Jörg Gugel

Mephisto


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und legt ihn über sich. Ein alter ausgewaschener Strickpullover diente ihr als Kopfkissen. Einige Zeit lang schien es, als würde sie sanft und leicht ihrem Bewusstsein entschwinden, ihrem realen, harten Leben, das ihr so übel mitgespielt hatte. Sie würde in eine wunderbare Traumwelt tauchen, die ihr ungeahnte Möglichkeiten eröffnete.

      Carla Sembrikova war müde und erschöpft, ihr Geld hatte kaum für eine Mahlzeit gereicht. Doch da der Hunger nichts Neues für sie war, versuchte sie zu schlafen. Allerdings hatte sie die Rechnung ohne die zwei Jugendlichen gemacht, die hinter der Ecke eines Hochhauses einbogen, Carla bemerkten und scheinbar sehr lustig fanden.

      „Hey Omma, bisse besoffen, odda wat?“, schrie der größere der beiden. Er hatte einen glatt rasierten Kopf und trug ein für ihn viel zu langes Basketball-Trikot und eine ausgefranste Hose, die ihm schon alleine vom Taillenumfang viel zu groß war.

      „EY! Willste für´n Zwanni mit mir vögeln, Omma?“, brüllte der andere vergnügt, der etwas aussah wie ein Troll. Er war kleiner als sein Kumpan und hatte mächtige Muskeln am ganzen Körper. Die alte Frau war auf ihrer Bank erstarrt. Sie sah die beiden jungen Männer, hoffte aber in Ruhe gelassen zu werden, indem sie so tat, als würde sie schlafen. Doch die beiden kamen zu ihr hinüber.

      Der größere, Mike, kam mit seinem Gesicht dicht an ihr Ohr und schrie mit voller Kraft hinein. Carla zuckte zusammen und fiel von ihrer Bank auf den Boden. Der Schrei hatte in ihrem Ohr einen höllischen Schmerz verursacht.

      Michael schrie empört auf. Mephisto schnaubte verächtlich.

      „Siehste Max, die is wach. Was habbich gesagt?“, plärrte der Mann seinen Freund an.

      „Geil“, antwortete der. Dann wandte er sich an Carla: „Warum sagstn nix, Omma?“ Sie beide stanken nach Alkohol und Schweiß. Die alte Frau zitterte vor Angst und hielt sich stöhnend ihr schmerzendes Ohr. Mike spuckte sie von oben herab an und trat ihr in den Bauch. Sie schrie auf vor Schmerz und weinte. Mit einem russischen Akzent flehte sie: „Bitte, hört auf, lasst mich in Ruhe!“ Der Teufel betrachtete die Frau, wie sie dort am Boden lag. Ihm sollte es gleichgültig sein. Doch diese verdammte Erinnerung…

      Die beiden Männer lachten bloß schallend und schauten hämisch zu der alten Frau hinunter. Was waren sie beide doch für coole Jungs!

       Glauben Sie bloß nicht, dass es so etwas auf Ihrer Welt nicht gibt!

      Max zerrte die arme Frau mit einer leichten Handbewegung an den Haaren nach oben, die vor Qual wegen ihrer zu brennen scheinenden Kopfhaut erneut jammerte und zu weinen begann.

      „Mann Alte, halt´s Maul!“, sprach Mike und schlug mit seiner geballten Faust in ihr Gesicht. Es knackte laut und ihr Unterkiefer stand in einem merkwürdigen Winkel von ihrem Gesicht ab. Sie kreischte, brüllte unbeherrscht auf und litt Höllenqualen.

      Mephisto und Michael blickten sich unbeholfen in dem Park um. Beide sahen in die entgegen gesetzten Richtungen und betrachteten, wie die anderen Landstreicher neugierig oder verängstigt zu Carla und den zwei betrunkenen Jugendlichen hinüberblickten! Als sie schließlich erkannten, was sich dort abspielte, drehten sie sich erschrocken um und taten so, als könnten sie die Frau nicht hören, die in ihrem erbärmlichen Zustand am Boden lag und weiterhin von den zwei Männern geschlagen und drangsaliert wurde, während die Peiniger unentwegt und hoch amüsiert lachten und Witze rissen! Mephisto fühlte, wie sich sein Bauch von Sekunde zu Sekunde mit mehr und mehr Wut füllte! Was waren diese Menschen für Feiglinge! Dort lag sie, unverkennbar eine Frau in Not und niemand unternahm etwas. Und es wollte nicht enden!

      Mephisto fragte sich, warum er, Michael und Senta schon so früh zur Stelle waren! Je länger er die beiden jungen Kerle ansehen musste, desto wütender wurde er! Mittlerweile raste er innerlich vor Zorn, musste sich jedoch zurückhalten… er durfte die Beherrschung nicht verlieren! Nicht schon wieder! Er versuchte seinen Groll hinunterzuschlucken und atmete dabei immer heftiger!

