Jörg Gugel

Mephisto


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Schulter.

      „Frag ihn, warum er hierher gezogen ist“, sagte Mindy.

      „Hm… heute nicht. Ich hab ja noch Zeit ihn kennen zu lernen.“

      Mindy legte den Kopf schief. „Pass nur auf, dass dir keine zuvor kommt!“

      „Mhm.“

      Doch Sammy bemerkte, dass sie den ganzen Tag über beobachtet wurde. Dieser neue Junge starrte ihr hinterher. Sie wusste nicht, ob es sie stören sollte oder nicht. In Biologie saß er fast direkt neben ihr. Immer wieder richtete sich sein scheuer Blick auf sie und wendete sich schnell ab, sobald er bemerkte, dass sie ihn bemerkt hatte. Auch wenn der neue Schüler es hätte leugnen wollen: sein tollkühnes Manöver, ungebremst mit dem Kopf voran gegen eine offene Spindtür zu knallen war ein weiteres Indiz dafür, dass er nicht auf seinen Weg, sondern auf das Mädchen geachtet hatte. Es war irgendwie unheimlich und zugleich angenehm. Sollte sie heute noch mit ihm reden, oder nicht? Ihr Kopf gebot es ihr, ihr Herz hüpfte etwas beklemmt.

      Nein, morgen war auch noch ein Tag! Aber was wäre, wenn sie morgen dasselbe dachte?

      Sie beschloss, nach dem Unterricht ein Gespräch mit ihm anzufangen. Ein einfaches Hallo, was war schon dabei? Doch als die Schulklingel läutete, war Matt schon vor ihr aus der Tür gegangen und schließlich verschwunden.

      Unauffindbar!

      Sammy runzelte die Stirn. War er davongerannt? So schnell konnte man nicht gehen, dass man in nur wenigen Sekunden völlig außer Sichtweite der Schule war.

      Sie hoffte, er würde sich nicht für das kleine Missgeschick von vorhin schämen, das viele Mitschüler zum verhaltenen Lachen angeregt hatte.

      Sie musste ihm folgen!

      Sie ging an einem in der Luft hängenden Vogel vorbei! Vorbei an lachende, doch erstarrte Mitschüler. Und sie suchte nach ihm.

      „Sammy!“

      Sie zuckte zusammen. Mindy stand hinter ihr und blickte sie empört an. Sie hob ihre zierliche Hand und die Bewegung wich in die Welt zurück.

      „Spinnst du? Du sollst in der Nähe anderer nicht deine Magie benutzen!“, flüsterte sie mit gepresster Stimme und blickte sich vorsichtig um.

      Sammy zuckte kurz mit dem Kopf. „Tut mir Leid! Ich hab das gar nicht bemerkt!“

      Mindy lachte trocken auf und ließ sich davon nicht beeindrucken. „Das merkt man eigentlich immer, kleines Mädchen!“

      Doch Sammy hörte gar nicht zu. Ihre braunen Augen suchten immer noch nach ihm, aber fanden ihn nicht und Matt war wohl auch schon zu weit weg, als dass man ihn ohne Zauberei noch hätte aufspüren können. Sie drehte sich zu Mindy um, lachte ihr kindliches Lachen und streckte ihr die Zunge raus.

      „Du bist immer noch zu verspielt“, seufzte Mindy und schüttelte den Kopf. „Und du willst eine Hexe sein?“

      7. Der Höllenfürst

      „Oje, oje“, dachte sich der Teufel und lächelte, doch sein Auge verriet, dass ihm alles andere als zum Lachen zumute war.

      Kurz nachdem er diese widerliche Kreatur namens Max geheilt hatte, war ihm erst schlagartig bewusst geworden, was er mal wieder angerichtet hatte. Nicht nur, dass er eines der obersten Gesetze der Hölle gebrochen hatte, das besagte, dass niemals auch nur ein lebender Mensch von einem Teufel verletzt oder gar getötet werden darf – nein – er war auch so kurz davor gewesen, eine tadellos durchgeführte Aufgabe vorzulegen. Doch um diesen Erfolg hatte er sich ohne Pech und Schuld anderer gebracht. Zu hoffen, dass Chutriel von diesem Vorfall nichts erfahren hatte, war geradezu aberwitzig. Erstens war dieser Dämon ein nimmermüder Verfechter der Strafe und genoss seine Aufgabe mit absoluter Leidenschaft. Zweitens war Mephisto kein unbeschriebenes Blatt und bis jetzt noch jeden Abend bestraft worden, seit er ein Teufel war.

      Kurz nach der Gesundung des potentiellen Vergewaltigers hatte er seine Befürchtung auch schon bestätigt gesehen.

