zwei- bis dreihundert Meilen müsste er jetzt schaffen<<, meinte er. >>Aber ich kann Ihnen nichts versprechen. Zuhause müssen Sie den Wagen dringend überprüfen lassen.<<
Robert dankte dem Mann von ganzem Herzen, froh, dass der Dodge überhaupt wieder lief, stieg ein und fuhr vom Hof. In diesem Moment begann es zu regnen.
Bedrückt lenkte Robert den Dodge auf den Highway 87 und rief Beverley an. Seine Freundin begrüßte ihn überrascht. >>Robert? Was ist los?<<
>>Hi, Süße, du ich schaff's nicht.<< Absolute Stille in der Leitung. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, zählte Robert.
>>WAS?<<, rief Beverly wütend. >>Das glaub' ich jetzt nicht! Du meinst nicht im Ernst ...<<
>>Der Wagen hatte eine Panne<<, unterbrach Robert sie rasch. >>Ich bin auf dem Heimweg, aber bis um acht bin ich niemals in New York.<<
>>Ausgerechnet heute<<, motzte Beverly stocksauer. Sie war außer sich. Von Robert würde sie sich Halloween mit Sicherheit nicht verderben lassen! Autopanne, dass sie nicht lachte, ihr Freund würde ja sehen, was er davon hatte. Sein Problem! >>Ich will aber auf jeden Fall auf die Party<<, sagte Beverly mit dem trotzigen Unterton eines Kleinkinds. Robert hatte sich schon gedacht, dass sie nicht darauf verzichten würde, Egoismus war eine von Beverlys Stärken. Aber seine Freundin alleine auf die Party gehen zu lassen, nein, dieser Gedanke behagte Robert überhaupt nicht.
>>Frag doch Peter, ob er mit dir hingeht<<, schlug Robert nach kurzem Zögern vor. Peter war sein bester Freund, er würde bestimmt auf Beverly aufpassen, die dazu neigte, gelegentlich über die Stränge zu schlagen. Sie flirtete ein bisschen zu gerne, war ein bisschen zu sehr darauf aus, sich ihre Selbstbestätigung von anderen Männern zu holen, aber der ruhige Peter würde schon aufpassen.
Beverly war begeistert. >>Ich ruf ihn gleich an. Bis morgen früh dann! Und du weißt schon, dass dir eine Spitzenparty entgeht?<<
>>Leider ja<<, seufzte Robert und legte auf. Ein bisschen mehr Enttäuschung, ein >>Ich werde dich vermissen<< hätte er sich schon gewünscht, aber das war einfach nicht Beverlys Art.
Robert senkte den Blick, um sein Smartphone zurück in seine Aktentasche zu legen. Für einen kurzen Moment war er abgelenkt. Der Schnappverschluss klemmte und Robert musste sein Smartphone durch eine enge Lücke in die Tasche schieben, als er aus dem Augenwinkel ein Hindernis auf der Straße wahrnahm. In letzter Sekunde blickte er hoch und trat instinktiv das Bremspedal bis auf den Boden durch. Er hörte, wie das ABS vergeblich zu greifen versuchte, spürte, wie der Wagen ins Schlingern geriet, bemühte sich, gegenzulenken und erreichte nur, dass der Wagen sich einmal um die eigene Achse drehte. Mit Entsetzen sah Robert den umgestürzten Baum immer näher kommen, bereitete sich innerlich schon auf den Zusammenprall vor, als der Dodge in letzter Sekunde nur wenige Handbreit vor dem Baum zum Stehen kam. Nass klopften dünne Äste auf seine Windschutzscheibe.
Roberts Puls raste, sein Herz wollte aus der Brust springen. Bilder von einem zerquetschten Dodge, er selbst schwer verletzt, eingeklemmt zwischen Sitz und dem Motorblock, der sich beim Aufprall in den Fahrerraum gedrückt hatte, schoben sich vor seine Augen. Und das alles hier, im Nirgendwo! Bis ihn da jemand gefunden hätte! Bei diesen Gedanken brach ihm der Schweiß aus. Seine schneeweißen Händen umklammerten eisern das Lenkrad, während Robert sich bemühte, einfach nur ein- und auszuatmen und darauf wartete, dass das Zittern nachließ, und seine Hände endlich seinem Befehl folgten, das Lenkrad loszulassen. Dann erst stieg er aus.
Mit wackeligen Beinen umrundete er das Auto. Kein Kratzer, keine Delle, nichts. Er hatte wirklich mehr Glück als Verstand gehabt - im wahrsten Sinne des Wortes. Eines aber stand fest: Hier war kein Durchkommen. Der Baum hatte nicht nur seine Seite des Highways lahmgelegt. Die mächtige Krone lag auf der Gegenfahrbahn.
