Nadja Christin

Natascha


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passiert, das weiß ich auch nicht.«

      Er tat mir leid. Ich schien bei dem Unfall nichts abbekommen zu haben. Ich hatte nicht einmal einen Kratzer.

      Er starrte nach wie vor in den Spiegel, mir brannte die Zeit unter den Nägeln, ich wollte Frank erwischen.

      »Justin, meinst du, du kannst laufen? Ich will weiter, ich will Frank und Dennis erwischen.«

      »Ja, natürlich. Entschuldige bitte, ich hatte sie für einen kurzen Moment vergessen. Komm lass uns gehen.«

      Er versuchte die Beifahrertür zu öffnen, aber sie war bei dem Aufprall des Jeeps mit dem Rest der Karosserie verschmolzen. Er sprang über die Tür und stand auf dem weichen Waldboden. Ich musste es ihm nachmachen, da meine Tür auch klemmte.

      »Wir werden sie schon finden Tascha, mach dir keine Sorgen.« Er sah mich merkwürdig an.

      »Ja, ich weiß.«

      Ich schloss meine Augen und zog die Waldluft in meine Nase ein. Alles was ich roch war Wald, Harz, Blut, Justin, Benzin und Öl. Ich öffnete meine Augen und ging auf den Weg zurück. Da waren die Reifenspuren wieder zu erkennen, sie führten den Weg weiter, Frank war also den Waldweg entlang gefahren. Ich packte Justin am Arm und deutete auf die Spuren im Boden.

      »Schaffst du es zu laufen?«

      »Ja, das geht. Ich kann nur auf der linken Seite noch nichts sehen.«

      »Kein Problem, ich bleibe links von dir, dann wird es gehen.«

      Wir liefen los, nebeneinander, immer den Spuren nach.

      Wir rannten etliche Kilometer durch den Wald. Wenn mich mein Orientierungssinn nicht täuschte, liefen wir jetzt parallel zur Landstraße. Ich blieb ruckartig stehen, Justin konnte mich nicht so gut sehen, darum lief er noch ein paar Schritte weiter, bevor auch er anhielt.

      Vor uns stand der schwarze Pritschenwagen, mitten auf dem Weg geparkt. Von meiner Position aus, konnte ich nicht genau erkennen, ob jemand drin saß oder nicht. Langsam ging ich auf den Jeep zu. Ich zog die Luft ein, es schien niemand von ihnen in der Nähe zu sein.

      Ich sah Justin an, seine Kräfte hatten während des Laufens ihre Arbeit verrichtet. Sein Gesicht war wieder symmetrisch, die Wunden beinahe verheilt. Die leere Augenhöhle war mit einem milchig, weißen Etwas gefüllt. Er sah also bald wieder normal aus, das freute mich.

      »He, du siehst bald wieder aus wie immer«, sagte ich.

      Er fasste sich mit der Hand an die linke Gesichtsseite. »Aber sehen kann ich immer noch nichts.«

      »Das kommt noch.« Ich grinste schief und zuckte mit den Schultern.

      Ich sah mich um, ich kannte die Gegend, in der wir uns befanden. Wir waren nur ein paar Kilometer von meinem früheren Zuhause entfernt. Hier ging ich damals oft spazieren. In einer Zeit, wo ich Vampire nur aus Büchern und Filmen kannte.

      Ich überlegte, ob Dennis den gleichen Weg eingeschlagen hätte, wenn ich nicht vor zehn Jahren ihn und den Rest meiner Familie verlassen hätte. Vielleicht wäre aus ihm ja ein guter Junge geworden, wenn ich nur geblieben wäre.

      Ich verscheuchte die trüben Gedanken, jetzt ließ sich nichts mehr daran ändern. Er hatte diesen Weg gewählt, den für ihn richtigen Weg, es war seine Entscheidung.

      »Tascha, alles okay?«, flüsterte Justin neben mir. Mein Gesichtsausdruck hatte meine Gedanken wohl verraten. Ich warf ihm aus den Augenwinkeln einen raschen Blick zu.

      »Ja, ist schon gut. Komm, lass uns weitergehen. Sie müssen hier irgendwo sein. Halt die Augen offen«, ich stockte, »verzeih.« Aber Justin grinste nur.

      Plötzlich erschallte ein lauter Ruf durch den Wald.

      »Tascha, hier sind wir.« Die Vögel flogen mit lautem Geschrei davon. Ich zuckte zusammen, und tauschte einen schnellen Blick mit Justin. Ich wusste, wo das herkam, ich kannte mich hier aus. Weiter vorne war eine kleine Lichtung, nur ein paar Meter im Durchmesser. Aus dieser Richtung kam Franks Ruf.

