Kirsten Klein

Marder Alarm! Ein mörderischer Sommer


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ruft Sammy und strahlt übers ganze Gesicht. "Das ist aber nett, dass Du mich mit deinem neuen Frauchen besuchst, obwohl es dir offensichtlich ausgezeichnet geht." Der Rüde begrüßt Sammy überschwänglich, lässt sich von ihm knuddeln und folgt ihm bereitwillig in den Behandlungsraum, die vorwitzige Chihuahua-Hündin im Schlepptau.

      Drinnen wendet sich der Tierarzt an die Begleiterin. "Schön, dass Bruno bei Ihnen ein neues Zuhause gefunden hat. Er hat es sich aber auch redlich verdient." Die Mittfünfzigerin lacht herzhaft. "Das können Sie laut sagen! Guten Tag, Herr Doktor. Mein Mann und ich hoffen, dass wir so einen Prachtkerl wie ihn verdient haben. Verzeihen Sie meine Neugier", fährt sie fort. "Aber war das wirklich so, wie es die Medien rüberbringen? Hat er Sie tatsächlich vor der Komplizin dieser Einbrecher bewahrt?" "Und ob", beteuert Sammy. "Die hatte mich unter einem Vorwand von zu Hause weggelockt und wollte mir eine Betäubungsspritze verpassen." Schaudernd bei der Erinnerung daran, tätschelt Sammy den Rüden am Hals und fährt fort: "Aber du hast das nicht zugelassen, mein Junge, nicht wahr? Du bist dazwischengegangen."

      "Sie hätten ihn bestimmt auch gern genommen", vermutet die Frau, mit fast schuldbewusstem Unterton in der Stimme. "Und jetzt hab ich ihn Ihnen weggeschnappt."

      Seufzend streicht Sammy über Brunos Kopf, beteuert dann aber: "Das ist schon okay so, Frau..." "Reimann." "Frau Reimann – er kam ja von einer Tierschutzvereinigung und musste laut Vertrag erst mal zu denen zurück. Außerdem...", fährt er lächelnd fort, wobei sein Blick auf Lady fällt, "...ist es fraglich, ob diese kleine Fellnase damit einverstanden gewesen wäre. Sie ist nämlich ziemlich kapriziös und wird leicht eifersüchtig."

      Gegen diese Unterstellung protestiert Lady lauthals und übertönt damit den Klingelton von Sammys Smartphone, das auf einem niedrigen Schränkchen liegt. Flugs hüpft sie hinauf, nimmt es und bringt es dem Tierarzt.

      "Meine neue Assistentin", erklärt der grinsend der verblüfften Frau Reimann und versucht, sich seinen Unmut nicht anmerken zu lassen, als er die Nummer auf dem Display erkennt. Sich entschuldigend, tritt er beiseite und fragt: "Was ist?" "Ich will nur sagen, dass ich dir heute nicht assistieren kann", berichtet Sophia vom anderen Ende der Leitung. "Hab mir womöglich 'nen Bänderriss zugezogen und muss zum Arzt." Sammy, immer noch geladen, hört kaum zu. "Okay", entgegnet er knapp, unterbricht die Verbindung und fragt Frau Reimann, was er für sie und Bruno tun könne. "Seine nächste Impfung ist fällig", antwortet sie. "Und vorher sollte man doch eine Wurmkur machen, oder?" "Ganz recht", bestätigt Sammy, entnimmt seinem Arzneischrank eine kleine Schachtel und reicht sie Frau Reimann. "Das verstecken Sie in irgendwas besonders Leckerem, am besten in Leberwurst."

      Lady stellt sich auf die Hinterbeine und stupst ihren großen Freund an. "Lass dich nicht so schnell austricksen, sondern spuck' die Tablette gleich wieder aus. Dann kriegst du bestimmt noch mal was von der Leberwurst." "Prima Tipp", freut Bruno sich schwanzwedelnd. "Gibt es das zur Impfung auch? Ich meine, als kleine Entschädigung dafür, dass ich die über mich ergehen lassen muss –, obwohl ich ihn vor einer Spritze bewahrt habe." "Das kannst du doch nicht miteinander vergleichen", protestiert Lady. "Die Impfung soll dich vor Krankheiten schützen. Außerdem...", fügt sie hinzu, "ist es gar nicht schlimm. Sammy kann sehr gut impfen." Bruno staunt. "Als Tierarzt-Assistenzhund weiß ich so was", erklärt Lady, "weil die Menschen hier oft darüber reden. Sammy gibt eigentlich jedem nach der Impfung ein Leckerli, allerdings keine Leberwurst."

      Frau Reimann hat sich unterdessen bedankt und die Schachtel eingesteckt. Da fällt ihr plötzlich noch etwas ein. "Oh, bevor ich's vergesse..." Lady horcht auf. Was kommt jetzt? Diese Frau scheint ja ganz okay zu sein, aber all die üblen Erfahrungen in der Vergangenheit haben das Misstrauen der Hündin Menschen gegenüber geschürt.

      "Ich habe gehört, dass Sie einen Tiernotrettungs-Verein gründen", fährt Frau Reimann fort. Als Sammy das nickend bestätigt, fragt sie: "Haben Sie schon einen Fahrer für den Rettungswagen?" Der Tierarzt verneint und gesteht ein, daran noch gar nicht gedacht zu haben.

