die Freilassung unseres Kumpels Maurice, ein Fahrzeug und 500.000 Euro in gebrauchten Scheinen, ansonsten knallst hier, und ihr könnt jede einzelne Geisel mit einem Sarg abholen. Ihr habt eine Stunde.“
„Sagen Sie mir doch bitte, wer Sie sind, und wo wir Sie finden?“
„Seid ihr bescheuert? Wir sind in dem Juwelierladen, in der rue Duguay Trouin. Eure ganze Mannschaft steht doch vor der Tür. Was soll also die blöde Frage?“
Der Beamte in der Notrufzentrale hatte überhaupt nichts von dem Überfall mitbekommen, sein Dienst hatte erst vor wenigen Minuten begonnen. Er verband sich sofort mit den Kollegen am Tatort, übermittelte die Forderungen der Geiselnehmer und gab den Kollegen vor Ort die Telefonnummer, die auf seinem Display erschienen war.
Jugo Kerhat hörte sich an, was ihm sein Kollege aus der Notrufzentrale zu sagen hatte. Die Entscheidung, eventuell auf die Forderungen der Geiselnehmer einzugehen, lag nicht in seinem Kompetenzbereich. Die von ihm inzwischen angeforderte Verstärkung würde bestimmt gleich eintreffen. Die würden mit den Geiselnehmern verhandeln und eine Entscheidung über das weitere Vorgehen fällen. Er hatte gerade das Gespräch beendet, als ein Wagen der police judiciaire vor der Absperrung hielt und ein Beamter in Zivil ausstieg. Jugo war sicher, dass es sich um den Kommissar der Mordkommission handeln musste, die er benachrichtigt hatte, nachdem der Schuss gefallen war.
„Bonjour Monsieur, Paul Chevrier, police judiciaire, Sie haben uns informiert, dass es hier einen Toten gegeben hat, ich bin in der Nähe gewesen, die Zentrale hat mich über Funk erreicht.“
„Bonjour Monsieur le Commissaire, ja ich habe Sie informiert. Wir wissen noch nicht, ob es einen Toten gegeben hat, aber es ist ein Schuss gefallen, und da waren wir der Meinung, dass es besser ist, wenn Sie sofort dabei sind.“
„Gute Entscheidung“, sagte Paul und ließ sich über den aktuellen Stand informieren. Jugo Kerhat berichtete auch über die Forderungen der Geiselnehmer. Das herbeigerufene Einsatzkommando war inzwischen ebenfalls eingetroffen, und die Männer verteilten sich auf die umliegenden Gebäude, Hausecken, Hinterhöfe und rings um den Laden. Die Geiselnehmer konnten das Haus jetzt unmöglich ungesehen verlassen. An eine Flucht war nicht zu denken. Der Leiter des Einsatzkommandos trat zu Kerhat und Paul Chevrier.
„Haben Sie uns informiert?“
„Ganz genau, ich habe Sie um Unterstützung gebeten“, sagte Kerhat und unterstrich seine Worte mit kräftigem Kopfnicken.
„Dann übernehmen wir jetzt die weitere Kommunikation mit den Geiselnehmern. Gibt es schon irgendwelche Forderungen?“
„Ja, ich habe gerade eben gehört, dass die Geiselnehmer einen Fluchtwagen fordern, 500.000 Euro in gebrauchten Scheinen und die Freilassung von ihrem bereits verhafteten Kumpanen. Der Mann hat in dem Wagen gesessen, als wir hier eingetroffen sind. Er hat sich ohne Gegenwehr festnehmen lassen. Ich habe den Eindruck, dass der Mann nicht zu den abgebrühtesten Ganoven gehört. Wir haben eine Stunde, um die Forderungen zu erfüllen.“
„Wir sollten zuerst versuchen, das Ultimatum zu verlängern, um sie zu zermürben. Vielleicht geben sie dann auf. Wie können wir die Leute erreichen?“
„Ich habe mir die Telefonnummer des Juwelierladens geben lassen“, sagte Kerhat und reichte den Zettel an den Leiter des Einsatzkommandos, der sofort vom Einsatzwagen aus eine Verbindung zum Laden herstellte.
„Quinnec hier“, meldete er sich, als auf der anderen Seite das Telefon abgenommen wurde.