      Justin und ich liefen los.

      Wir wurden erst langsamer, als wir die Stelle erreichten. Am Rand der kleinen Lichtung stoppten wir. Mittendrin standen Frank und Dennis. Ich hatte nur Augen für meinen Sohn und ging ein paar Schritte auf ihn zu. Er wurde unsicher, tauschte einen raschen Blick mit Frank und stolperte ein paar Schritte zurück.

      Ich geriet ins Stocken, hielt an und zog die Augenbrauen zusammen. Ich blickte vor mich ins Gras. Ich hatte einen kurzen Geruchsfetzen von Dennis aufgeschnappt, der das bisschen Blut in mir zu Eis gefrieren ließ.

      »Nein, das hast du nicht gewagt.«

      Meine Stimme war nur ein Hauch.

      »Oh doch.« Frank lachte trocken auf.

      »Das ist doch besser, als hätte ich ihn umgebracht. Viel besser.«

      »Nein.« Erneut kam nur der Hauch einer Stimme aus meiner Kehle.

      Dann rannte ich los, ohne Vorwarnung, aus dem Stand. Ich wollte Frank umbringen, ihn zerquetschen, mit meinen bloßen Händen seinen Kopf abreißen und damit Fußball spielen.

      Er hatte mit meiner Reaktion gerechnet. Meine Augen verrieten mich, sie wurden, im Bruchteil von einer Sekunde, zu Raubtieraugen. Das hatte er bemerkt.

      Er trat nur einen großen Schritt zur Seite und ich lief ins Leere. Ich schlug einen kleinen Bogen und stürzte mich erneut, mit einem Bärengebrüll, auf ihn.

      Kurz bevor ich ihn erreichte, packte Dennis meine Arme und hielt mich eisern fest.

      Mein eigener Sohn hielt mich fest, hinderte mich daran denjenigen auszuschalten, der ihm das antat. Der ihn zum Vampir machte. Mein eigener Sohn. Ich war fassungslos.

      Ich sah mich um und suchte nach Justin. Der stand immer noch am Rande der kleinen Lichtung, die Arme leicht vom Körper abgespreizt, den Kopf in den Nacken gelegt. Bis hierhin hörte ich das drohende Knurren, das aus seinem Inneren kam.

      Plötzlich schoss sein Kopf nach vorne. Ich blickte in gelbe Augen – das linke war wieder vollständig hergestellt – und sah seine Zähne, lang und spitz.

      »Justin«, schrie ich ihn an, er hörte mich scheinbar nicht. Knurrend stand er da und fixierte mich.

      »Er kann dich nicht mehr hören«, sagte Frank sanft zu mir, dabei kam er ein paar Schritte auf mich zu.

      »Es ist aber auch zu schade, dass du ihn nicht getötet hast. Wo du doch so scharf auf sein Blut warst.« Er grinste hämisch.

      »Dann wäre ich dich bequemer losgeworden. Dann hätte dich der hohe Rat töten können. Nein, töten müssen. Du hast einfach zu oft die Regeln missachtet, zu oft Unschuldige getötet. Der hohe Rat hatte meinen Clan schon unter Beobachtung. Früher oder später hätten sie mir die Macht entzogen. Hörst du MIR!« Frank brüllte mich an, dann lachte er kurz und vollkommen humorlos auf.

      »Ich lebe schon seit über vierhundert Jahren in dieser Welt und lasse mir nicht von einem Vampirneuling, wie dir, meinen Clan wegnehmen. Ich habe dich mehr als einmal gewarnt, Tascha.« Frank umrundete mich und Dennis, der immer noch eisern meine Arme festhielt.

      »Dann kam Dennis dazwischen, ich dachte mir schon, dass du ihn nicht töten wirst, darum schickte ich Tom und Elisabeth. Ich habe sie zwar auf Dennis angesetzt, konnte mir aber vorstellen, dass sie dich auch erwischen wollten. Schließlich habe ich ihnen erzählt, dass deine unkontrollierten Taten für die Zerschlagung des Clans verantwortlich sind. Wie du weißt, waren beide mir sehr ergeben. Wie du es allerdings geschafft hast zusammen sechshundert Jahr Vampirdasein zu töten, ist mir bis heute ein Rätsel« Er schüttelte den Kopf, ich nutzte die kleine Redepause.

      »Darf ich auch mal was fragen?« Frank hob eine Augenbraue und blickte mich an.

      »Bitte.«

      »Warum hast du mich nicht einfach aus dem Clan geschmissen? Mich aus der ganzen Stadt verbannt, von mir aus auch aus diesem Land. Warum willst du mich töten?«