Jörg Gugel

Mephisto


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mit saftigen Gräsern und albernen Gartenzwergen gegen herannahende Gefahren, die sich Postboten schimpften. Einer dieser mit den Lippen fröhlich pfeifenden Briefträger radelte eifrig auf seinem Drahtesel und lenkte sein Gefährt gerade in den Sternway.

      Mit stolz zeigte der Weg seine kleinen, mit Liebe behandelten Gärten, umrahmt von Blumentöpfen jeder Form und Farbe, mit wohl duftenden Rosen, Lilien und Nelken, frisch angestrichenen Gartenzäunen oder mit Lineal und Schere beschnittenen Hecken. Schmetterlinge und Bienen schwirrten geschäftig umher.

      Doch ein unvorsichtiger Honigsammler sah das Glas eines Fensters etwas zu spät und – AUTSCH – klopfte er unsanft mit dem Kopf gegen dieses unüberwindliche Hindernis. Benommen rieb dieser sich den nun schmerzenden Kopf, blickte durch die Scheibe und wunderte sich, wie wohl das schlafende Mädchen in dem dahinter befindlichen Zimmer dort nur hineingekommen war. Dieses jedoch war kaum durch den fleißigen Tollpatsch gestört worden und drehte sich genüsslich auf die andere Seite in ihrem behaglichen Bett. Nun konnte ein Betrachter von außen zumindest einen Teil ihres hübschen, schlafenden Gesichts erkennen, auf das in feinen Linien haselnussbraunes Haar ruhte.

      Doch der augenscheinliche Anblick dieser jungen Dame konnte einen nicht davon ablenken, dass das Zimmer, in dem sie hauste, von Unordnung beherrscht wurde.

      Die Schularbeiten waren nur halb erledigt und scheinbar zornentbrannt in die Ecke geworfen worden. Staub überdeckte die Möbel. Man mochte sich fragen, ob man in diesem Chaos überhaupt noch etwas finden konnte. Das Mädchen hingegen schien damit keine Probleme zu haben.

      Sie atmete leise ein und aus und ließ sich von dem Gepolter ihrer Adoptivmutter, die gerade den Staubsauger nach oben trug, nicht stören.

      Bis sich die Tür zu ihrem Zimmer öffnete.

      „Sammy?“, fragte diese verdutzt. Doch das Mädchen schlief weiter.

      „Sammy, musst du heute nicht in die Schule?“, fragte sie erneut und rüttelte energisch an ihren Schultern.

      Als Antwort bekam sie ein langes: „Uuuuääääääärrrrrh!“, sinnloses Gebrabbel und ein geradezu vornehmliches Bild einer Luft schmatzenden Dame.

      Das Mädchen öffnete ihre verschlafenen Augen, blickte den Störenfried mit wenig Begeisterung entgegen und sah voller Unlust auf die Uhr. Diese zeigte tadelnd auf 8:15 Uhr und um acht Uhr hatte der Unterricht bereits begonnen gehabt.

      „Uaaaaah!!!“, rief sie entgeistert und hastete plötzlich hellwach aus dem Bett.

      „Oh nein, oh nein! Nicht schon wieder! Oh nein“, jammerte sie und suchte ihre Kleider zusammen. Während sie sich ihr T-Shirt überstreifte, stieß sie sich den Zeh an ihrer harten, mit Büchern gefüllten Schultasche, jaulte und hopste auf einem Bein durchs Zimmer, während ihre Hände den schmerzenden Fuß umklammert hielten. Anne, ihre Adoptivmutter, war für ihr Alter eine recht hübsche Frau mit blonden, lockigen Haar, blaugrauen, warmen Augen und sympathischen Lachgrübchen auf den Wangen Sie hatte das Herz definitiv am rechten Fleck, war hilfsbereit und liebte ihre Adoptivtochter über alles. Doch die Liebe und Freundlichkeit, hervorstechende Eigenschaften ihrer Persönlichkeit, versteckte sie an jenem Morgen recht gut als sie zu schimpfen begann: „Schon wieder? Wie oft muss ich dir denn noch sagen, dass du dir deinen Wecker stellen sollst, bevor du schlafen gehst?“

      „Ja, Mama, ich weiß! Tschulligung, tschulligung“, gab das Mädchen hastig zurück.

      Das war wohl das dritte Mal in dieser Woche und Sammy verfluchte den Morgen. Heute führte Mr. Steller den Unterricht in den ersten Stunden. Dieser war seines Zeichen ein Mathematikliebhaber, den Sammy nicht ausstehen konnte. Erstens kam sie mit Mathematik auf keinen grünen Zweig, des Weiteren war der Lehrer ein prüder Pedant mit Hornbrille und grauem Ziegenbart, stets in einem achtungsheischenden Sakko und mit grauen Stoffhosen bekleidet.