      Ein Leuchten geht über Frau Reimanns Gesicht. "Ich kann Ihnen einen empfehlen, und zwar meinen Mann. Er war Fernfahrer, wissen Sie, und weiß einfach gar nichts mit sich anzufangen, seitdem er in Rente ist. Unter uns gesagt..." Vertraulich legt sie eine Hand auf Sammys Unterarm und blickt sich um, als wolle sie sich vergewissern, dass sonst niemand im Raum ist. "Er geht mir entsetzlich auf die Nerven mit seiner ständigen Leichenbittermiene."

      Sammy ist begeistert. "Das wäre wirklich prima! Ich fürchte nur..." Er stockt, doch Frau Reimann scheint seine Gedanken lesen zu können und hilft ihm aus der Verlegenheit. "Ich weiß schon, was Sie sagen wollen, machen Sie sich mal wegen der Bezahlung keine Sorgen", versichert sie. "Er fährt selbstverständlich ehrenamtlich, wird froh sein, dass er wieder etwas zu tun hat. So wie ich ihn kenne..." Lachend unterbricht sie sich selbst", ...wird er dem Verein noch was spenden wollen – aus lauter Dankbarkeit dafür, dass er endlich was Vernünftiges mit seiner Zeit anfangen kann."

      Erleichtert atmet Sammy auf. "Na, dann... Das wäre wirklich super. Er ist uns herzlich willkommen!" Frau Reimann zwinkert ihm zu. "Sie müssen es ihm ja nicht unbedingt sagen, aber mir täten sie damit auch einen großen Gefallen. Ach übrigens..." Plötzlich wird sie ernst und verzieht das Gesicht. "Ich hoffe, dieser schreckliche Kerl, dieser – Sie wissen schon –, ist inzwischen zu einer gerechten Haftstrafe verurteilt worden." Sammy zuckt mit den Schultern. "Wie man's nimmt – unter zehn Jahren, weil man ihm offenbar nicht nachweisen konnte, dass der Mord an seinem Komplizen keine Notwehr war."

      Wenn die Rede von Anton ist, kann Lady sich ein Knurren nicht verkneifen. Und wie so oft, wird es auch diesmal von den Menschen fehlinterpretiert. "Jetzt scheint sie tatsächlich eifersüchtig zu werden", meint Frau Reimann und verabschiedet sich umgehend. Sammy ist es recht, denn draußen warten noch andere Patienten.

      2

      Der junge Mann wimmert, als erleide er Höllenqualen. Das erzeugt einen ebenso erstaunten wie mitleidvollen Blick seines deutlich älteren weiblichen Gegenübers. "Denken Sie gerade daran, welche Schmerzen Sie empfanden, als der Keiler seine Hauer in Ihre Lenden bohrte, Anton?"

      Der Gefragte wirkt wie geistig abwesend. Jedenfalls verneint er auffallend spät, dann aber umso entschiedener. "Nein, nein. Ich hab plötzlich wieder die Hiebe gespürt." "Hiebe?" "Ja", erwidert Anton, verzieht das Gesicht zur Grimasse und verleiht seiner Stimme einen kindlichen Ton. "Jeden Abend, wenn mein Al... wenn Papa nach Hause gekommen ist, hat er seinen Frust, den er auf der Arbeit einstecken musste, an mir ausgetobt und mich mit dem Ledergürtel verdroschen. Abendessen? Von wegen, nicht mal Zuckerbrot hat's gegeben, nur Hiebe, lauter Hiebe." Er bricht in herzzerreißendes Schluchzen aus. "Und ich war doch noch nicht mal vier Jahre alt!"

      Nur mühsam kann Dr. Schwartz den Impuls unterdrücken, ihm eine Hand auf den muskulösen Unterarm zu legen. "Lassen Sie ihn ruhig heraus, Ihren Schmerz", sagt sie sanft. "Und auch Ihre Wut. Lassen Sie alles fließen."

      Das lässt Anton sich nicht zweimal sagen. Sturzbachartig schießen ihm Tränen aus den Augen. Es klappt prima, denn vorsorglich hat er etwas Pfeffer in die Hosentasche gesteckt. Den reibt er sich nun unauffällig in die Bindehaut und denkt an Sophia. Beides schürt gewaltig seinen Hass auf sie.

      Dabei wäre das gar nicht nötig. An aufgestauter Wut mangelt es ihm wirklich nicht. Sie erhält ihn am Leben. Für jeden anderen wäre der Wildschweinangriff tödlich verlaufen. Aber nicht für Anton! Er hat noch eine Rechnung offen mit Sophia. Sie ist schuld, schuld an allem – auch daran, dass er seinen armen Augen solche Schmerzen zufügt! Wenn sie und ihr verdammtes Viehzeug ihn nicht in den Knast gebracht hätten, wäre das unnötig! "Ahhh!", brüllt er aus voller Kehle, droht dabei die Kontrolle über sich zu verlieren und springt der Gefängnispsychologin fast auf den Schoß. Unwillkürlich weicht sie zurück. "Herr Rosen..."

      Diese Anrede sowie der Blick in ihr erschrockenes Gesicht lassen bei Anton die Alarmglocken schrillen. Er beherrscht sich und beißt so fest die Zähne zusammen, dass es knirscht und der Schmerz nun auch noch durch seinen Kiefer rast. Herr Rosen – so hat sie ihn seit drei Sitzungen nicht mehr genannt. Wenn er daran denkt, wie anstrengend es für ihn war, ein Vertrauensverhältnis zu ihr aufzubauen... Nein, das darf er nicht aufs Spiel setzen! "Bitte entschuldigen Sie,