Jörg Gugel

Mephisto


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den Toren des Schlosses wartete Morgus auf Eindringlinge. Er war ein magerer Mann mit aschblondem Haar und dunkelbraunen Augen, trug einen schwarzen Ledermantel über einem einfachen, schwarzen T-Shirt und eine Jeans. Seine Haut war bleich wie das einer Leiche. Wenn man den Gedanken eines wandelnden Untoten folgte, so lag man gar nicht so falsch: Morgus war ein Vampir, der gut und gerne auch Blut von Dämonen trank, die es wagten, ohne Berechtigung in das Schloss einzudringen.

      Für einen Blutsauger war es eine außerordentliche Ehre, dem Herrenschloss dienen zu dürfen. Mephisto verstand sich recht gut mit ihm, da die beiden eine gemeinsame Abneigung hatten: Shazgiem!

      Der Stadtherr über Alborqu war dem Vampir ein Dorn im Auge, da dieser immer wieder den Versuch unternommen hatte, ihm Steine in den Weg zu legen, als er sich um den Posten der Schlosswache beworben hatte. Außerdem nahm er den Blutsaugern in Alborqu so gut wie alle Rechte.

      Shazgiem hasste Vampire, weil ein paar von jenen Kreaturen seine Frau, eine bildhübsche Elfe, ausgesaugt hatten, die nur das Wesen ihres Mannes kannte und nicht sein Äußeres. Gezeichnet durch ihre Blindheit war sie dem Stadtherrn aufgrund seiner mächtigen Stellung verfallen, was die Blutsauger als Verschwendung ihrer Schönheit betrachtet hatten und sie zu einer von ihnen machten, um ihr nebenbei noch ihre Sehfähigkeit zurück zu geben. Als diese ihren Gemahlen dann das erste Mal sah, verließ sie ihn mit sichtlicher Abscheu in den nun wieder sehenden Augen. Seitdem wurden Vampire in Alborqu verfolgt, da auf ihren Kopf pro Exemplar 20 Lerada, die Währung der Unterwelt, standen. Morgus, der von diesem Augenblick an um seine Existenz fürchten musste, hatte in letzter Hoffnung auf eine Überlebenschance um einen Wachposten des Herrscherschlosses geworben. Er konnte sein Glück kaum fassen, als dieser Wunsch tatsächlich gewährt wurde, trauerte jedoch um Freunde und Familie, die er zurücklassen musste und den gierigen Dämonen in der Elendsstadt wohl bereits zum Opfer gefallen waren. Trotz allem war er meist gut gelaunt und den Teufeln für ewig treu und dankbar.

      „Hey, Mephi! Alles klar?“

      Obwohl Mephisto diesen Namen nicht mochte, breitete sich ein Lächeln auf seinen Lippen aus: „Du weißt, es könnte besser sein!“

      Morgus ging beiseite, um den Teufel passieren zu lassen; der jedoch blieb neben ihm stehen.

      „Ist irgendetwas Besonderes passiert während meiner Abwesendheit?“

      „Nicht, dass ich wüsste…!“

      „Schade…!“

      Der Blutsauger schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn: „Mensch, doch Mann! Beelzebub ist weg!“

      Mephistos Auge wurde groß: „Wirklich? Wohin denn?“

      „Was weiß ich? Null Ahnung! Aber Satan ist voll wütend auf ihn… kann ich auch verstehen bei dem Versager!“ Als er die letzten Worte ausgesprochen hatte, merkte er, dass er etwas Falsches gesagt hatte. „Sorry“, fügte er hastig hinzu.

      Sein Gegenüber sah ihn immer noch mit strengem Blick an. Wenn die beiden nicht befreundet gewesen wären, hätte Morgus nun enorme Schwierigkeiten befürchten müssen. Ein niederer Dämon hatte über einen Teufel nicht schlecht zu reden, auch wenn dieser noch so unfähig war.

      „Wird nicht wieder vorkommen, ehrlich“, nuschelte der Vampir und ließ Mephisto vorbei.

      „Dir sei verziehen. Aber hüte in Zukunft deine Zunge!“

      „Ja, sicher, Mann!“

      „Das heißt >Herr<“, sagte der Teufel, lächelte jedoch dabei.

      „Okay, Herr!“, schmunzelte Morgus erleichtert zurück.

      Mephisto tat keine drei Schritte in das Schloss, als hinter ihm auch schon eine Stimme knarrte: „Mephisto Dantoteles, der Teufel, Mephisto hat sich umgehend, das heißt sofort in das Gemach des Herren Satans Zimmer einzufinden“, sang der hässliche Steingötz an der Tür.

      „Das hätte ich mir denken können“, stöhnte er. Schweren Herzens lenkte er seine Schritte in das oberste Stockwerk, wobei ihn die Blicke der Wasserspeierköpfe an den Geländern feixend verfolgten. Mephisto musste sich beherrschte: es wäre nicht das erste mal, dass er einen von ihnen gesprengt hätte und er wusste, dass solch eine Heldentat ihn in seiner Situation nicht sehr behilflich sein würde.

