Jörg Gugel

Mephisto


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grausamen Reich zu entfliehen und die Menschen vom Antlitz der Welt zu vertreiben. Allerdings werden wir stets über derlei Vorfälle wachen und verhindern, dass diese Monster ihre Pläne je verwirklichen können. Manchmal“, Mageiras Stimme wurde nun leiser und ihr Gesicht wirkte betrübt: „kann Verteidigung bedeuten, dass ein Angriff zuvor gefruchtet hat. Ich muss euch leider verkünden, dass eine Schwester aus unserer Mitte – Vialé Phelps – seit einiger Zeit unauffindbar ist. Wir versandten unlängst Suchtrupps, um eine Fährte zu ihr zu finden. Doch ohne eine geringsten Spur, die uns zu ihr führen könnte, befürchte ich, werden wir sie nur mit unverschämt viel Glück lebend finden können!“

      Es entstand eine bestürzte Pause, in der jedes Gesicht von Sorge und Ungläubigkeit gezeichnet war. Vialé war eine junge Hexe, um die dreißig Jahre alt. Klug und mutig bekämpfte sie seit ihrer Ernennung zu einer Hexe gegen Ungerechtigkeit und unnötigen Zwist. Sie war beliebt, auch wenn sie manch seltsame Wesenszüge trug. Ein Gespräch mit ihr reichte aus, um zu wissen, dass Vialé Phelps den Zugang zu einer Gedankenwelt hatte, den sonst niemand beschreiten konnte. Doch fern von ihren teils abstrusen Fantasien fand jede Schwester in ihr eine liebevolle Freundin.

      Doch jetzt war sie fort!

      „Wo könnte sie nur sein?“, meldete Grevia sich zu Wort.

      „Das wissen wir nicht. Wir haben bereits ihr Haus durchsucht, als wir merkten, dass sie kein Lebenszeichen mehr von sich gab. Darin entdeckten wir ein Szenario, das auf Kampfhandlungen hinweist. Stühle und Tische waren umgeworfen, Geschirr und Besteck lag zerbrochen auf dem Boden zerstreut! Sogar Türen waren aus ihren Angeln gehoben. Und ich spürte eine schwache, schon länger vergangene Aura von dunkler Magie in diesen Räumen! Daher befürchte ich, dass unsere geliebte Schwester Opfer von Dämonen wurde!“

      Auf diese Offenbarung hin schlugen sich viele der Frauen die Hände vor dem Mund und ächzten vor Erschütterung!

      „Wie ist das möglich?“, ertönte es aus den Reihen. Nur Alexa konnte es sich nicht verkneifen, Sammy und Mindy mit einem trotzigen Blick zu nerven, der wohl sagen wollte: „Habe ich es nicht gesagt?“

      „Meine Schwestern“, rief Mageira laut und hob ihre Hände. Daraufhin beruhigte sich die Menge allmählich wieder. Die Oberste fuhr fort: „Ich kann mir vorstellen, wie euch zumute ist, angesichts dieser schrecklichen Vorstellung! Ich fühle mit euch und bete inständig darum, dass ich mich irren möge, aber“, sie schlug mit der einen Handrücken in die andere Handfläche: „wir dürfen nicht zulassen, dass uns die Trauer übermannt! Wir werden weiterhin alles Erdenkliche unternehmen, um herauszufinden, was mit unser aller Freundin geschehen ist! Bis dahin habe ich euch auch eine frohe Botschaft zu verkünden!“

      Sofort wurde es wieder still im Saal, der unaufhörlich in allen Farben des Regenbogens leuchtete und Mageiras Worte mit einer hellen Goldfarbe untermalte. Jeder Blick war erwartungsvoll auf die Oberste gerichtet.

      „Ich habe ungefähr vor einem Monat einen Mann getroffen, der mir eine Möglichkeit eröffnete, wie wir den dunklen Mächten endgültig Einhalt gebieten können. Seinen Namen wollte er nicht preisgeben. Aber ich spürte sofort, dass seine Worte der Aufrichtigkeit entsprangen. Durch ihn hat unser Feind ein Gesicht bekommen – in Form der dunklen, Flüche verbreitenden, schwarzen Hexen!“

      Plötzlich war der Raum erfüllt von erstaunten Aufschreien und zischelndem Gemurmel.

      „Die schwarzen Hexen?“, flüsterte man aufgeregt, andere wiederum zweifelnd. Es begannen wilde Spekulationen und hitzige Debatten unter den Ordensschwestern.

      Mageira erhob ihre kraftvolle Stimme: „Ruhe!“ Daraufhin wandte sich jeder Kopf wieder gen Podest. Doch noch immer war hier und dort emsiges Getuschel zu hören.

