheinlich hatten sie nicht mehr mit meinem Auftauchen gerechnet. Oder, das ich es wagen würde sie zu stellen, hier wo die Blutsäcke uns beobachteten.

      Mich aber interessierte dass alles nicht mehr, mein Denken, mein Fühlen, alles war mit einem gezielten Schlag zunichte gemacht worden.

      Ich ging weiter im Bogen und versperrte ihnen jetzt den Weg. Breitbeinig stellte ich mich vor sie hin, meine Arme im leichten Abstand von meinem Körper, die Handflächen zu ihnen gedreht. Aus meinem Inneren erklang ein Knurren, ein tiefes, heiseres und drohendes Knurren. Wir waren wie drei Panther, die ihr Revier verteidigten. Drei gelbe Augenpaare fixierten sich, sechs spitze Zähne blitzen im Licht der Straßenlaterne.

      »Gib den Weg frei«, Dennis grinste flüchtig, »Mutter.«

      »Auf keinen Fall«, meine Stimme klang fest, »du willst ein Blutbad anrichten. Du willst deine kleine Schwester und deinen Vater töten, und vielleicht noch mehr. Wofür willst du Rache nehmen? Wofür, Dennis? Frank hat dich verwandelt, er hat dich zu dem gemacht, was du jetzt bist. Die Anderen«, ich zeigte kurz mit der Hand hinter mich, »die können nichts dafür. Lass sie in Ruhe, halt sie da raus.«

      Mein Blick ging zu Justin, der mich mit bösartigen Augen anfunkelte, »halt Justin da raus.«

      Dennis machte einen Schritt auf mich zu, ich registrierte es kaum, da ich immer noch in Justins Augen starrte.

      »Ha!«, Dennis brüllte jetzt. »Justin hat endlich sein wirkliches Wesen gefunden. Du hast es vor ihm versteckt, du hast es in ihm unterdrückt. Aber jetzt ist es frei. Endlich frei.«

      Seine Stimme wurde leiser und schärfer.

      »Jetzt kommt er mit mir, wir gehen zur Obrigkeit und werden dem hohen Rat erzählen, was du getan hast. Dann wird man dich jagen und töten.« Er lächelte, wurde dann schlagartig ernst. »Und jetzt lass uns durch. Sofort!«

      Ich