Jörg Gugel

Mephisto


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abblätterte und eine Platzwunde zeigte sich auf ihrem Kopf, dort wo sie gegen die Wand gerannt war. Sie konnte nicht älter als dreißig Jahre sein. Und Mephisto wusste, wie es sein konnte, dass ein Mensch derart ausgemergelt aussah.

      Er hob die Frau unter den Achseln, stemmte sie mit dem Oberkörper senkrecht gegen die Wand und gab ihr eine schallende Ohrfeige.

      Sie erwachte und begann zu heulen, teilweise ob des Schmerzes durch den Schlag, größtenteils wegen der panischen Angst vor jemanden, den sie auf einmal selbst gar nicht mehr sehen konnte. Und der junge Teufel wusste auch diesmal, warum er in ihren Augen plötzlich nicht mehr sichtbar war, obwohl sie nur wenige Augenblicke zuvor noch vor ihm geflohen war!

      Da war etwas in ihr!

      Nicht nur etwas – jemand!

      „Komm raus, du Feigling“, sagte der Teufel ruhig.

      Doch sie wimmerte nur, blickte verstört nach rechts, nach links, rundherum. Doch sie sah nichts, außer dem nackten Stück Mauerwerk, das von einer kargen Kerze beleuchtet wurde. Sie durchlitt schreckliche Qualen, die ihr vom gefräßigen Feuer des Höllenbewohners und ihrer blutenden Wunde am Kopf zugefügt worden waren!

      Der Teufel packte sie an den Schultern und blickte ihr tief in die Augen: „Ich weiß, dass du da drin bist! Komm raus, sofort!“

      Sie konnte es nicht verstehen. Sie konnte nicht wissen, warum sie auf einmal einen starken Druck auf ihren Schultern fühlte, warum sie nach oben gerissen wurde! Und sie kreischte ihr Grauen panisch heraus!

      „Beelzebub, ich weiß, dass du in ihren Körper eingedrungen bist! Letzte Warnung, oder ich hol dich da eigenhändig raus! Deine Wahl!“

      Plötzlich hörte die Frau abrupt auf mit ihrem Flehen. Ihre Augen wurden zur Gänze schwarz und sie öffnete den Mund, doch ihre Stimme ward plötzlich verändert – unmenschlich tief und knarzend: „Lass mich in Ruhe, Mephisto!“

      „Jetzt sofort! Ich zähle bis drei“, warnte er und hob seine Hand zur Faust.

      Die nun schwarzen Augen der Frau hatten ebenfalls einen flehenden Blick aufgesetzt, doch dem Teufel war dies gleichgültig. „Eins!“, zählte er ab und er streckte seinen Daumen in die Höhe.

      „Mephisto, bitte…“, sagte die tiefe unmenschliche Stimme.

      „Zwei“, betonte er.

      „Also gut, also gut“, rief die Stimme in der Frau hitzig: „Ich werde sie verlassen!“

      „Du widerlicher Feigling“, grummelte Mephisto verärgert und trat einen Schritt zurück. „Ich weiß, dass ich geg´n dein´ Exorzismus nu´ ma´ nich´ ankämpf´n kann“, grummelte die unmenschliche Stimme aus den tiefen des unschuldigen Opfers verdrossen. Es vergingen wenige Augenblicke, dann veränderten sich die Augen der Frau! Das undurchdringliche Schwarz verließ sie, doch wenige Augenblicke später kullerten sie in ihren Höhlen und der Blick verdrehte sich und ihr Körper krampfte und zuckte! Die Frau öffnete den Mund und schrie – sie schrie, als müsste sie Höllenqualen durchleiden! Ihr Gesicht verzog sich zu einer bizarr verzerrten Grimasse, ihre Haut straffte sich, dass sie zu zerreißen drohte! Der Kopf sank krachend in den Nacken und der schreiende Mund öffnete sich unnatürlich weit! Und dann kam ein haarsträubendes Würgen daraus hervor und ein dunkler Schatten bahnte sich aus ihr! Wie, als würde man einen Stier durch einen Gartenschlauch ziehen wollen, erschien das gedrungene Gesicht eines rothäutigen Monsters! Zuerst ein unförmiger Kopf mit zwei entstellten, schwarzen Hörnern, dann der riesige, haarige Körper, der der Frau den letzten Atem nahm und sie nahe dem Erstickungstod brachte! Schließlich, als auch die haarigen, unförmigen Beine mit ihren Hufen aus dem Körper des Wirts heraus brachen, stand endlich der riesenhafte Hüne vor Mephisto und dieser Riese sah einem Teufel weitaus ähnlicher als sonst ein Geschöpf!