      „Ich möchte heute ein Gesetz verabschieden! Hiermit erkläre ich die schwarzen Hexen zu unseren erklärten Feinden – und damit als vogelfrei! Sie bringen Unheil über die Erde und tragen in sich die Macht des gefallenen Engels Luzifer! Satan, der oberste der unheilvollen Höllendämonen, muss vernichtet werden! Das ist unser Befreiungsgebot! Der Befreiungskampf auf den wir seit Jahrzehnten warteten – jetzt bekommen wir unsere Chance, alles Übel der Welt zu vernichten! In eine sorglose Zukunft zu blicken! Schwester“, rief sie ergriffen: „War es nicht das, was wir uns seit jeher erhofften?!“

      Die Menge bejahte und klatschte begeistert in ihre Hände, während Mageira weiterhin ihr Feuer der Leidenschaft entfachte: „Haben wir nicht von einer Welt geträumt, die frei jeder Sünde ist? Wollen wir unsere Familien nicht vor dem Bösen bewahren?!“

      Der Beifall wurde laut, kräftiger und ungestüm!

      „Dann ist es jetzt Zeit zu handeln! Jetzt wird die Dunkelheit besiegt und eine neue Zeit der Erlösung wird die Welt heimsuchen und das ewige Paradies auf Erden wieder erblühen! Wer folgt mir?!“

      Dem Aufruf folgte ein regelrechter Schrei der Begeisterung! Jedwede Hexe war von dem Traum übermannt worden, dem Unheil der Welt endlich das Handwerk zu legen! Es ertönten wilde Schreie.

      „Befreiung“, wurde immer und immer wieder gerufen und sowohl Sammy und Mindy, als auch ihre Freundinnen stimmten mit grimmigen Mienen der Entschlossenheit und heißer Begeisterung in den Schlachtruf mit ein!

      „Schwarze Hexen: ihr seit tot! Dämonen: ihr werdet vernichtet! Teufel: wir werden euch stürzen! Ihr alle seid dem Untergang geweiht!“

      Während die jubelnden Hexen ihre Euphorie feierten, öffnete sie ihre trüben Augen im fahlen Lichte einer einsamen Kerze. Sie hörte die regelmäßig wiederkehrenden Kampfgesänge von unten und seufzte schwer. Ihre Kraft war nahezu verbraucht, doch ihre Gedanken waren bitter geworden.

      „Ihr Narren“, sagte sie mit keuchender Stimme: „ihr ertrinkt in eurem Übermut und süßem Wein! Ich habe bereits einen Kampf verloren, dies bereits, seit er begonnen hat!“

      Sie grummelte und drehte sich in ihrem Bett auf die Seite. Mit geschlossenen Lidern und zerfurchtem Gesicht brummte sie: „Feiert euren Sieg, der noch gar nicht errungen ist!“

      Das taten die Hexen auch, bis zum Abend und tief in die Nacht! Doch dabei vergaßen sie ihre hilfebedürftigen Freunde, sowie die grausame Macht ihrer Feinde.

      9. Die Kinder des Schicksals

      Wie stellen Sie sich mich eigentlich vor?

      Ich meine, bin ich für Sie gut aussehend oder doch eher hässlich? Bin ich blond oder brünett oder besitze ich überhaupt Haare? Wenn ja, wie lange sind sie dann? Bin ich eher mollig oder doch sportlich, klein oder groß?

      Und wie lebe ich eigentlich?

      Alleine? Mit Frau und Kindern? In einer Gemeinschaft?

      Ich werde es Ihnen sagen.

      Zunächst zum ersten: Sie können sich mein Aussehen nicht vorstellen, weil ich keines habe. Ich forme mein Erscheinungsbild, wie es mir beliebt, meistens von Figuren, die ich erdacht habe. Oder ich beschließe, mir mal eine ganz neue Gestaltung meines Äußeren einfallen zu lassen, die ich aber dann doch irgendwann eine meiner Protagonisten aneigne.

      Momentan sehe ich Mephisto etwas ähnlich. Ich habe allerdings einen kurzen Haarschnitt, bin blond, trage ein weißes T-Shirt und eine weiße Hose. Noch dazu weiße Turnschuhe.

      Ich wette, sie sind nun enttäuscht, dass ich keine ausgefallenere Erscheinung habe.

      Doch das Äußere ist ein Trugschluss. Ich meine, können Sie sich sicher sein, dass ihre Augen das Gleiche sehen, wie diejenigen eines anderen. Es könnte doch sein, dass für Sie die Banane krumm ist, für einen Freund von Ihnen ist sie jedoch absolut kerzengerade, doch auch er definiert sie als bogenförmig.

      Das ist möglich, wieso denn nicht?

      Allerdings weiche ich vom Thema ab. Denn hier geht es besonders um meine zweite Fragenreihe.

      Wie lebe ich?