Jörg Gugel

Mephisto


Скачать книгу

      „Na ja, ich bin auf jeden Fall bin gespannt, was das wohl für einer sein wird“, meinte Mindy.

      Sammy hatte da schon eine Vorstellung von diesem neuen Schüler. Ein braunhaariger, dunkeläugiger, sonnengebräunter Junge kam ihr in den Sinn, groß und stark, gerne auch einen lässigen Pferdeschwanz bis zu den Schultern. Sammy schmunzelte und hatte wohl einen leicht abwesenden Blick aufgesetzt, denn Mindy gab ihr einen leichten Stoß: „Nicht träumen, Kleine!“

      „Hey, ich bin nicht klein. Ich bin eins vierundfünfzig!“, lachte Sammy.

      „Also ein richtiger Vorgartenkampfzwerg“, fügte Mark trocken hinzu.

      „Haha, ich lach mich tot!“, entgegnete sie.

      Also begannen sie, über den Neuen zu spekulieren, und wie meistens kamen weniger schmeichelhafte Eigenschaften dabei heraus.

      „Ich glaube, er ist klein und pelzig“, meinte Mindy.

      „Soso, und wahrscheinlich hat er noch ein riesiges Maul!“, war Marks Beitrag.

      Sie lachten.

      „Und eine Nase, die drei Minuten vor ihm im Klassenzimmer ist?“

      „Wieso nicht? >Die Tür geht auf, ´ne Nas´ kommt rein, das kann doch nur der Neue sein<!“

      „Oder er sieht einfach mal nur...“, fing Sammy an, bevor es ihr den Atem verschlug und sie in eine ganz bestimmte Richtung sah.

      Mindy, Sammys Starrobjekt dem Rücken zugeneigt, verrenkte ihren Kopf in die Richtung des Starrobjekts, machte große Augen und beendete Sammys Satz: „...geil aus!“

      Sammy nickte, ohne ihre Augen von dem Jungen lassen zu können.

      Es musste der Neue sein, denn sie hatte ihn hier noch nie gesehen. Und sie kannte fast jeden aus dieser Schule mit ihren 150 Schülern.

      Der Neue stand nun am Eingang ihres kleinen Pausenhofs und blickte sich etwas nervös um. Er war groß, hatte schwarzes Haar, das ihm elegant ins Gesicht fiel und dabei lässig sein linkes Auge verdeckte. Er sah einfach nur verboten gut aus und machte den Eindruck, als wüsste er das auch, denn sein Blick ließ einen leichten Anflug von verhaltener Arroganz vermuten. Die meisten Mädchen im Pausenhof drehten ihren Kopf nach ihm um und auch sie konnten ihre Blicke nicht von ihm abwenden. Hie und da erblickte man weit offen stehende Münder und glitzernde Augen. Es schien fast so, als würde der Neue eine fesselnde Aura heraufbeschwören, die jedes weibliche Wesen in schmachtende Verzückung zauberte.

      „Komm schon, gehen wir zurück ins Klassenzimmer!“, flüsterte Mindy Sammy giggelnd zu, als der Junge wortlos an ihnen vorbeigerauscht und durch das Schultor getreten war.

      „Aber wir haben doch noch zehn Minuten, bevor die Pause zu Ende ist“ entrüstete sich Mark.

      „Ist doch egal... er ist doch auch schon drin!“, lachte Sammy.

      „Oh, Mann!“, murrte der arme Kerl genervt.

      Ihre Erdkundelehrerin, Mrs Martinez, stand nun vor der Klasse und sie schien leicht hibbelig zu sein. Sie war gestraft mit einem Mauerblümchengesicht, das von ihrem ausgefransten und sackartigen Kleid mit Blümchenmuster auch nicht unbedingt aufgewertet wurde. „Ich denke doch, dass du dich gerne vorstellen möchtest?“, fragte sie den Jungen und errötete leicht, als sich ihre Blicke trafen.

      „Hallo“, sagte er zur Klasse gewandt. Schon alleine seine tiefe, ruhige Stimme machte ihn noch begehrenswerter.

      „Mein Name ist Matt Sevans. Ich bin von Meenix hierher gezogen und kenne noch nicht viele hier.“

      „Das wird sich bald ändern“, nuschelte Sammy Mindy zu und sie beiden kicherten ausgelassen. Da waren sie auch nicht die einzigen.