      Max machte schließlich eine Bewegung, die dem Teufel die Haare zu Berge stehen ließen und schließlich einen Bann brach!

      Der besoffene Kerl öffnete seinen Reisverschluss! Er bückte sich über Carla, riss ihr die Hose vom Leib…

      „Wie pervers kann man denn nur sein?“, entrüstete sich Michael! Er sah aus, als sei ihm übel!

      „Na alte, willsde nomal gefickt werdn?“, brüllte Max sie an! Carla, ungnädigern Weise immer noch bei Bewusstsein, weinte noch heftiger und flehte zum lieben Gott, er möge sie vor diesen widerlichen Kreaturen bewahren! Max packte sein „Gerät“ aus und beugte sich noch tiefer zu ihr! In seinem Gesicht konnte man widerliche Vorfreude entdecken, als er weiter und weiter hinab sank, um seine ekelerregende Fleischeslust zu stillen! Nur noch wenige Zentimeter war sein stinkender Körper von ihrem entfernt!

      Doch weiter kam er nicht!

      Denn plötzlich riss ihn etwas an seinem Nacken hinauf und schleuderte ihn mit voller Wucht gegen eine weitere, nahe stehende Parkbank! Dann fiel er zu Boden und regte sich nicht mehr!

      Mike war erstarrt. Natürlich sah er nichts, was seinen Freund weggestoßen haben konnte. Er war sichtlich erschrocken und lief wild schreiend und stolpernd davon.

      Der Erzengel Michael sah den völlig außer sich vor Zorn geratenen Mephisto mit erkennbarer Ehrfurcht im Gesicht an, der Senta die Sense aus der Hand riss und sie inmitten des Leibes von Carla schlug, die daran hängen blieb.

      Der Teufel blickte dem Tod in die Augen: „Das nächste Mal“, brüllte er und sah bedrohlich aus: „schickst du uns entweder später zum Opfer oder bohrst deine bescheuerte Sense früher in sie hinein! Wir haben schließlich Besseres zu tun, als die völligen Abgründe der Menschheit zu beobachten!“ Auch jetzt wollte Mephistos Raserei nicht abnehmen.

      Der Tod sagte gar nichts. Ihm war es egal, dass er angeschrieen oder seine Sense genommen wurde, um Carla zu töten. Er hatte nur einen Plan einzuhalten, und Carla, ob es nun noch Stunden gedauert hätte, war eben die nächste gewesen, die er zu holen beordert worden war. Ohne auf das heftige Schnaufen des Teufels zu achten, fragte er in seiner gewohnt monotonen Weise: „Wohin mit der Toten?“

      Weder Michael noch sein Gefährte gaben eine Antwort. Der Engel war ebenso schockiert, wie auch beeindruckt. Es war das erste mal, dass er Mephisto hatte Gefühle zeigen sehen. Normalerweise machte es ihm nichts aus, jemanden sterben oder gefoltert werden zu sehen. Selbst Kinder, die vor seinen Augen getötet wurden, erbarmten seinen kalten Blick nicht. Doch hier, an dieser Stelle, hatte er es nicht mehr ertragen können, eine alte Frau ihren Qualen zu überlassen.

      „Wohin mit ihr?“, wiederholte Senta.

      „In den Himmel, Senta“, antwortete Michael sanft. Der Tod wandte sich an Mephisto. „Was sagst du dazu?“

      Der Teufel blickte ihn verdrießlich an, nahm aber nur wenige Augenblicke später seine gewohnte, kalte und teilnahmslose Haltung an. „Du hast Michael gehört! Sie kommt in den Himmel. Das ist meine eigene Schuld!“

      Er sah hinüber zu der am Boden zusammengekauerten Gestalt namens Max, steuerte sie an und beugte sich neben sie. Dann legte er eine Hand auf den Körper und ein roter Schimmer erschien nahe über seinen Handrücken.

      Er musste diesen verfluchten Perversen heilen. Ansonsten würde er noch härter bestraft werden, als es ohnehin schon der Fall war.

      Mission gescheitert

      4. Matt Sevans

       Nun verlassen wir für einen kurzen Augenblick die düsteren Gestade und widmen uns dem Dasein einer lebenslustigen, sehr jungen Person, die als Schlüsselfigur dieser Geschichte ihr Leben in Harmonie und Zufriedenheit führt.

       Sehen wir es uns doch einfach einmal an.

      Es war ein wunderbarer Frühlingsmorgen in der putzigen Kleinstadt Merian. Auf den sattgrünen Birken im hübsch angelegten Zentralpark zwitscherten die Vögel vergnügt und emsig, Eichhörnchen mit