das Schiff so groß sei, dass auch ein bewegtes Meer keine negativen
Effekte bei ihm aufkommen lassen würde, war er endgültig zur Zustimmung bereit.
Morgen ging es los. Die beiden hatten geplant, eine Woche auf der Insel zu verbringen. Eine Woche ohne Anrufe aus dem Büro und in absoluter Abgeschiedenheit von den kriminellen Vorfällen rund um Quimper. Paul Chevrier, sein Partner und Freund, hatte ihm versprochen, ihn zu informieren, falls seine Anwesenheit unausweichlich werden sollte. Ewen konnte sich auf seinen Kollegen verlassen, daran gab es keinen Zweifel. Bestimmt würde Paul auch seine Nachfolge antreten, wenn er selbst in den nächsten Jahren in Pension gehen würde.
Paul war seit geraumer Zeit damit beschäftigt, seine Tätigkeit in Quimper zu überdenken. Davon wusste Ewen jedoch noch nichts. Seitdem Paul Alice Branilec kennengelernt hatte, wuchs sein Wunsch, nach Brest versetzt zu werden. Nur Ewen hielt ihn noch in Quimper zurück. Von Alice konnte er nicht fordern, dass sie nach Quimper zog. Ihrer Tätigkeit in der Abteilung Cybercriminalité konnte sie nur in Brest nachgehen, die Abteilung hatte dort ihren Sitz. Paul wollte seinen Freund Ewen auf keinen Fall in Quimper alleine zurücklassen. Sobald Ewen aber in Pension gehen würde, stünde einem Wechsel des Dienstortes nichts mehr im Wege.
In den letzten Tagen war es ruhig im Kommissariat. Die Morde von Locronan waren aufgeklärt, die Menschen in dem Wallfahrtsort konnten wieder friedlich schlafen. Nourilly, der Chef der police judiciaire, hatte alle Hände voll zu tun mit den Pressekonferenzen und den Interviews der lokalen Fernsehsender. Breizh TV, der bretonische Kanal, France 3 aber auch die überregionalen Sender berichteten schon seit Tagen von der inzwischen aufgeklärten Bluttat. In den Augen der Presse war es eine unfassbare Mordserie. Drei Menschen mussten sterben, weil ein ehemaliger Bürgermeister unbedingt verhindern wollte, dass an dem Ablauf der Wallfahrt, den Pardons von Locronan, etwas geändert wurde.
Die Auflösung der Morde war eine Meisterleistung von Ewen Kerber, auch wenn Kommissar Zufall ihm zu Hilfe geeilt war.
„Und, Ewen, hast du schon alle Vorbereitungen für den Urlaub auf Groix erledigt?“, fragte Paul seinen Freund, als er dessen Büro betrat.
„Da gibt es von meiner Seite nicht viel vorzubereiten, Paul. Carla hat bereits alles zusammengesucht, was wir an Kleidung mitnehmen werden. Wetterfeste Kleidung dürfte das Wichtigste sein. Für eine Woche benötige ich nicht viel. Etwas Wäsche, zwei Jeans, eine zum Wechseln, falls wir einmal nass werden sollten, T-Shirts und einen warmen Pullover. Vielmehr brauche ich nicht. Wir gehen schließlich zum Wandern und nicht auf eine Modenschau.“
„Ich habe auch weniger an deinen Koffer gedacht, Ewen. Ich meinte eher deine mentale Vorbereitung. In den nächsten Tagen soll der Wind deutlich auffrischen. Du weißt was das bedeuten kann?“
„Auffrischen, der Wind soll auffrischen? Wie stark soll er denn werden?“
„Nun, er wird nicht gerade Orkanstärke erreichen, aber im Wetterbericht gestern hieß es, dass es bis zu Windstärke sechs kommen kann. Aber bis ihr morgen fahrt, kann sich das Wetter schon wieder geändert haben.“
„Das ist das Gute an unserem bretonischen Wetter. Man kann sicher sein, dass es sich schnell wieder ändert. Allerdings, planen lässt sich damit nicht sehr gut.“
„Habt ihr euch ein schönes Hotel ausgesucht für die Woche?“
„Carla hat das erledigt. Sie hat das Hotel Ty Mad, direkt am Hafen von Port Tudy, ausgesucht. Es ist ein Hotel mit zwei Sternen. Das reicht uns bestimmt für die eine Woche. Wir haben ein Zimmer mit Sicht zum Hafen bekommen. Wir brauchen kein Taxi, um ins Hotel zu gelangen, das ist ein Vorteil. Ich habe mir angesehen, was über das Restaurant geschrieben worden ist, das Essen ist mir wichtiger als das Zimmer. Es scheint alles in Ordnung zu sein, die Kritiken sind gut.“
„Dann ist ja alles in bester Ordnung. Hoffen wir, dass die Wetterfrösche sich geirrt haben.“
„Hoffen wir es!“
Paul verließ das Büro und Ewen beugte sich wieder über die lästigen Formulare, die es, für die von Nourilly gewünschte Statistik, auszufüllen galt. Eine absolut unnötige Arbeit aus seiner Sicht. Dumme Fragen wie zum Beispiel: Wie viele Tage haben Sie an der Aufklärung gearbeitet? War die Unterstützung durch das Kommissariat ausreichend? Welche Verbesserungen sollten wir einführen? Welche Kosten sind durch die Ermittlungsarbeit entstanden? Wären diese Kosten durch eine bessere Koordination vermeidbar gewesen? Solche und ähnliche Fragen wollte der Chef beantwortet haben, um seine Auswertungen bezüglich der Kostenminimierung und der eventuellen Neuausrichtung der einzelnen Abteilungen zu erstellen. Ewen schien das eine Zeitvergeudung. Er füllte diese Formulare auch nur in den Zeiten aus, in denen gerade keine Ermittlungsarbeiten anstanden.