      Matt hatte sie jedoch gehört und blickte ausgerechnet in ihre Richtung. Sammy erstarrte kurz und konnte nur in dieses tiefe, warme, blaue, unverdeckte Auge schauen. Jetzt lächelte er auch noch. Irgendwie war es ein geradezu mysteriöses Lächeln. Sie glaubte fast, er könnte in sie hineinsehen und wandte sich verschämt ab, radieschenrot unter ihren haselnussbraunen Haaren.

      5. Himmel, Hölle, Fegefeuer

      Meine Frau führt des Öfteren recht anregende Gespräche mit mir. Sie interessiert sich sehr für meine Geschichten. Und Mephisto ist ja im Grunde auch nichts anderes.

      Ihr Name lautet Fortuna. Er bedeutet „Glück“, das durch sie personifiziert wird.

      Passiert in den von mir gelenkten Welten etwas Gutes oder hat sich für einen Mensch, Tier oder sonstigen Wesen eine selige Fügung ereilt, dann war dies ihre Idee, die von mir verwirklicht wird.

      Nicht ich bin dabei ihr Gegenstück, sondern Miseria, meine zweite Gefährtin. Diese erhält die Tragik einer Geschichte und macht sie damit traurig, nachdenklich, erschütternd – aber genau deswegen auch interessant. Sie verkörpert das Unglück.

      Vor kurzem suchte Fortuna einmal mehr das Gespräch mit mir. Und dieses lief wie folgt:

       Fortuna (F) Schicksal (S)

      (F) Ich grüße dich, Fatum.

      (S) Ich dich auch. Welch Freude, dich wieder zu sehen. Welcher Umstand verschafft mir dieses Vergnügen?

      (F) Ich möchte deine Sicht über die Welt erfahren. Ich frage mich schon lange, wie du dir das Himmelsreich vorstellst.

      Denkst du dabei an lachende Menschen auf Wolken, die mit weißen Nachthemden gekleidet sind, aus deren Rückenseiten Flügelchen schlagen?

      (S) Nein, natürlich nicht. Der Himmel ist ein Ort der Erlösung. Der Seele ist bewusst, dass sie einst gelebt hat. Sie weiß alles über jedes Leben, das sie einst durchwandert hat. Sie erinnert sich an die traurigen, wie auch glücklichen Ereignisse ihres Lebens und auch an ihre Vertrauten, die sie einsam auf der Erde zurückgelassen hat.

      Allerdings fühlt sie keinen Kummer deswegen, da sie weiß, dass das Böse in ihr verloren hat. Niemals wieder, wird diese Seele etwas Verwerfliches tun. Niemals wieder wird sie in der Lage sein, andere Menschen und Lebewesen zu verletzen.

      Und sie weiß auch, dass, wenn die Zeit gekommen ist, sie irgendwann mit ihren Liebsten erneut vereint sein wird. Und zwar für immer!

      (F) Aber nun, wie sieht denn der Himmel aus, an den du denkst? Wölkchen mit singenden Engeln?

      (S) Das ist eine lustige Vorstellung, aber mitnichten die meinige.

      Der Himmel ist ein Ort, den sich jeder frei gestalten kann. Der oder die Erlöste kann überall hinreisen, wo es ihm oder ihr besonders gefallen hat. Selbstverständlich können gewisse störende Merkmale bereinigt werden.

      (F) Was meinst du mit störenden Merkmalen?

      (S) Unschöne, Stress erzeugende Makel eines sonst idyllischen Bildes. Weite sonnige Strände mit einem Meer, das am Horizont das Firmament küsst, kann von Schmutz und großen Menschenmengen gesäubert werden. Der Fantasie sind nunmehr keine Grenzen mehr gesetzt. Berge mit schimmernden, warmen Schnee bedeckt, können von dem immerwährenden Zwielicht eines Sonnenuntergangs rot gefärbt werden. Ein Wasserfall rauscht in der Nähe oder es herrscht selige Ruhe. Ganz, wie es die reine Seele wünscht.

      (F) Das ist eine wunderschöne Vorstellung. Dafür liebe ich dich.

      (S) Ich liebe dich auch.

      (F) Und nun sag mir, wie stellst du dir die Hölle vor?

       Einige Zeit überdachte ich meine Wortwahl, bevor ich ihr antwortete.

      (S) Dort, in diesen schwefligen Tiefen der Finsternis, kommt die Seele, die in das Reich der Abgründe gestiegen ist.

      (F) Was bedeutet das?

      (S) Das heißt, dass sie sich ihre eigene Hölle eigentlich schon zu Lebzeiten selbst erbaut hat. Ein