Jörg Gugel

Mephisto


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Gargoyle war wieder erstarrt und hörte ihm nicht mehr zu.

      So begann für Mephisto ein Tag, gespickt mit einer Aufgabe, die tückische Fallen für ihn bereithielt. Die Hoffnung war nicht groß, dass er diesmal keinen Fehler beging. Doch er klammerte sich an der verzweifelten Vorstellung, ein paar erholsame Stunden Schlaf auch endlich für sich beanspruchen zu können.

      Doch nun war es Zeit, seine Arbeit zu verrichten und nicht, um an einen Schlummer zu denken.

      Er öffnete die breite Pforte und trat würdevoll in die frische Nachtluft von Mysellis Mawor, der größten und mächtigsten Dämonenstadt. Hier lebten nur untote Kreaturen von hohem Rang. Menschen traf man nur in den Gemäuern der Hölle, gefesselt, entweder durch Ketten oder ihrem eigenen Geist.

      Der Hauptauftrag eines Teufels liegt in der Bestrafung von sündigen Menschen. Diese warten Jahrhunderte, manchmal sogar Jahrtausende auf ihre Erlösung.

      Zumindest kommt es ihnen so vor!

      In Wahrheit handelt es sich um nur wenige Tage oder Wochen, selten auch einmal Monate, die diese Menschen in der Hölle verbringen. Doch die Teufel ändern ihre Wahrnehmung und verzerren ihr Zeitgefühl, sodass die Bestraften denken, es würden zehn Jahre vergehen, wenn in Wahrheit gerade mal eine Stunde verronnen war. Nach ihrer Strafe müssen die einst sündigen Menschen wieder auf die Erde zurück, als neuer Körper, um sich in ihrem folgenden Leben den Weg in die himmlischen Pforten zu verdienen. An ihre Bestrafung werden sie sich nicht mehr erinnern.

      Heute, so dachte Mephisto trübselig, werde er wie eh und je eine Menge Menschen sehen, die den Weg der Tugend nicht gefunden hatten und in die Abgründe gestürzt sind, die das Menschendasein größtenteils bestimmen.

      Der Teufel machte drei Schritte nach draußen bevor er in Flammen aufging und in einer Feuerwand verschwand.

      Wenige Sekunden später trat er aus dieser wieder hinaus auf eine einsamen Straße.

      Der Morgen dort war noch sehr jung. Ein kalter Wind strich durch sein schwarzes Haar und ein einziger Mann begegnete ihm, der ihn allerdings nicht sehen konnte.

      Teufel sind für Menschen unter normalen Umständen unsichtbar. So können sie in Ruhe ihre Arbeit verrichten. Erst wenn ein Lebewesen gestorben ist, ist es in der Lage, die Diener der Hölle zu sehen. Oder aber, der Dämon will, dass Menschen ihn erblicken können. Aber das eine Seltenheit.

      Mephisto setzte sich auf eine Parkbank, betrachtete den Mann, der sehr müde zu sein schien und seinen Weg nach Hause suchte. Der Höllendiener war kurz abgelenkt und fiel beinahe in einen Schlummer, als er eine Stimme neben sich vernahm.

      „Guten Morgen, Mephisto, Erzteufel der Verzweiflung!“

      Der Angesprochene schrak auf und drehte seinen Kopf zum Verursacher dieser Worte. Sogleich erkannte er, wer ihm gegenüberstand.

      Es war ein Wesen, das eine lange Kutte mit einer Kapuze trug. Man sah nur den weißen Fleck um die Augen und die verschorften, fleischlosen Hände. Es war, als ob es keine festen Umrisse besaß und leicht schimmerte. Das einzig feste an diesem Ding schien sein Werkzeug zu sein – ein zwei Meter langer Stock, geschmückt mit einer mächtigen, gebogenen Klinge.

      Dies war der Tod mit seiner Sense!

      „Ich grüße dich, Senta“, erwiderte Mephisto und nannte ihn dabei bei seinem Namen.

      Die schwarze Gestalt näherte sich und blieb direkt vor der Bank stehen, auf die der Teufel ruhte.

      „Solltest du nicht aufstehen?“, fragte der Tod.

      „Sollte ich“, nickte er anerkennend.

      Beide blickten sich in die Augen. Der Teufel lächelte feist und erhob sich.

      Senta war ein gefühlskaltes Wesen, das sich nicht ärgern ließ. Er hatte eine vorbestimmte Route, jeden Tag, denn es galt immer, ein paar Seelen einzuholen. Gäbe es ihn nicht, so würde die Seele eines Verstorbenen ziellos in der Zwischenwelt umherwandeln. Die immerwährende Aufgabe führte dazu, dass der Tod niemals ruhen konnte. Er aß nicht, er trank nicht, er schlief nicht. Er fühlte nicht und das war auch notwendig. So konnte er seiner Aufgabe nicht überdrüssig werden. Und ganz wichtig war es, dass er keine Gnade kannte. Wer sterben musste, der starb.

