Jean-Pierre Kermanchec

Die schwarzen Männer


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meinte Ewen, als sie auf ihr Zimmer gingen, um die Wanderschuhe gegen bequemere auszutauschen. Nach wenigen Minuten verließen sie ihr Zimmer und gingen hinunter in den Garten. Zu ihrem Erstaunen war eine Bedienung im Garten und deckte einen Tisch ein.

      „Bonjour Madame, dürfen wir bei Ihnen eine Bestellung für einen Aperitif aufgeben?“, fragte Ewen die Dame.

      „Bien-sûr, Monsieur“, antwortete sie ihm.

      Ewen und Carla wählten einen Tisch in der Mitte des Gartens. Carla entschied sich für den Platz in der Sonne, Ewen wählte ein etwas schattigeres Plätzchen aus.

      „Was darf es denn sein?“

      „Für mich ein Glas Champagner“, antwortete Carla.

      „Mir dürfen Sie ein Rosé bringen“, sagte Ewen und lächelte die Frau an.

      „Sagen Sie, kann man auch im Garten das Abendessen einnehmen? Ich sehe, dass Sie einen Tisch eindecken.“

      „Die Herrschaften haben am Morgen gebeten, im Garten essen zu dürfen. Wir versuchen alle Wünsche unserer Gäste zu erfüllen.“

      „Es wird mir bestimmt zu frisch im Garten“, meinte Carla, als Ewen sie fragte, ob auch sie den Garten dem Speisesaal vorziehen würde.

      „Außerdem haben wir einen schönen Tisch am Fenster mit Blick auf den Hafen. Ich genieße den Blick sehr. Das ist für mich mehr Urlaub, als ein Essen im Garten. Zuhause essen wir so oft im Garten.“

      „Da hast du Recht, mein Schatz“, meinte Ewen.

      Ewen sah, wie an jedem Tag, auf sein Handy, ob er nicht doch einen Anruf von Paul überhört hatte. Aber kein Anruf war eingegangen. Paul schien tatsächlich ohne ihn klarzukommen. Einerseits freute er sich darüber, andererseits kam er sich dabei fast schon überflüssig vor. Aber falls er in den nächsten Jahren in Pension gehen sollte, musste Paul die Abteilung schließlich auch alleine führen können. Der Gedanke tröstete ihn, denn er hielt große Stücke auf seinen Freund. Bestimmt würde Paul ihn hin und wieder um Rat fragen, falls es einen besonders kniffligen Fall geben sollte.

      Am nächsten Morgen machten sie sich auf den Weg zu dem kleinen Hafen Port Lay.

      „Du hast gestern Recht gehabt“, meinte Ewen, nachdem sie knappe zehn Minuten durch den kleinen Hafen gegangen waren.

      „Hier ist wirklich nicht viel zu sehen. Lass uns zum Menhir gehen.“

      „Aber einen Aperitif gibt es so früh noch nicht“, lächelte Carla und sah ihren Mann verschmitzt an.

      Ewen ging auf die Bemerkung gar nicht erst ein. Sie wanderten in Richtung Le Bourg, überquerten den Platz vor der Kirche und folgten der Straße, die zu dem kleinen Ort Locmaria führte. Der Menhir stand auf einer Wiese, an der Stelle, an der sich die Straßen Locmaria Port Tudy und Le Bourg Kerohet trafen. Ewen bestaunte den umgefallenen Menhir. Danach machten sie sich auf den Weg zurück, holten ihr Gepäck im Hotel ab und schlenderten langsam zum Hafen.

      Ewen holte noch einmal sein Handy aus der Tasche und sah auf das Display, ob er auch heute keinen Anruf verpasst hatte. Aber nichts wurde angezeigt. Ewen wollte sein Handy gerade wieder in der Hosentasche verschwinden lassen, als es klingelte, und auf dem Display der Name Paul erschien.

      Kapitel 5

      Serge Quinnec telefonierte mit der Einsatzzentrale und bat um alle Informationen zu den Geiselnehmern. Der von ihm angeforderte Psychologe war bereits unterwegs. Seinen Männern gab er den Befehl, nach einer Möglichkeit zu suchen, Bilder vom Inneren des Juwelierladens zu erhalten. Kleine, einem Endoskop ähnelnde Kameras, gehörten als Basisausstattung zu ihrer Ausrüstung, genauso wie Richtmikrophone, mit denen sie versuchen konnten, Gespräche mitzuhören.

      Die Scharfschützen hatten ihre Positionen sofort nach ihrem Eintreffen eingenommen und jetzt alle Fenster und Türen im Visier. Sie hatten keinen Einblick in den Laden, es wäre auch nicht ratsam, einen der Geiselnehmer zu erschießen, falls dies überhaupt möglich wäre. Die Gefahr für die Geiseln würde sich damit enorm erhöhen. Niemand konnte wissen, wie die restlichen Verbrecher darauf reagierten. Entweder sie konnten alle gleichzeitig unschädlich machen oder keinen.