      Als er schließlich vor einer fünfzehn Meter hohen Doppeltür stand, die mit herrlichen Farben und Mustern der Geschichte zur Entstehung der Hölle verziert und rundum mit herrlichen, schwebenden Flammen in allen Farben umrandet war, fühlte er sich, trotz seiner Normalgröße von über zwei Metern ganz klein. Er verweilte einige Zeit davor und betrachtete das Kunstwerk vor seinen Augen, das von der Ferne fast idyllisch wirkte. Aber je näher man kam, desto besser sah man die Details von leidenden, gefallenen Menschen und sieben dunklen Dämonen, die sich mit grausamen Dämonenfratzen und mächtigen Pranken auf die Verdammten, mit ihren vor Schmerz gezeichneten, ausgemergelten Gesichtern, stützten. Nur einen davon kannte Mephisto – denjenigen in der Mitte. Es war das um etliche Jahrtausende jüngere Abbild von jenem, der ihn hinter diesem Tor erwartete und er wünschte sich nichts sehnlicher, als dass der Leibhaftige heute guter Dinge war.

      Doch das war er nie, wenn er seinen zweitjüngsten Teufel erwartete, der nun anklopfte und wartete, bis er hereingerufen wurde. Das dauerte jedoch länger, als er erwartet hatte.

      Den Grund dafür erfuhr er nur kurze Zeit später. Als sich die Pforte öffnete, kam ihm eine bezaubernde Frau entgegen, die ihn, kaum dass sie ihn sah, mit einem leidenschaftlichen Blick fesselte.

      Dies war Hel, die Pythia unter den Teufeln. Sie konnte die Zukunft deuten, die sie nur ihrem Herrscher verraten durfte. Als einziger weiblicher Teufel und auch das jüngste Mitglied unter ihnen war sie äußerst begehrt. Ihre langen bronzenen Haare verdeckten ihre schlanken Hörner, reichten ihr bis zu ihrem straffen Po und wehten geheimnisvoll um sie herum, auch wenn es absolut windstill war. Sie hatte ein makelloses Gesicht, das jedem Mann ihre Unschuld vortäuschte und in das ihr Haar elegant hineinfiel,. Ihre großen, smaragdgrünen Augen blickten verführerisch. Meist trug sie ein sehr enges, ärmelloses Minikleid in dunklen Farben und dazu Netzhandschuhe, die nur an ihrem Mittelfinger und Daumen befestigt waren und ihre Arme bis hin zu den Schultern bekleideten.

      „Nun, Mephisto“, sagte sie leise – ihre Stimme war ebenso verlockend wie ihr Aussehen – und strich ihm sanft mit den Händen über die freie Wange: „waren wir wieder einmal unartig?“

      „Sieht so aus“, sagte dieser kühl und lächelte unbekümmert dabei.

      Mit einem letzten lüsternen Blick ging sie an ihm vorbei, streichte ihm übers Haar und stolzierte davon, wie es ihr gebührte. Er blickte ihr hinterher und hatte fast vergessen, warum er überhaupt wartete. „Dieses Teufelsweib“, lächelte er entzückt, entsann sich dann jedoch schmerzhaft, was ihm noch bevorstand. Er wandte sich um und schritt durch das Portal des Abgrunds.

      Der Saal, der an einen steinigen Korridor mit kargen Fackeln erinnerte, war sehr dunkel. Natürlich konnte der Teufel trotzdem alles genau erkennen, denn diese Dämonen hatten alle magischen Fähigkeiten, die ihr Sehen, Hören, Riechen und Fühlen perfektionierten.

      Er sah Satan auf seinem gewaltigen Thron hinter einem blanken Holztisch mit eleganten Mahagoniholzstühlen drum herum sitzen. Der Höllenfürst wies ihn mit einer Handbewegung an, sich zu setzen. Majestätisch saß er auf seinem Herrschersitz, der viel höher stand als all die anderen Sitzgelegenheiten um ihn herum und blickten von oben auf seinen Diener herab.

      „Jahre um Jahre“, begann er, seine Stimme war rau, jedoch fest: „Abend für Abend stehst du hier, mein Sohn, und musst dich vor mir verantworten!“

      Mephisto wartete. Er durfte das Wort erst erheben, wenn er dazu aufgefordert wurde. Das hatte auch er nach all den langen Jahren gelernt. Er blickte starr auf den Tisch und wagte es nicht, in das Gesicht des Altehrwürdigen zu blicken.

      Satan war, in völligen Gegensatz zu seinen Untergebenen, in einem weißen Gewand gekleidet um das herum er einen dunkelblauen Umhang trug, der innen mit weinrotem Saum gefüllt war.

      „Du scheiterst, kurz, bevor du deine Missionen