Jörg Gugel

Mephisto


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      „Mit deinen Fehlern erleiden wir Verluste und unser Ansehen in der Unterwelt um uns herum sinkt bei jeder deiner Missetaten! Das ist dir bewusst!“

      Immer noch kein Wort.

      „Was, mein Sohn, soll ich dir noch antun, damit du die Perfektion erlangst, die von dir gefordert wird?“

      Das war sein Stichwort.

      „Mein Herr“, sprach Mephisto demütig: „Diese Fehler begehe ich nicht mit Absicht! Es ist die Erschöpfung, die mich schwächt!“

      „Kein Schlaf für jenen, der nicht rein von allen Fehltritten ist, Mephisto! Das ist Gesetz!“

      „Aber Herr, dann wundert euch doch nicht, dass diese Fehler geschehen! Die Müdigkeit zerfrisst mich! Sie hindert mich daran, weise zu handeln, wenn ich des Tages geprüft werde!“

      „Keine weiteren Ausreden. Ich verlange Gehorsamkeit, gleich ob sich Erschöpfung deinen stetigen Begleiter…“

      Doch der Teufel unterbrach ihn. Wieder einmal war sein Zorn zu groß, der ihn mit unüberlegten Handeln strafte: „Das ist absurd! Warum bin ich der einzige, den diese Bürde auferlegt wurde? Kein anderer Teufel musste solch eine Tortur durchleben!“

      „SCHWEIG!“, donnerte der Höllenfürst, auf dass sein Gemach erbebte. Seine kalten, grauen Augen loderten im Feuer seiner Wut und bedachten Mephisto mit schmälernder Schande. „Kein anderer Teufel außer dir wird jemals zu dem Herrscher der Hölle werden! Dein Schicksal mag ein beschwerlicher Weg sein, jedoch müssen die Gesetze gewahrt werden! Und ich erkenne neben deiner Ermüdung die bodenlose Torheit, die von dir Besitz ergreift! Fehler werden wieder und wieder begangen und noch dazu richtest du dein Wort über das meine! Ich bin dein Gebieter, Mephisto Dantoteles! Ich habe dich erschaffen und verlange deinen Gehorsam!“

      Selbst etliche Minuten, nachdem der Leibhaftige diese Worte gesprochen hatte, dröhnte deren Echo in dem mächtigen Saal wider. Schließlich sprach er ruhiger, jedoch weiterhin streng: „Du wirst auch diese Nacht im Kerker verbringen. Chutriel wird sich deiner annehmen und Sepherion seinen Dienst antreten. Sollte der General nach dem Grund fragen, warum er nach einem lastenreichen Tag seine verdiente Ruhe nicht genießen darf, werde ich ihm dein Versagen erläutern! Und jetzt geh hinfort!“

      Mephisto war wütend. Er betrachtete seinen Herren mit tiefster Abscheu, verbeugte sich schnell und kehrte ihm den Rücken. Er wollte nicht noch weiteren Groll auf sich lenken, doch er hätte den Anblick seines Gebieters nicht länger ertragen können, ohne ihn anzugreifen.

      Und dann hätte er richtige Probleme bekommen! Doch scheinbar war das, was er sich gerade geleistet hatte, schon genug.

      Chutriel erwartete ihn vor der mächtigen Pforte und ließ sein fiesestes Grinsen aufblitzen. Er war schon bereit!

      „Tja, wieder einmal dürfen wir beide Zeit miteinander verbringen, mein Freund!“ Sein Lächeln hätte widerlicher nicht sein können.

      „Tu mir einen Gefallen und halt einfach deinen Mund“, grollte Mephisto. Er ballte seine Fäuste zusammen und bemühte sich, dem anderen nicht in die Augen zu sehen.

      „Du beweist mir wie eh und je, dass es dir an Beherrschung fehlt! Du magst vielleicht einmal der Mächtigste aus unseren Reihen werden, aber das, was ich gerade in diesem Augenblick sehe, ist erbärmlich!“

      Mephisto fuhr auf: „Und du hast nichts Besseres zu tun, als jemanden Salz in die Wunde zu streuen! Für dich ist nichts schöner, als jemanden bestrafen und quälen zu können!“

      Da lachte der Foltermeister laut auf: „Nun, Mephisto! Das sollte für dich nicht anders sein. Schließlich bist du doch auch ein Teufel, oder etwa nicht?“

      Mit dieser letzten Bemerkung erreichten sie beide die Kammer, in der Mephisto Nacht für Nacht seine verworfene Zeit verbrachte.

      8. Der Befreiungskampf

      „Ja, mein Kind“, sagte Anne, heute ungefähr schon zum hundertsten Mal.