      Die Erde wankte kurz und der Schatten einer grauen Stichflamme war aufgelodert und zischte ihn böswillig an.

      Michael, immer noch geradezu beeindruckt von dieser edelmütigen Tat des Teufels, hatte seine Fasson wieder erlangt und wunderte sich nur, warum Mephisto so elend dreinschaute. Daher fragte er ihn nach dem Grund.

      „Warum?“, blaffte Mephisto ihn an, lachte bellend und antwortete mit verletzender Häme in seiner Stimme: „Wie lange bist du jetzt ein Engel? Mir ist es verboten, mich in die Angelegenheiten der Menschen einzumischen! Das müsstest du doch genau wissen!“

      Michael, der im Gegensatz zu Mephisto sein Dasein schon immer als Engel genoss, war etwas pikiert: „Bis zu diesem Zeitpunkt wurde ich nie Zeuge von solch einem Vorfall, Erzteufel Mephisto!“

      Der Dämon spürte einen zornigen Stich. Obwohl er wusste, dass Michael dies nicht beabsichtigt hatte, erfuhr er durch dessen Worte unverblümt, dass er wohl der erste Dummkopf gewesen sein musste, der je seine Macht an einen Menschen missbraucht hatte, der noch lebendig war. Um allerdings seine momentane Niederlage zu überdecken - und dazu verschloss er seine Gedanken vor Michael, damit dieser nicht in ihm las, wie in einem offenen Buch – fügte er mit herablassender Stimme hinzu: „Erkundige dich zunächst über unsere Bräuche und Gesetze, bevor du dein Wort an mich richtest! Ich kenne die eurigen schließlich auch!“

      Das war aber wirklich kein Kunststück!

      Engel hatten so gut wie keine Gesetze, nur eine einzige goldene Regel: Tue Gutes, sprich nicht darüber! Langweilig, spießig, heilig eben!

      Michael zog es vor, nicht zu antworten und mit einem kurzgebundenen Abschiedsgruß entschwand er gen Himmel, wie so viele Erlöste vor ihm auch an diesem Tage. Mephisto würde es sich zwar nie eingestehen, doch die Sehnsucht ergriff auch von ihm manchmal Besitz, den Weg in die himmlischen Pforten zu finden und dort seine Ewigkeit zu verbringen.

      Er stand nun alleine in dieser trostlosen Großstadt und betrachtete die verschandelte Leiche von Carla vor sich aus dem betrübten Auge heraus. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, wie Menschen einander nur so grausam sein konnten. Er erinnerte sich an den seligen Blick der im Tode jünger und schöner werdenden Frau, die alsbald von einem goldenen Licht erfasst worden und hinter den Wolken verschwunden war. Sie war nun erlöst und brauchte weder Schmerz noch Hunger jemals wieder zu erdulden. Doch hier unten herrschte wieder geschäftiges Treiben, denn Senta, der wieder aufgebrochen war, um weitere Seelen aus der Welt des Lebens zu sammeln, hatte bereits den nächsten Teufel und Engel an seiner Seite, die über Himmel und Hölle entscheiden würden.

      Konnte man es Glück oder Pech nennen, dass dieser andere Teufel ausgerechnet Chutriel war? So musste er das süffisante Lächeln von jenem nicht ertragen, während der junge Teufel sich seinem Herrn stellte.

      Er erschauderte beklemmt, wenn er an das alte, jedoch strenge Gesicht seines Gebieters dachte. Satan war stets umgeben von einer atemberaubenden Aura der Macht. Sein Wort war Gesetz, sein Wille musste geschehen!

      Die Dunkelheit brach wieder über die Welt wie ein samtschwarzer Mantel, gesprenkelt von leuchtenden Punkten, die von einem flimmernden Schein eingeschlossen wurden.

      Mephisto machte sich auf den Weg nach Mysellis Mawor. Wanderungen von Mensch und Tier, sowie jede andere Bewegung wichen aus der Welt, durch die der junge Teufel nun schritt, um nach wenigen Metern wieder in Flammen aufzugehen und ihr zu entschwinden, als wäre seine einstige Präsenz nur noch ein schwächliches Luftbild vergangener Tage.

      Das Herrenschloss: Gehauen aus mächtigem Stein, erbaut vor Äonen, aus längst vergessenen Zeiten, thronte auf dem mächtigen, zerklüfteten Myreis-Felsen. Gewaltige Erker ragten weit von der unbezwingbaren Mauer ab, runde Spähtürme ummantelten die Ecken des prachtvollen Baus und die nun lila schimmernde Wolke spendete der mächtigen Dämonenstadt Mysellis Mawor am Fuße des Myreis karges, düsteres Licht. Blickte man hinter die undurchdringliche Festung, geschmückt mit lebenden, bewaffneten