„Ich leite die Operation. Ich habe von ihren Forderungen gehört. Die erste Forderung, euren Kumpel freizulassen und euch den Fluchtwagen zu besorgen, können wir sofort erfüllen. Aber das Geld können wir nicht so schnell auftreiben. Dafür brauchen wir etwas mehr Zeit.“
„So, so, Sie brauchen mehr Zeit! Wir haben aber keine Zeit. Wenn wir das Geld nicht in einer Stunde haben stirbt eine Geisel, danach werden wir nach jeder viertel Stunde eine weitere erschießen. Haben Sie mich verstanden!“
„Sie brauchen nicht so laut zu schreien, ich kann Sie durchs Telefon sehr gut hören. Das ändert aber nichts daran, dass ich das Geld nicht in einer Stunde auftreiben kann. Eine halbe Million kann ich mir nicht aus den Rippen schneiden. Sie müssen mir wenigstens drei Stunden Zeit lassen. Dann kann das Geld hier sein. Wenn Sie jedoch auf ihrer Forderung bestehen, werden wir eben das Gebäude stürmen und den Tod einer Geisel in Kauf nehmen müssen. Da Sie sowieso geplant haben, eine Geisel zu erschießen, muss ich das wohl hinnehmen. Mehr als eine Geisel werden Sie nicht erschießen können, bevor wir Sie und ihre Komplizen erschießen. Wir sind Profis, davon dürfen Sie ausgehen.“
„Sie bluffen, Sie würden doch nie das Leben einer Geisel aufs Spiel setzen.“
„Wetten wir?“
Auf der anderen Seite blieb es stumm. Der Geiselnehmer schien nachzudenken. Serge hatte den Eindruck, dass er ihn mit seiner Aussage komplett verunsichert hatte. Serge Quinnec würde nie das Leben einer Geisel in Kauf nehmen, eine solche Haltung würde ihn sofort ins Gefängnis bringen, das wusste er. Aber der Geiselnehmer konnte sich dessen nicht sicher sein. Es war ein riskantes Spiel. Sollte der Mann bei seinen Forderungen bleiben, hatte er sich in eine schlechte Ausgangslage manövriert. Er hoffte, dass der Verbrecher unter Druck geriet und zu einem Zugeständnis bereit war. Drei Stunden sind eine recht lange Zeit in einer solchen Situation, das wusste er.
„Okay, drei Stunden, aber keine Minute länger“, schallte es plötzlich aus dem Hörer.
Serge Quinnec atmete tief durch, eine zentnerschwere Last fiel von seinen Schultern. Zum Zeichen, dass der Geiselnehmer eingelenkt hatte, hob er den Daumen der linken Hand und sah zu den beiden Kollegen. Paul Chevrier und Jugo Kerhat standen links und rechts des Leiters des Einsatzkommandos und warteten auf ein Gespräch mit ihm.
„Gut, dann mache ich mich sofort an die Arbeit, um das Geld zu beschaffen. Sie hören wieder von mir.“
„Sollte nicht ein Psychologe ein solches Gespräch führen?“, fragte Paul und sah Quinnec fragend an.
„Sicher, das ist die Vorschrift, aber bis der Psychologe von Brest hier ist, ist die von den Geiselnehmern gesetzte Frist bereits abgelaufen. Hätte ich warten sollen?“
„War ja nur eine Frage.“ Pauls Handy klingelte.
„Bonjour Monsieur Nourilly, was kann ich für Sie tun?“
„Ich habe gehört, es gibt einen Toten und eine Geiselnahme in Douarnenez?“
„Ob es einen Toten gibt wissen wir noch nicht genau. Die Gendarmerie von Douarnenez hat uns vorsichtshalber sofort informiert, nachdem in dem überfallenen Juwelierladen ein Schuss gefallen ist. Wir haben noch keinen Überblick über die Situation im Laden. Weder wissen wir wie viele Geiselnehmer sich im Geschäft aufhalten, noch wie sie bewaffnet sind, oder wie viele Geiseln sich in ihrer Gewalt befinden.“
„Kerber ist doch in Urlaub, brauchen Sie meine Hilfe?“
„Stimmt, Kollege Kerber hat eine Woche Urlaub. Ich glaube, dass ich alleine klarkomme. Sollte ich Hilfe benötigen, dann erlaube ich mir, mich vertrauensvoll an Sie zu wenden.“
„Tun Sie das, Monsieur Chevrier, tun Sie das. Ich helfe gerne. Noch etwas, wie sieht es mit einer Information an die Presse aus? Sollen wir die schon informieren?“
„Dafür ist es bestimmt noch zu früh. Ich melde mich bei Ihnen, sobald wir die Presse benachrichtigen können.“
„Gut, Sie halten mich auf dem Laufenden.“
Paul legte auf und atmete tief durch. Er war Nourilly gerade noch einmal entkommen. Er konnte sich an eine Situation erinnern, die lag schon viele Jahre zurück, da hatte Nourilly sich in die Ermittlungsarbeit in einem Mordfall eingeschaltet. Seine Unerfahrenheit in Ermittlungsarbeiten hatte damals beinahe dazu geführt, dass der Fall unaufgeklärt geblieben wäre. Damals war es Ewen gelungen, Nourilly davon zu überzeugen, dass es eine große Hilfe wäre, wenn er sich um die Presse kümmern könnte. Das Wort Presse brauchte man Nourilly nicht zweimal zu sagen. Vermutlich wäre er ein ganz hervorragender Pressekonferenz-Organisator