      Heute war Zuhören angesagt. Und gestern und vorgestern und darüber hinaus. Seit ungefähr einer Woche plapperte ihre Tochter ihr die Ohren voll und es ging immer nur um ein Thema: Matt Sevans! Dadurch, dass Sammy seinen Namen so oft schon gesagt hatte, mochte Anne den Jungen jetzt schon nicht mehr leiden, obwohl sie ihn noch nie gesehen hatte.

      „Und dieses Auge, es durchbohrt mich“, endete Sammy erschöpft und seufzte tief, war in ihren Gedanken entrückt und starrte zur Küchendecke. Anne verdrehte genervt die Augen.

      Mutter und Tochter saßen zu Tisch und unterhielten sich über die Geschehnisse des Tages. Dabei war es völlig unwichtig, was Mami zu erzählen hatte – wäre es auch ein Banküberfall gewesen, den sie mit heldenhafter Selbstlosigkeit vereitelt hätte. Dementsprechend waren natürlich die Erlebnisse des Kindes so wichtig, dass jede Sekunde Verzögerung, sie zu erzählen, eine Katastrophe heraufbeschwören konnte. Lustigerweise wusste Anne mittlerweile genau, was ihr Töchterchen erzählen würde, bevor sie nur den Mund aufmachte, denn es war irgendwie immer das Gleiche. Matt Sevans hier, Matt Sevans da, Matt Sevans überall… und dies waren nur Erzählungen über schüchtern und zaghaft ausgetauschte Blicke und Fantasieerlebnisse, denn mit ihm gesprochen – jawoll, richtig mit ihm geredet! – hatte sie noch nicht.

      „Und wann willst du das mal machen?“, fragte Anne, übrigens auch nicht zum ersten Mal.

      „Morgen“, sagte Sammy und errötete leicht. Wieder so eine lustige Geschichte. Man konnte Sammy einstweilen als defekte Glühbirne bezeichnen. Und der Schalter für „AN“, das hieß bei ihr roter Kopf mit ausgedehnter Hitzestrahlung, war das Wort „Matt“. Den Schalter für „AUS“ hatte sie noch nicht gefunden. Und das Wort „MORGEN“ war zu einem geflügelten Wort geworden, denn kein „morgen“ ohne das nächste „morgen“ Das bedeutete: seit drei geschlagenen Tagen wartete Anne darauf, dass dieses „morgen“ endlich zu „heute“ wurde. Und ein Ende war nicht in Sicht.

      „Aha, du willst ihn also morgen ansprechen! Weißt du auch schon, was du zu ihm sagen wirst?“, sagte sie und dachte dabei: „Weiß ich denn nicht, mit wem ich rede?“

      „Nein“, antwortete Sammy unbekümmert. Anne nickte und dachte: „Doch, ich weiß es!“

      Sammy hatte noch nie richtig einen Schwarm gehabt. Jungs in ihrem Alter waren ihr meist zu dumm und naiv, die schon etwas älteren waren widerlich, da überreif. Insgeheim dankte Anne Gott dafür, dass ihr wohl gehüteter Schatz in dieser Hinsicht extrem wählerisch war. Allerdings konnte ihre Tochter natürlich nicht bis in alle Ewigkeit auf den „Richtigen“ warten und musste sich optimalerweise für einen Mann entscheiden. Man konnte sich nicht vorstellen, wie sehr Anne sich gefreut hatte, als sie den Namen Matt Sevans das erste Mal gehört hatte. Da wusste sie aber nicht, dass dieser Name in diesem Haus laufen würde, wie eine, von einem kaputten Plattenspieler gespielte, genau in einer Rille feststeckende Schallplatte.

      Sammy wunderte sich natürlich, was denn in ihre Mutter gefahren war. Als sie ihr zum ersten Mal von diesem anbetungswürdigen Jungen erzählte, hatte sie sich ehrlich gefreut – das hatte sie gespürt. Anne wollte alles von Matt wissen und durchbohrte Sammy mit unnötigen Fragen: wo er denn herkomme, wie er denn aussehe, ob er denn nett sei. Und schon bei Frage drei musste ihre Tochter gestehen, dass sie keine Ahnung hatte. Ab den nächsten zwei Tagen drängte sie Sammy schließlich dazu, doch mal mit diesem scheinbar so bezaubernden Jungen ins Gespräch zu kommen. Das wollte nicht fruchten, einfach, weil Töchterchen sich nicht zum Reden überwinden konnte. Sie erzählte ihr gerne von ihm, sein makelloses Aussehen, seine mysteriöse Erscheinung, alles was man zum Schwärmen brauchte. Anne sagte ihr, dass sie ihn kennen lernen sollte, bevor diese Gefühle verflogen waren, was natürlich zeigte, dass Eltern keine Ahnung haben. Matt würde für sie immer so ein unerreichbares Wesen bleiben.

      Ab Tag drei war Anne allerdings nicht mehr so begeistert von dem Klang dieses Namens. Sie hörte nicht mehr zu, wenn Sammy von ihm sprach