Langsam rückte der Feierabend näher und Ewen begann seinen Schreibtisch aufzuräumen. Dann machte er sich auf den Weg nach Hause. Er nahm sein Jackett vom Besucherstuhl, zog es an und verließ das Zimmer, nicht ohne nochmals seinen Blick durch das Büro schweifen zu lassen, um sicherzugehen, dass er auch nichts vergessen hatte. Dann zog er die Bürotür zu. Ein absolut sicheres Zeichen für jeden im Kommissariat, dass Ewen Kerber in Urlaub ist. Üblicherweise stand seine Tür offen.
„Bis nächste Woche, Paul! Du vergisst nicht, was du mir versprochen hast?“
„Nein, Ewen, bestimmt nicht. Sollte es ohne dich nicht mehr weitergehen, werde ich dich sofort anrufen.“
„Grüß mir bitte Alice, die ich immer noch nicht kennenlernen durfte.“
„Steht schon auf meiner Agenda, Ewen. Grüß du mir Carla, und erholt euch gut.“
Ewen nickte und machte sich jetzt endgültig auf den Heimweg.
Kapitel 2
Die Fahrt nach Lorient am nächsten Morgen verlief problemlos. Sie mussten schon sehr früh losfahren, die Fähre verließ wenige Minuten nach acht Uhr den Hafen von Lorient. Ihrer Buchung hatten sie entnommen, dass sie 40 Minuten vor der Abfahrt vor Ort sein sollten. Von Quimper bis nach Lorient benötigten sie etwa eine dreiviertel Stunde, so dass Ewen entschieden hatte, viertel nach sechs loszufahren.
Sie stellten ihren Wagen in eine Parklücke auf dem öffentlichen Parkplatz, in der Rue Gilles Gahinet. Damit ersparten sie sich die Kosten für den bewachten Parkplatz am oberen Ende der Straße. Die Gebühren waren dort hoch, zwanzig Euro für die ersten zwei Tage. Wie hoch die Kosten für eine Woche waren, wusste Ewen nicht. Aber durch ihre frühe Ankunft fanden sie einen Platz auf dem öffentlichen Parkplatz und konnten sich diese Kosten also sparen. In der Nebensaison war auch der andere Parkplatz kostenlos, aber ihre Fahrt fiel gerade noch in die Hauptreisezeit.
Das Schiff, Le Saint Tudy, lag bereits am Pier, und die Vorbereitungen für die Überfahrt waren in vollem Gange. Zwei LKW standen auf der Wartespur für die Fahrzeugverladung, und sieben PKW parkten daneben. Ewen und Carla betraten die Vorhalle des Gare Maritim und gingen an einen freien Schalter. Carla, die die Buchung Online getätigt hatte, reichte der Dame hinter dem Schalter ihre Reservierung und erhielt von ihr die Fahrkarten und einige Broschüren über die Insel. Ewen sah auf die Uhr und fragte sich, warum sie so früh hier sein mussten. Sie hatten jetzt noch beinahe eine halbe Stunde Zeit, bis sie an Bord gehen konnten.
Der Wartesaal war noch nicht sehr belebt, als Ewen mit Carla durch die automatische Glastür in den Raum trat. Sie suchten sich einen Platz am Fenster, und Ewen betrachtete das Schiff. Er schätzte die Länge des Schiffes auf mehr als 40 Meter. Die Breite konnte er nicht gut einschätzen. Aber 10 bis 11 Meter konnten es schon sein. Dann fiel ihm der Prospektständer auf. Er erhob sich und ging auf den Ständer zu. Ein Prospekt der Compagnie Océane steckte darin. Ewen zog ein Exemplar heraus und öffnete es. Da standen alle Daten zu den beiden Schiffen der Gesellschaft. Die Länge betrug 44,5 Meter und die Breite 11 Meter. Das zweite Schiff, die Ile de Groix, war etwas größer, 46 Meter lang und 12 Meter breit. Die Kapazität, den Transport von Fahrzeugen betreffend, war bei dem größeren Schiff deutlich höher. Anstelle von 20 PKW konnten 32 geladen werden. Die Geschwindigkeit von 12 Knoten war für beide gleich.
Ewen