      So zog sie also hastig ihre Strümpfe über die Hände und versuchte sich mit ihren abstrakten Handschuhen die Zähne zu putzen.

      Das gelang verständlicherweise nicht ganz optimal. Als die Socken schließlich doch den Weg über ihre Füße gefunden hatten, die Haare eilends gekämmt worden und die Schuhe auch beim ersten Anlauf schon gebunden waren, schulterte sie ihre Schultasche und rannte aus dem Haus.

      „Sammy, warte“, rief Anne ihr nach.

      „Was ist?“

      „Willst du keine andere Hose anziehen?“

      Sammy blieb abrupt stehen und sah, dass sie noch ihre recht knappe Schlafanzughose anhatte. Mit roten Wangen kehrte sie blitzschnell wieder um, zog sich eine kurze Jeans an und rannte schließlich so schnell sie konnte zur Schule.

      Plötzlich wurde es totenstill um das Mädchen herum. Während Sammy schnellen Schrittes ihrem Ziel entgegenlief, kamen ihr Menschen entgegen und schienen miteinander zu kommunizieren. Ihre Gesichter waren einander zugewandt und ihre Lippen zum Sprechen geöffnet.

      Jedoch bewegten sie sich nicht!

      Vögel verharrten mitten in der Luft, ja selbst der Wind stand still. Aus allem war die Bewegung gewichen, nur Sammy hastete an dem unbewegten Bild vorbei.

      Als sie schließlich zur Tür ihrer Schule eintrat und sich vergewisserte, dass niemand in ihrer Nähe war, trat wieder das Leben in die Welt.

      „Wo warst du?“, fragte Mark sie leise zischelnd, als sie sich letztendlich doch auf ihren Platz eingefunden hatte, nachdem Mr. Steller ihr eine Strafpredigt über Unpünktlichkeit und die Folgen auf die sozialen Umfelde ihrer Mitschüler gehalten hatte und ihr schließlich auch noch die Schuld an dieser enormen Zeitverschwendung gegeben hatte.

      Sammy war verärgert darüber, dass ein Mensch so spießig sein konnte. Sie fragte sich nicht zum ersten Mal, ob „so etwas“ wie ihr Mathematikmonster überhaupt eine Frau haben konnte, geschweige denn Kinder. Sie zuckte angewidert zusammen bei dem unwillkommenen Gedanken, wie wohl ein Kuss dieses Froschgesichts mit Bart aussehen mochte.

      Die arme Frau, die das über sich ergehen lassen musste!

      Mark Trust, ein Junge mit dunkelbraunen Haaren und Augen, kleiner als seine übrigen Klassenkameraden und einen leichten Ansatz von Hamsterbacken, trug heute ein rot-grün kariertes Hemd und schwarze Jeans. Er war nicht der attraktivste junge Bursche, den es wohl geben mochte, doch er war einfühlsam, lustig und meistens guter Laune. Sammy war froh, ihn ihren besten Freund nennen zu können, der ihr in der Vergangenheit mehr als nur einmal zu Seite gestanden war, als sie mit harten Schicksalsschlägen zu kämpfen gehabt hatte.

      „Sorry, ich bin wieder eingeschlafen, bevor ich meinen Wecker stellen konnte“, entschuldigte sie sich mit einem Feixen im Gesicht.

      „Was habe ich verpasst?“

      Mark überlegte und sagte schließlich: „Heute noch nicht soviel! Aber da du ja so gut wie jeden Tag zu spät kommst, könnte man mit den gesammelten Minuten wahrscheinlich schon ein Buch über Dinge schreiben, die du nicht mitbekommen hast!“

      Sie rollte genervt mit ihren Augen.

      „Also gut“, erwiderte er ihren Gesichtsausdruck richtig deutend: „Mr. Steller hat uns gesagt, dass wir heute jemand neues in die Klasse bekommen!“

      „Echt?“ Sammy hob neugierig ihre Augenbrauen.

      „Ja, er sollte eigentlich schon…“

      „Ruhe dahinten!“, quäkte Mr. Steller plötzlich und die beiden zuckten zusammen.

      Nach einer äußerst langweiligen Stunde Trigonometrie voller Berechnungen der Innenwinkel von Trapezen, unterhielten sie sich in ihrer halbstündigen Pause darum, wer wohl dieser Neue sein würde.

      „Bitte nicht so ein Loser, davon haben wir in der Klasse ja wirklich genug, nicht wahr Mark?“, kicherte Sammy.

      „Er muss sich eben in dieser Klasse anpassen“, erwiderte Mindy. Freche Antworten oder Bemerkungen wie diese waren ihre Spezialität. Mit ihrem gelockten, schulterlangen, blondem Haar, ihren stets smaragdgrün glitzernden Augen und spitzbübischem Lachen hatte sie Sammys unbeschwertes Herz erobert, obwohl