Jean-Pierre Kermanchec

Die schwarzen Männer


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war die Führung einer Dienststelle wichtiger als die Kleinarbeit in den Niederungen der Routinearbeit, schien der Gipfel der Freude erreicht zu sein.

      „War das der Chef?“, fragte Quinnec und sah Paul schelmisch an. Er hatte während des Gesprächs das Mienenspiel in Pauls Gesicht verfolgen können.

      „Ja, das war Nourilly. Er wollte lediglich wissen, ob er schon die Presse informieren soll.“

      „Die Presse! Die fehlt mir gerade noch. Die tauchen noch früh genug hier auf.“

      „Wie wollen Sie weiter vorgehen?“ Paul lenkte das Gespräch wieder auf die anstehenden Entscheidungen.

      „Wir müssen zuerst wissen, wie viele Geiselnehmer im Geschäft sind und wie Sie bewaffnet sind. Wichtig ist auch zu wissen, wie viele Geiseln sich da drinnen aufhalten.“

      „Der festgenommene Fahrer kann uns doch die Fragen beantworten. Der Mann sitzt in unserem Einsatzfahrzeug.“ Jugo Kerhat mischte sich jetzt wieder ins Gespräch ein.

      „Gute Idee! Versuchen wir es, hoffentlich stellt sich der Mann nicht taub und verweigert jegliche Auskunft.“

      Serge Quinnec und Jugo Kerhat gingen gemeinsam zum großen Einsatzfahrzeug der Gendarmerie. Die Schiebetür an der Seite des Wagens wurde aufgeschoben und gab den Blick auf den zusammengekauerten, mit Handschellen gefesselten Mann auf der Sitzbank frei. Er machte nicht den Eindruck eines eiskalten Verbrechers, viel eher schien es Serge, als sei der Mann zum ersten Mal in eine Straftat verwickelt.

      „Serge Quinnec, ich leite hier den Einsatz“, stellte er sich vor, als er dem Mann gegenüber Platz genommen hatte.

      „Wie heißen Sie?“

      „Maurice, Maurice Colbert.“

      „Also Maurice, wir haben hier eine sehr ernste Situation. Deine Kumpels haben vermutlich eine Geisel erschossen oder schwer verletzt, sie halten weitere Geiseln in ihrer Gewalt, und wie es aussieht, werdet ihr alle wegen des Raubüberfalls, der Geiselnahme und des versuchten oder ausgeführten Mordes vor Gericht gestellt werden. Die Strafe für diese Verbrechen wird bestimmt in der Gegend von lebenslänglich liegen. Du hast die Chance, deine Situation etwas zu verbessern, falls du mit uns zusammenarbeiten willst.“

      „Aber ich habe doch gar nichts gemacht! Ich sollte doch nur den Wagen fahren. Ich habe niemanden erschossen und auch keine Geisel genommen.“

      „Mitgefangen, mitgehangen, Maurice, das Gesetz macht da keinen Unterschied.“

      „Aber wie kann ich Ihnen helfen, ich habe doch keine Ahnung?“

      „Sie könnten uns zum Beispiel sagen, wie viele Männer in dem Geschäft sind.“

      „Wir sind zu viert gewesen. Drei sind in den Laden gegangen.“

      „Wie sind die Männer bewaffnet?“

      „Jeder hat eine Pistole, aber ich kann Ihnen nichts über die Waffen sagen. Ich kenne mich damit nicht aus.“

      „Sie wissen nicht zufällig, wie viele Geiseln in dem Geschäft sind?“

      „Nein, ich bin nicht reingegangen. Ich habe im Wagen gesessen und sollte sofort losfahren, wenn sie wieder rauskommen.“

      „Gibt es jemanden der das Kommando führt?“

      „Klar, das ist Denis, Denis Maubert, der ist eiskalt!“

      „Wie heißen die anderen beiden?“

      „Jules Fucauld und Marc Gourand. Die haben mit Maubert in Brest eingesessen. Sie kennen sich schon seit Jahren.“

      Serge Quinnec nickte, so als wollte er zum Ausdruck bringen, dass er die Männer gut kannte. Er notierte sich die Namen und verließ den Einsatzwagen.