Kurzentschlossen fuhr er über den Grünstreifen, lobte die amerikanischen Highways ohne nervige Mittelleitplanke und brauste den Weg zurück, den er gekommen war.
Oh man, dachte er sich, Halloween hat dieses Jahr etwas gegen mich.
Mit noch immer zitternden Händen aktivierte er das Navigationssystem des Wagens und tippte sein Ziel >>New York<< ein, darauf bestehend, auf Nebenstraßen fahren zu wollen. Dabei fiel ihm das Versprechen ein, das er der Damen vom Autohaus gegeben hatte. Tut mir leid, dachte er sich, ich muss es brechen.
Das Navigationssystem schlug Robert zwei Routen vor. Verwundert schaute er auf das Display. Die grüne Route, >>meine Route<<, war ganze dreißig Meilen länger als die rote Route. Eigentlich hatte er alles so eingestellt, dass immer die kürzeste Strecke als >>meine Route<< angezeigt wurde.
>>Rote Route<<, gab Robert laut und deutlich den Stimmbefehl.
>>Das würde ich an Ihrer Stelle nicht tun<<, antwortete die weibliche Computerstimme ohne diese winzigen, kaum hörbaren Pausen, die entstanden, wenn die einzeln aufgenommenen Worte zu einem Satz zusammengefügt wurden. Robert erschrak. Verunsichert wagte er einen Blick auf das Display. Hatte er sich verhört? Das musste er, oder? Sein Navigationssystem konnte nicht auf diese Weise eigenständig agieren. Es war unmöglich, dass es ihm solche Ratschläge erteilte. Leichtes Unbehagen machte sich in ihm breit. Das war heute definitiv nicht sein Tag.
>>Was hast du gerade gesagt?<<, fragte er beunruhigt nach und konnte nicht verhindern, dass seine Stimme zitterte.
>>Es tut mir leid, ich habe Sie nicht verstanden.<<
Erleichtert atmete Robert auf. Alles nur Einbildung.
>>Rote Route<<, wiederholte er den Sprachbefehl. Dieses Mal gab es keine Probleme. Das Navigationssystem startete die rote Route und lotste Robert über Nebenstraßen in Richtung New York City.
Das Wetter wurde ungemütlicher. Immer wieder schüttelten Windböen das Auto durch. Krampfhaft hielt Robert das Lenkrad umklammert, bemüht den Wagen in der Spur zu halten. Er drosselte die Geschwindigkeit auf 40 Meilen pro Stunde.
Langsam streckte die Müdigkeit ihre Finger nach ihm aus. Gähnend rieb Robert sich die Augen und stellte zur Unterhaltung das Radio an. Doch nichts passierte. Missmutig aktivierte Robert den Suchlauf, doch auch der präsentierte nichts als nervige Störgeräusche.
Verdammt!, dachte sich Robert. Vermutlich hatte der Sturm einen Sendemast lahm gelegt. Er musste sich eingestehen, dass er irgendwo übernachten musste.
>>Wo ist der nächste Ort?<<, fragte Robert.
Das Navi reagierte nicht.
Was ist bloß heute mit der Technik los?, fragte er sich. Wenn das Navi mich jetzt auch noch im Stich lässt, kann ich genauso gut rechts ranfahren.
Gerade wollte er seine Anfrage wiederholen, als es sich zögernd doch noch meldete. >>South Mills, fünf Meilen.<<
>>Dann South Mills<<, antwortete Robert und hoffte, dass es dort ein Hotel gab.
*
Ungefähr zum selben Zeitpunkt, als Roberts Navigationssystem die Route neu berechnete, um ihn zum gewünschten Ziel zu bringen, traf Amy Taylor in ihrem Auto vor dem Hotel >>Pinto Inn<< in South Mills ein und stieg aus.
Ich bin wieder da, dachte sie und konnte nicht verhindern, dass sich ein schwerer Kloß in ihrem Hals bildete, der direkt in ihren Magen plumpste und es sich dort gemütlich machte. In diesem Moment wollte die junge Frau an jedem anderen Ort der Welt sein, nur nicht hier, in South Mills vor dem >>Pinto Inn<<. Ihr Blick fiel auf die viktorianische Fassade des Hotels, die sie höhnisch anzugrinsen schien. Am liebsten wäre Amy auf dem Absatz umgedreht und wieder zurück ans College gefahren. Aber diese Möglichkeit war ihr für die nächsten vierundzwanzig Stunden versagt.
Niemand verlässt dieses Dorf für immer, dachte sie müde, dieser Ort zwingt dich jedes Jahr zur Heimkehr.
Schweren Herzens betrat sie das Hotel. Kaum hatte sie die Tür geöffnet, als ihr Vater sie auch schon erleichtert begrüßte.