Jean-Pierre Kermanchec

Die schwarzen Männer


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      „Ist das sehr interessant?“, fragte sie ihn.

      „Ich interessiere mich eben für unser Schiff. Ich möchte informiert sein über seine Größe, Geschwindigkeit und Zuladung. Es kann doch nicht schaden, wenn ich mich damit beschäftige?“

      „Nein, Ewen, schaden kann es nicht, aber du könntest dich vielleicht auch für mich interessieren. Auch das könnte nicht schaden, was meinst du?“

      Ewen fühlte sich ertappt und legte den Prospekt sofort zur Seite.

      „Aber natürlich interessiere ich mich für dich, mein Schatz“, sagte er, nahm seine Frau zärtlich in den Arm und drückte ihr einen liebevollen Kuss auf den Mund.“

      Als der Ausgang geöffnet wurde, strömten die Passagiere in Richtung des Schiffes. Bestimmt waren es an die 200 bis 300 Menschen, die inzwischen im Warte-saal ausgeharrt hatten.

      Ewen nahm ihren Koffer und marschierte mit Carla in Richtung der wartenden Fähre. Die Fußgänger betraten den großen Laderaum des Schiffes und stiegen sofort die Treppe nach oben, während die Fahrzeuge langsam an ihnen vorbei auf das Parkdeck fuhren. Noch lag das Schiff ruhig am Pier, und Ewen registrierte keinerlei Schwankungen. Wenn es dabei bleibt, würde die Überfahrt bestimmt unproblematisch werden. Die Fahrt nach Ouessant, vor der er enormen Respekt gehabt hatte, wegen der überall beschriebenen gefährlichen Fromveur-Strömung, war damals sehr gut verlaufen. Außerdem dauerte die heutige Fahrt lediglich fünfzig Minuten.

      Carla suchte für sie beide einen Platz auf dem offenen Deck, um etwas mehr von der herrlichen Landschaft zu profitieren. Jetzt am frühen Morgen war die Luft noch recht frisch, und sicherlich würde der Wind deutlich zunehmen, wenn das Schiff erst auf dem offenen Meer fuhr. Sie waren beide warm bekleidet, so dass die Temperatur ihnen im Augenblick nichts anhaben konnte.

      Pünktlich um acht Uhr wurden die mächtigen Taue, die das Schiff am Pier gehalten hatten, gelöst und eingezogen, und das Schiff nahm Fahrt auf. Der Hafen von Lorient ist der größte Fischereihafen der Bretagne, und so lagen jetzt zahlreiche Fischkutter, die die Nacht über auf dem Meer waren, an den Molen und löschten ihre Ladung.

      Die Saint Tudy glitt sanft an ihnen vorbei. Ewen stellte sich an die Reling und betrachtete die Bugwelle, die das Schiff erzeugte. Eine Segelyacht, die vom Meer zurückkam und in Richtung des Hafens fuhr, wurde von den Wellen kräftig angehoben. Ewen war heilfroh, dass er nicht auf dem Segelboot sein musste. Diese Bewegungen wären bestimmt schon zu viel für seinen Magen gewesen. Jetzt kam der erste der drei mächtigen U-Boot-Bunker von Lorient ins Blickfeld. Die Nazis hatten sie errichtet, und sie dienten den deutschen U-Booten während des zweiten Weltkrieges als Schutz vor den alliierten Bombenangriffen. Der Bunker K3, so hatte Ewen in einer Fernsehsendung gehört, besaß eine sechs Meter dicke Betondecke, die anderen beiden hatten lediglich drei Meter Beton zu ihrem Schutz. Die Stadt Lorient war während des Krieges praktisch ausradiert worden, aber die Bomben hatten an den Bunkern so gut wie keinen Schaden angerichtet. Die französische Marine nutzte sie bis in die neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts noch für ihre U-Boote. Jetzt waren die Bunker zu einem Museum umfunktioniert worden. Teile wurden als überdachte Liegeplätze für diverse Yachten genutzt oder dienten zahlreichen Firmen als Lager, Werkstätten und Fabrikräume. Die enorme Größe dieser Anlagen erlaubte es, dass hier sogar Tri- und Katamarane für die Wettrennen über den Atlantik gebaut werden konnten.

      Auf der anderen Schiffsseite kam Vaubans gewaltige Festung Port Louis näher. Ewen kannte die Festung von früheren Besuchen. Sie beherbergt das Museum der indischen Kompanie, das er mit Carla an einem Sonntag besucht hatte. Es war absolut sehenswert. Die hohen Mauern erschienen Ewen von See aus noch mächtiger. Langsam kamen sie aufs offene Meer hinaus. Der Wind frischte nur unwesentlich auf, und das Schiff glitt ruhig durchs Wasser. Nach einer knappen halben Stunde kam auch schon die Île de Groix in Sicht. Schon vom Weitem konnte Ewen die Hafeneinfahrt mit dem rotweißen Leuchtturm auf der linken Seite der Hafeneinfahrt erkennen. Als sich das Schiff der Einfahrt näherte, reduzierte es seine Geschwindigkeit und passierte die, aus Ewens Sicht, sehr enge Einfahrt. Vorsichtig wurde es an die Kai-Mauer bugsiert und vertäut.