      „Heute werde ich mit Michael arbeiten“, sagte der Dämon.

      „Ich weiß.“

      „Natürlich…“

      Wenn es um das Einsammeln der verblichenen Seelen ging, wusste der Tod alles.

      Es vergingen ein paar Minuten und so tauchte auch der letzte im Bunde auf. Erzengel Michael hatte braunes, gelocktes Haar, einen weißen Anzug, (keine Flügel!) und sah ganz und gar nicht aus, wie ein holder Knabe im Schlafanzug. Er strahlte eine Aura der Herzensgüte aus. Und genau damit hatten die Teufel ein Problem.

      Langweilig, spießig, heilig…

      Verdammt noch eins, wie konnte man denn so leben? Das war genau diese Art von Herren, die als Eltern gänzlich versagten und völlig verweichlichte und verwöhnte Kinder hervorbrachten.

      Ein Engel fluchte nicht, schimpfte nicht, hatte keine bösen Gedanken, sah immer nur das Beste in einem Wesen, war nicht misstrauisch, sondern vielmehr mitfühlend, versetzte sich in die Lage seines Gegenüber… nervtötend! Und nannte ein Engel einen Teufel einen Unterweltler, was sich in etwa wie Hinterwäldler anhörte, so war dahinter selbstredend keinerlei böse Absicht. Wirklich nicht! Ganz ehrlich!

      Der Engel war gut. Vom Geiste, vom Handeln, vom Wesen. Eine gute Seele.

      Obwohl Mephisto die Menschheit nicht besonders mochte, weil sie oft und gerne sündigten, so hasste er die Engel dafür, dass sie es nicht taten. Diese perfekten Wesen hielten sich nicht einmal für die Krönung der Schöpfung, dann hätte man sie wenigsten hochnäsig nennen können. Aber nein – der Engel war perfekt.

      Auch wenn er so aussah, er brauchte keine Windeln, um sein Geschäft zu erledigen. Er war des Schwiegermutters Liebling und des Tochters Albtraum, weil ein Ehemann, der sich wie ein – nun ja – Engel benimmt und für Mutti stets als Vorbild für Töchterleins Verhalten hervorgeholt wird, zwangsweise von selbiger irgendwann im Schlaf niedergestochen wird!

      „Guten Morgen die Herren!“

      „Hallo, verweichlichter Himmelsdepp“, dachte Mephisto.

      „Guten Morgen, Michael“, sagte er stattdessen.

      Senta sagte gar nichts, sondern wies sie an, sich zu beeilen.

      „Nur so nebenbei, Mephisto“ sprach Michael mit trauriger Miene: „ich bin mit der Gabe des Gedankenlesens vertraut! So viel zum < verweichlichten Himmelsdepp>“

      „Oh entschuldige, mein Freund“, bedauerte Mephisto scheinheilig, nur um sich schließlich dem Tod zuzuwenden: „Senta, wo beginnt unsere Reise?“

      Dieser wies mit einem verschorften Finger gen Norden. Wie aus dem nichts entflammte ein flimmerndes Bild, in dem sich ein grauer Granitbau zeigte. „Florida State Prison“, sagte Senta nur und flog voraus, gefolgt von seinen Begleitern.

      Wenige Augenblicke später erreichten sie eine Kammer voller Menschen. Doch trotz dieser Ansammlung war es hier drin totenstill, mit Ausnahme eines hin und wieder ertönendes Schluchzen von ein paar der verhärmten Frauen. Die Menschen blickten alle angespannt in eine Richtung und sahen sehr ernst aus. In ihren Mienen fand man weder Milde, noch Wärme. Und sie warteten still und konzentriert.

      „Das ist ja mal ein gelungener Auftakt“, bemerkte Mephisto lächelnd. Senta schwieg. Michael ebenso, auch wenn sein Blick nicht kalt und abweisend war und verriet, dass er Mephistos Bemerkung als abstoßend empfand.

      Eine Tür wurde aufgestoßen. Durch sie betrat ein uniformierter Mann den Raum, gefolgt von einem in Handschellen Angeketteten und zwei weiteren Uniformierten, die jenen in der Mitte hineinbugsierten.

      Der Gefangene war klein, hässlich und hatte eine schmierige, jedoch ausgemergelte Visage. Er knirschte etwas mit seinen gelben Zähnen und