      Beelzebub war der wahre Anblick eines Teufels, so wie er in alten Überlieferungen gezeichnet wird: hässlich, gedrungen und absolut missgestaltet! Um seinen rechten Pferde- und linken Geiß-Huf ringelte sich ein knochiger Drachenschwanz, die Augen dieses Teufels zeigten eine schwarze Seele! Im Ganzen war er ungefähr viereinhalb Meter hoch, überragte Mephisto daher enorm! Doch als das Ungeheuer vor dem jungen Teufel stand, da konnte man nur eines in seinem Gesicht lesen: blanke Angst!

      Der rote Dämon fürchtete sich vor seinem Gegenüber, der so nonchalant vor ihm stand, als hätte er nicht gerade einen Riesen aus dem Körper einer normalgroßen Frau brechen sehen.

      So schrecklich sein Anblick auch war, war er doch nicht annähernd so schockierend, wie der, den einem die Frau bot, deren Körper dem Ungeheuer seit Monaten Schutz geboten hatte. Sie lag auf dem Boden und rührte sich nicht mehr. Sie war nicht tot, auch wenn sie sich dies wahrscheinlich wünschen würde, sobald sie ihre Augen öffnete. Das Haar wurde schlohweiß, ihre junge Haut verwandelte sich und hing bald in Fetzen und Falten von ihr herab. Das Gesicht glich einer Totenmaske und hinter den halbgeöffneten Lidern sah man grau, trübe Augen, ohne jegliche Ausstrahlung. Sie war vielleicht erst dreißig gewesen, doch vor sich sah Mephisto den Körper einer hundertjährigen. Ihre ganze Energie war von der Anwesenheit Beelzebubs entzogen worden.

      Und nun war sie dazu verdammt zu sterben!

      „Bravo, Beelze, bravo“, sagte Mephisto mit eisiger Stimme und betrachtete den roten Teufel vor sich verbittert.

      „Du kannst mit Fug und Recht wieder einmal behaupten, dass du das Leben eines Mensches aus dem eigennützigsten Grund, den es geben kann – Feigheit, aus Angst vor einer Strafe – zerstört hast. Bravo, Junge!“

      Beelzebub schien sich tatsächlich zu schämen, doch Mephisto kannte ihn gut genug, als das er auf das Schauspiel hereingefallen wäre. Denn obwohl dieser Riese unbeschreiblich dumm und fantasielos war, hatte er in der Hölle doch über tausend Jahre das Handwerk der Täuschung erlernt und angewandt.

      „Eine Grundregel der Hölle, Mephisto: Nutze die Möglichkeiten, die du hast, um dich zu schützen!“

      Mephisto schnaubte auf: „Na, dann hast du ja rein gar nichts falsch gemacht! Also können wir ohne Probleme zu Satan gehen und sehen, ob du mit deiner Theorie Recht hast!“

      Der Rote Dämon lächelte bloß traurig: „Er ist ja die Gefahr, vor der ich mich versteckt hielt!“

      Sie blickten erneut hinab zu der armen Frau, die eben erwacht war. Keuchend, halb verbrannt und um Jahrzehnte gealtert – so mussten sie sie einfach ihrem Schicksal überlassen. Sie blickte immer noch verwirrt in dem kalten Keller umher und konnten die beiden Dämonen nicht sehen, die sich still wie in einer anderen Welt neben ihr befanden. In ihren vor Entsetzen geweiterten Augen, die ansonsten einen Ausdruck von Leere und Hoffnungslosigkeit angenommen hatten, mischte sich nun auch Überraschen.

       Wie war sie an diesen Ort gelangt?

      Sie blickte an sich hinab und stieß einen erstickten Laut aus. Ihre Haut, die teilweise schwarz verbrannt war begann sich wie von Geisterhand zu regenieren. Auch das leise Tröpfeln und die schweren Schmerzen auf ihrer Stirn verschwanden in wenigen Augenblicken.

      „Gut, das reicht!“, befahl Mephisto.

      Beelzebub der über der Frau gebeugt stand und seine klobige Riesenpranken auf ihrer letzten schnell heilenden Wunde hielt, die sich gleich daraufhin verschloss, hielt inne. Er schien zu bereuen, was er getan hatte. Seine Augen zeigten einen tiefen Ausdruck der Trauer, als er dieses unschuldige Wesen vor sich sah, gezeichnet durch sein grausames Werk. Doch Mephisto wusste, dass diese Trauer nicht tief in ihm wurzelte. Er bedauerte – ja – aber er würde ihren Anblick bald wieder vergessen haben!

      „Komm, gehen wir“, sagte der junge Teufel leise und das rote Ungeheuer folgte ihm ohne weitere Widerworte.

      „Was wird Satan mit mir machen?“, fragte er niedergeschlagen.

      „Er? Gar nichts! So etwas überlässt er Chutriel!“

      Diese Neuigkeit trug nicht gerade zu Beelzebubs Erleichterung bei. Er begann zu zittern: wenn es noch jemanden gab, den er mehr als Satan fürchtete, dann war das Chutriel, der ohnehin keine Gelegenheit ausließ, ihn zu drangsalieren.