Petra Hartmann

Ein Prinz für Movenna


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kleinen Varel hat es gefallen. Er lächelt sogar etwas im Schlaf ... Und willst du denn nun hören, wie die Geschichte ausging?“

      ‚Nun, wie wird die schon ausgegangen sein?‘, knurrte Orh. „Elektryon erhielt die Hand der Prinzessin Beryllis, und nach des Königs Tod wurden die beiden König und Königin über das Land, und sie lebten glücklich und zufrieden, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.“

      „Nein.“

      „Nein?“

      „Nein.“

      Sparrow lehnte den Kopf an den Mast und starrte hinaus in die tosende See, die sich wie gewaltige schwarze Bergeshöhen vor ihnen auftürmte. „Nein“, wiederholte er nach einer Weile. „So war es nicht. König Flaric freilich mag es sich so vorgestellt haben, als er den Fischersohn zu sich rief und ihn aufforderte, er solle sich doch etwas wünschen. König Flaric, heißt es, hatte eine gewisse romantische Ader und liebte Geschichten um heldenhafte Drachenbezwinger. ‚Was es auch sei, um das du bittest, es sei dir gewährt‘, versprach der König. Und Prinzessin Beryllis stand dabei und strahlte ihn mit ihren sternenblauen Augen an und lächelte mit ihren rosenroten Prinzessinnenlippen, dass die Welt sich um den jungen Elektryon zu drehen begann. Aber dann nahm er den König fest ins Auge und sprach: ‚Mein König, einen Wunsch habe ich in der Tat: Bitte schenkt mir den Drachen.‘ ‚Was willst du denn mit einem Drachen?‘, fragte der König verblüfft. Aber er hatte versprochen, den Wunsch zu erfüllen, und Könige halten ihre Versprechen. Er ließ also eine Urkunde ausfertigen, in der stand, dass der Feuerdrache dem Elektryon auf alle Zeiten gehören sollte. Und Elektryon rollte das Pergament zusammen und sagte ‚Dankeschön‘, dann verließ er die Stadt.

      Es dauerte Wochen, bis der Junge den festgeklebten Drachen gezähmt hatte. In den ersten Tagen schlug die Echse wild mit dem Schwanz und hätte ihn beinahe erschlagen. Und als der große Tag kam, an dem Elektryon ihm das Seil abnahm und der Drache wieder Feuer spucken konnte, da hielten alle, die ihn dabei beobachteten, vor Angst den Atem an. Doch der Junge ließ sich nicht anmerken, wie unheimlich ihm die Situation war. Und die Echse beugte sich zu ihm hinab und fraß einen Stockfisch aus seiner Hand. ‚Siehst du‘, sagte er, ‚solch einen Leckerbissen will ich dir jeden Tag geben, wenn du mein Drache sein willst und mit mir zusammen arbeitest.‘ Da nickte das Tier, und Elektryon streichelte ihn sanft zwischen den Ohren.

      Wenige Tage später war die Zeit gekommen, in der der Drache seine Haut abstreifte. Denn alle Reptilien werfen von Zeit zu Zeit ihren Panzer ab, wenn er alt und zu eng geworden ist, und darunter kommt eine neue, glänzende Haut zum Vorschein. