dreihundert?<<
>>Nicht mehr und nicht weniger. Die Letzte fand ich erst vorhin.<<
>>Was ein Glück<<, sagte Martin erleichtert.
Für Fremde musste sich dieses Gespräch seltsam anhören, für Steve und Martin aber war es bitterer Ernst.
>>Was hast du?<<, fragte Steve.
>>Mais und Rittersporn.<<
>>Dreimal Dreihundert<<, sagte Steve leise. >>Das sollte Miyaca für ein weiteres Jahr besänftigen.<<
>>Vorausgesetzt, wir haben seine Zeichen richtig gedeutet<<, wandte Martin ein. Steves Gesicht verfinsterte sich. Martin bedeutete ihm mit einer Handbewegung, fortzufahren. Steve schloss die Kellertür auf.
*
>>Robert Miller<<, stellte Robert sich zögernd vor. >>Mein Wagen ist vor Ihrem Hotel liegen geblieben. Vermutlich ist er endgültig kaputt. Eigentlich wollte ich heute nach New York auf eine Halloweenparty, aber das schaffe ich nicht mehr. Dafür wollte ich dann wenigstens die Nacht durchfahren bis nach Hause, aber ich hatte kein Glück.<<
>>Nein, das haben Sie wirklich nicht<<, sagte Sam todernst und schaute nachdenklich auf Robert. >>Amy, ruf die Werkstatt an, Mister Miller sollte unser Dorf noch heute verlassen<<
Amy griff zum Telefon und wählte.
>>Ich bin sehr müde<<, wandte Robert ein. >>Haben Sie keine freien Zimmer mehr?<< Robert entging das kurze Zögern von Sam nicht. Es war nicht zu übersehen, dass er sich bei dem Gedanken, dass Robert hier die Nacht verbringen könnte, sehr unwohl fühlte. Merkwürdig, dachte sich der junge Mann, was haben die beiden nur für ein Problem mit Gästen? Und warum haben sie dann ein Hotel?
Sam räusperte sich. >>Natürlich haben wir noch freie Zimmer. Nur, wie ich bereits erwähnte, wir haben an Halloween nie Gäste<<, sagte er zurückhaltend. >>Außerdem meinten Sie doch, dass Sie noch nach New York wollten?<< Sam ließ die Frage im Raum stehen.
Sie wollen tatsächlich, dass ich gehe, dachte sich Robert und gab nach. >>Wenn es geht und der Wagen wieder läuft, natürlich.<< Darauf kam es jetzt auch nicht mehr an. Irgendwie würde er den Rest der Strecke schon schaffen, zur Not blieb immer noch die Rückbank seines Dodge, falls ihm die Augen zufielen.
>>Marty kommt sofort<<, meldete Amy in diesem Moment.
>>Gut<<, meinte Sam bedrückt. >>Bring du doch unseren Gast auf sein Zimmer. Ich werde hier auf Marty warten und versuchen, Steve und Martin zu erreichen. Vielleicht können sie uns noch retten.<<
Während Robert mit Amy die Treppe in den ersten Stock hinauf ging, sah er aus den Augenwinkeln, wie Sam nervös zum Telefon griff. Seine Finger trommelten aufgeregt auf der hölzernen Theke herum. Als sie die oberste Stufe erreichten, hörte Robert, wie das Telefon fluchend auf den Tresen geworfen wurde.
Amy blieb direkt vor der ersten Zimmertür stehen und kramte in ihrer Tasche. Während sie nach dem Zimmerschlüssel suchte, sah Robert sich um. Viel zu entdecken gab es in dem Flur nicht, bis auf ein Bild, das direkt an der Wand neben der Tür mit der Nummer 1 in einem schlichten Holzrahmen hing. Neugierig ging Robert hin und betrachtete es genauer. Schaudernd fuhr er zurück. Zwischen fremden Symbolen, vermutlich indianischer Herkunft, und einem längeren Text, hatte der Künstler einen pechschwarzen zähnefletschenden Wolf gemalt. >>Was ist das?<<, fragte Robert. Im selben Moment überkam ihn das Gefühl, dass er die Antwort nicht wissen wollte, aber es war schon zu spät.
>>Die Geschichte von South Mills<<, antwortete Amy. >>Das alles hier gehörte einst den Miyaca-Indianern. Doch irische Siedler forderten dieses fruchtbare Land für sich. Die Ureinwohner wehrten sich dagegen, natürlich ohne die geringste Aussicht auf Erfolg. Die Geschichte endete wie so viele andere über die einstigen Ureinwohner unseres Landes: Der Stamm wurde von den Weißen grausam abgeschlachtet. Jeder einzelne. Keiner überlebte.<< Sie seufzte.
>>Wie furchtbar<<, sagte Robert schockiert.
>>Die Geschichte lockt unsere Sommergäste an<<, erklärte Amy. >>Zwar gibt es hier keine Kultstätten oder Ähnliches, zumindest sind keine bekannt. Aber Boden, auf dem einst eine Menge Blut vergossen wurde, zieht immer.<<
Robert schaute nachdenklich auf den Wolf. Er wirkte unheimlich, geradezu lebendig. Für einen kurzen Moment hatte er das Gefühl, das Tier würde ihm direkt in die Augen sehen. Ein Schauer lief ihm über den Rücken.
>>Das Bild ist unheimlich, ich weiß<<, sagte Amy und zog endlich den passenden Schlüssel aus ihrer Tasche. >>Aber den Gästen gefällt's.<< Sie öffnete ihm die Tür. >>So, das hier ist Ihr Zimmer, hoffentlich nicht allzu lang.<< Robert, froh dem Wolf zu entkommen, trat neugierig ein und sah sich um. Es war klein, aber sehr gemütlich eingerichtet, mit einem großartigen Ausblick über das Dorf bis hinunter zum See.
*
Steve und Martin betraten die Jagdhütte und zogen sich aus. Die Kleidung legten sie sorgfältig auf zwei bereitstehende Stühle. Nackt und frierend gingen sie die kleine Treppe hinunter und betraten den Kellerraum. Steve, der nach Martin eingetreten war, verschloss die Kellertür hinter sich. Sie war massiv, aus fünf Zentimeter dickem Stahl und hielt nicht nur jedes Geräusch fern, das von außen herein drang. Eine dringend nötige Sicherheitsmaßnahme für das Dorf. Im Notfall würde die Tür hoffentlich das drinnen einsperren, was niemals frei kommen durfte.
Zuerst klingelte Steves Handy in seiner Jacke, lange und anhaltend, danach Martins, der es immer in seiner Jeans bei sich hatte. Doch die beiden konnten das Klingeln nicht hören.
Die Männer entzündeten in der Dunkelheit Feuer in kleinen flachen Schalen. Sie wussten genau, wo die Schalen standen, wussten genau, wo sich in dem Keller welcher Gegenstand befand. Hätte Feuer nicht zum Ritual gehört, sie hätten sich auch ohne Beleuchtung problemlos zurechtgefunden.
Flackerndes Licht erhellte den Raum und zeigte, was er sonst verbarg. Die Decke bestand aus dicken Stämmen, geschwärzt von Ruß und braun vom Alter. Die Wände waren mit gegerbtem Leder verkleidet, das wunderschön bemalt war. Felle verschiedener Tiere lagen auf dem Boden, exakt angeordnet und seit Jahrhunderten unverändert. Eine Art Altar war in dem Raum aufgebaut, hinter dem ein alter indianischer Teppich hing, der einen riesigen schwarzen Wolf zeigte. Ein seltsamer Geruch, eine Mischung aus Erde, Tod und Raubtier hing in der Luft.
Steve und Martin sahen sich bedrückt an, dann begannen sie, sich anzukleiden. Die zeremonielle Tracht des Schamanen, sorgfältig auf einem Wolfsfell ausgebreitet, wartete bereits auf sie. Ohne ein Wort zu sagen, gingen die Männer ihrer Aufgabe nach.
>>Bist du soweit?<<, fragte Steve schließlich. Seine Stimme klang kraftlos. Martin nickte. >>Und du? Nichts vergessen?<<
Beide schauten auf das Wolfsfell. Nein, sie hatten alles angelegt. Sie begannen mit der Reinigung ihres Geistes.
*
Sam ging im >>Pinto Inn<< nervös auf und ab. Der junge Mann aus New York City musste verschwinden. Hoffentlich würde Marty diese dämliche Karre wieder hinbekommen und zwar bevor die Sonne unterging.
Marty hatte nach Amys Anruf alles stehen und liegen gelassen und war sofort zum Hotel aufgebrochen. Er wusste, was auf dem Spiel stand. Kaum hatte er das >>Pinto Inn<< erreicht, als er auch schon die Stufen hinauf stürmte und so hektisch die Tür aufriss, dass die kleine Glocke empört klingelte. Sam unterbrach seine Wanderung und schaute Marty erleichtert an.
>>Der Dodge da draußen?<<, fragte Marty, obwohl er die Antwort schon wusste. Ein fremdes Auto an Halloween fiel in South Mills auf wie ein bunter Hund.
Sam nickte. >>Mister Miller<<, rief er die Treppe hinauf, >>unser Automechaniker ist hier.<<
>>Ich komme<<, rief Robert.
Draußen