      „Es gibt ein kleines Entlüftungsrohr auf der Seite des Hauses, wir werden versuchen, dort eine Kamera hineinzuschieben, Serge.“ Serge Quinnec sah ins Gesicht eines vermummten Kollegen.

      „Sehr gut! Führt das Rohr direkt in den Laden?“

      „Das wissen wir noch nicht, es kommt auf einen Versuch an. Ist aber durchaus denkbar.“ Er entfernte sich wieder und schlich zu der kleinen engen Seitenpassage neben dem Juwelierladen.

      Serge ging zum Einsatzwagen und stellte sich neben einen Mitarbeiter, der vor einem großen Computerbildschirm saß und auf ein Signal der Kamera wartete. Jetzt tauchte ein erstes Bild auf. Die Kamera wurde durch das Rohr geführt, an dessen Ende ein heller Fleck zu sehen war. Zentimeter für Zentimeter wurde die Kamera vorwärtsbewegt. Der helle Fleck verwandelte sich langsam in ein Gitter und kam der Optik der Kamera immer näher. Vorsichtig manövrierte der Kollege den endoskopähnlichen Schlauch mit der kleinen Kamera zu einem Schlitz der Abdeckung. Dann sahen die Polizisten in das Innere des Ladens. Sie konnten die Geiseln auf dem Boden kauernd sehen und die drei maskierten Männer verteilt im Raum stehen. Jeder hielt eine Waffe in der Hand. Das eingebaute Mikrophon lieferte jedes Geräusch gleich mit.

      Gebannt sah Serge Quinnec auf den Bildschirm und versuchte, sich ein Bild von der Situation zu machen. Er versuchte, die Anzahl der Geiseln festzustellen. Hinter der Verkaufstheke lag ein Mann auf dem Boden. Vermutlich handelte es sich um das Opfer des abgegebenen Schusses vor etlichen Minuten. Auf dem Boden vor der Theke sah er drei Frauen und zwei Männer. Insgesamt waren somit fünf Geiseln in der Gewalt der Verbrecher und ein verletzter oder toter Juwelier.

      „Und wenn die Gendarmen nicht auf deine Forderungen eingehen?“, hallte es plötzlich aus dem Lautsprecher.

      „Dann müssen wir eben mehr Druck ausüben. Wir sind am Drücker, wir haben die Geiseln.“

      „Willst du wirklich alle Geiseln erschießen?“, fragte der Mann, der unmittelbar neben den Geiseln stand.

      „Was heißt alle? Wir brauchen nur eine zu töten, und schon lenken die da draußen ein.“

      „Und was ist, wenn sie das nicht tun? Was passiert, wenn sie einfach stürmen und uns alle abknallen? Ich habe keine Lust abgeknallt zu werden.“

      „Und wir sind Ihnen wohl egal?“, rief eine jüngere Frau, die unmittelbar neben dem toten Mann auf dem Boden lag.

      „Halts Maul!“, schrie der Angesprochene ihr entgegen.

      Serge Quinnec verfolgte das Gespräch aufmerksam. Die Männer im Laden begannen nervös zu werden. Das hatte er mit der Verlängerung des Ultimatums zu erreichen beabsichtigt. Mit jeder Minute erhöhte sich die Chance, dass die Geiselnehmer untereinander Zwist bekamen und letztlich aufgaben.

      „Warum willst du überhaupt Maurice freibekommen? Die Beute lässt sich besser durch drei als durch vier Leute teilen.“

      „Du Dummkopf, ich will verhindern, dass der Grünschnabel auspackt. Es ist doch besser, wenn die Bullen nicht wissen wer wir sind.“

      „Glaubst du wirklich, Denis, dass sie das noch nicht wissen? Maurice ist bestimmt bereits befragt worden. Der packt sofort aus. Seine Knie schlottern doch schon, wenn er nur einen Bullen sieht. Und wenn wir die Geiseln mitnehmen wollen, passen wir sowieso nicht in unseren Wagen. Hast du dir das überlegt?“

      „Hmmm, da hast du Recht, Jules, ich werde mir etwas einfallen lassen.“

      „Da solltest du aber schnell nachdenken. Wenn du plötzlich mit anderen Forderungen kommst, verlangen die Bullen vielleicht noch mehr Zeit. Ruf sie sofort an, los.“

      Serge Quinnec hatte für den Moment genug gehört. Er überlegte, wie er auf eine neue Forderung reagieren sollte. Der Mann hatte ihm ja schon einen Hinweis gegeben. Er konnte