      Kapitel 4

      Ewen Kerber war jetzt bereits seit fünf Tagen auf der Insel Groix. Langsam bekam er den Eindruck, schon seit Monaten hier zu sein. Er hatte mit Carla die Insel in ihrer Gesamtheit umrundet, die meisten Weiler besucht, die herrlichen weißen Strände mit dem feinen Sand genossen und verschiedene Mineralien gefunden. Ewen war von diesem fantastischen weißen Sand am Plage Grands Sables besonders beeindruckt. Er war sicher, dass es in ganz Frankreich keinen helleren Sand als diesen hier gab. Aber langsam wurde ihm die Insel nun doch zu klein. Seit gestern hatte er den Eindruck, alles schon gesehen zu haben, wie zum Beispiel das kleine Granithaus mit der blauen Tür und dem roten Briefkasten. Ewen war sicher, diese Tür schon einmal gesehen zu haben, während Carla ihn zu überzeugen versuchte, noch nie an dem Ort gewesen zu sein. Schließlich hatten sie heute einen ganz anderen Weg als an den Vortagen genommen.

      Ihre Abende spielten sich weitgehend rund um den Port Tudy und Le Bourg ab. Wenn sie ihren Aperitif einnehmen wollten, und Ewen bestand auf seinen gewohnten Appetitanreger, suchten sie meistens ein Lokal rund um den Hafen oder im Ortszentrum von Le Bourg auf. Den Thunfisch auf der Kirchturmspitze hatte er von allen Seiten betrachtet und fotografiert. Langsam wurde es Zeit, wieder aufs Festland zu fahren. Der Urlaub war morgen auch vorbei. Für die Rückfahrt hatte Carla die Fähre am Nachmittag gebucht, so dass sie spätestens gegen 17 Uhr 30 wieder in Quimper sein würden.

      Vom Port Saint-Nicolas aus waren sie heute der Küstenlinie gefolgt und besuchten das Höllenloch, le Trou de l´Enfer. Von hier aus wollten sie in Richtung Le Bourg und Port Tudy weitergehen. Das Wetter hatte die ganze Woche über ein Einsehen mit ihnen gehabt. Weder beständiger Regen noch heftige Winde hatten ihren Urlaub getrübt. Zwei Mal hatte es morgens etwas geregnet, aber bereits nach einer Stunde schien die Sonne wieder.

      Ewen fühlte sich sehr gut erholt, auch Carla schienen die Tage gut bekommen zu sein. Sie war ein wenig sonnengebräunt und strahlte Zufriedenheit aus.

      „Was machen wir morgen, mein Schatz?“, fragte sie ihren Mann, als sie in Sichtweite des Kirchturms mit dem Thunfisch kamen.

      „Mein Vorschlag ist, dass wir uns am letzten Tag nicht verausgaben. Lass uns eine kleine Tour aussuchen, die uns nicht zu weit vom Hafen entfernt. Ich habe vorgestern den kleinen Hafen Port Lay von der Höhe aus betrachtet, wir sind daran vorbeigekommen. Vielleicht können wir uns den etwas genauer ansehen?“

      „Aber Ewen, der ist so klein, da haben wir in einer halben Stunde jedes Haus ausführlich betrachtet. Wir könnten schon etwas mehr einplanen.“

      „Ich war ja auch nicht der Meinung, dass wir nur den kleinen Hafen besuchen sollten. Wir könnten auch noch den Menhir l’apéritif besuchen.“

      „Ein Menhir der Aperitif heißt?“

      „Ja, ich habe davon gelesen. Der Menhir ist umgefallen, aber er hat wohl eine Höhe von 5,7 Metern gehabt. Man sagt, dass er den Fischern als Navigationspunkt gedient hat, wenn sie den Port Tudy angesteuert haben. Dank des Menhirs konnten sie ihre Boote genauer und schneller in den Hafen manövrieren und waren so früher zu Hause.“

      „…und konnten den Aperitif schneller einnehmen?“, meinte Carla ergänzend.

      „Vielleicht hat er dadurch seinen Namen erhalten“, antwortete Ewen.

      „Ewen, ich glaube, wir sollten in Quimper einen Menhir aufbauen, damit auch du den Weg schneller nach Hause findest.“ Carla lachte, während Ewen ein nachdenkliches Gesicht machte.

      „Wir können den Menhir gerne besuchen, Ewen“, meinte Carla, als sie bereits die Straße hinunter zum Hafen gingen und an dem kleinen, alten Zollhaus, gegenüber von ihrem Hotel, vorbeikamen.

      „Wir können unseren Aperitif heute im Hotelgarten einnehmen, was hältst du davon?“

      „Eine sehr gute Idee, Carla, der Garten ist schön ruhig und sonnig.“

      Sie betraten das Hotel und nahmen ihren Zimmerschlüssel vom Brett. Die Rezeption war unbesetzt, was Ewen irritierte. Jeder konnte sich einen Zimmerschlüssel schnappen und in aller Ruhe ein Zimmer durchstöbern? Die Vorstellung behagte ihm überhaupt nicht. Ansonsten war er mit dem Hotel ganz zufrieden. Das Essen entsprach seinen