      „Na, war das jetzt so schlimm?“, fragte Carla ihren Mann, während sie die Treppe nach unten stiegen und das Schiff verließen.

      „Die Herfahrt nicht, hoffen wir, dass die Rückfahrt auch so gut verläuft.“

      „Ach Ewen, kannst du nicht einfach nur entspannen. Lass uns jetzt die Tage auf Groix genießen. Du wirst sehen, es wird dir gut gefallen.“

      Sie gingen über die recht breite Kaimauer und folgten dann der Straße in südliche Richtung. Ihr Hotel lag genau vor ihnen. Nach nur wenigen Metern hatten sie es erreicht. Der Innenhof diente als Parkplatz für die Gäste, die mit eigenem Fahrzeug auf die Insel kamen, und dem Hotelbesitzer. Im hinteren Bereich, links neben dem Eingang, sah Ewen eine recht nett angelegte Terrasse mit Tischen und Stühlen für die Gäste. Bestimmt konnten sie hier ihren Aperitif einnehmen.

      Die Anmeldung war schnell erledigt, die Zimmer leider noch nicht zu beziehen, was nicht weiter tragisch war. Sie stellten ihren Koffer ab und starteten sofort zu einem ersten Erkundungsgang.

      Sie entschieden sich für den Weg nach Osten, der über dem Hafenbecken verlief und einen freien Blick auf die Küste und Lorient gestattete. Ewen war sogleich begeistert von den herrlichen Ausblicken auf den Hafen, das Festland, die sanft im Wind treibenden Segelboote und den wunderschönen Farben des Wassers, des Sandes und der südländischen Flora.

      Das Meer, das am Horizont in dunklem Azurblau leuchtete, veränderte seine Farbe mit der Annäherung an den Strand von tiefdunklem Grün über Smaragdgrün, um dann in ein zartes Hellgrün zu münden. Die sich bildenden und schnell wieder vergehenden weißen Schaumkronen der Wellen verliehen dem Ganzen eine Leichte und Lebendigkeit. Die verschiedenen Strände schienen den Wettbewerb mit dem Farbenspiel des Wassers aufnehmen zu wollen. Anstatt die üblichen hellbraunen bis gelblichen Farbtöne, die Ewen kannte, schillerten diese hier rötlich bis weiß. Das satte Grün der Bäume, der Farne und der übrigen Pflanzen gab diesen hellen Stränden ein subtropisches Antlitz. Jetzt verstand Ewen die Erzählungen von Carlas Tochter Marie, die von den Stränden geschwärmt hatte, und deren Freunde sie in der Südsee vermuteten, als sie ihnen die Bilder gezeigt hatte. Der Strand, Les Grand Sables, einer der seltenen konvexen Strände Europas, faszinierte Ewen. Sie folgten dem Küstenweg weiter, vorbei an dem Plage, Les Sables Rouges, dem roten Strand, der seine Farbe vom granathaltigen Sand erhalten hatte, und folgten dem Weg weiter in südliche Richtung, bis zur Pointe des Chats. Nach zwei Stunden hatten Ewen und Carla das Ziel, das sie sich für den ersten Spaziergang vorgenommen hatten, erreicht. Sie folgten der Küste in westliche Richtung und kamen an den kleinen Strand der Ortschaft Locmaria. Von dort aus wollte Ewen den Rückweg quer über die Insel zum Hotel antreten. Der Weg hatte sie ermüdet und hungrig werden lassen. Sie entdeckten die Crêperie, L´Ocre Marine, setzten sich auf die schattige Terrasse mit Blick aufs Meer und bestellten Crêpes und Getränke.

      Kapitel 3

      Douarnenez war mit Touristen überfüllt. Seit Jahren hatten sich nicht mehr so viele Gäste in ihren Gassen getummelt. Das herrliche Wetter sorgte dafür, dass der Zustrom von Touristen ins Finistère noch einmal kräftig angestiegen war. Die Bretagne führte die Liste der beliebtesten Ferienlandschaften der Franzosen schon seit geraumer Zeit an. Auch in diesem Jahr war die Saison sehr erfolgreich, und die Straßen, Plätze und die Promenade am Hafen waren gut besucht. Die Geschäftswelt zeigte sich zufrieden. In den letzten Wochen war der Umsatz der Boutiquen, der Bar-Tabaks, der Restaurants und der Souvenirläden auf ein neues Rekordhoch gestiegen. Schon lange war der Tourismus zu einem wichtigen Geschäftsfeld angewachsen. Die Fischerei, die im vergangenen Jahrhundert noch die treibende Kraft war, ging beständig zurück. Für Douarnenez war das bisher noch nicht so schmerzlich zu spüren, denn die weltbekannte Marke, Petit Navire, konservierte hier immer noch den Thunfisch in den kleinen blauen Dosen.

      Die Passanten schlenderten durch die Einkaufsstraßen, trugen zahlreiche Einkaufstüten mit den Logos der verschiedenen Boutiquen und achteten nicht so genau auf das Geschehen, das sich vor dem Juwelierladen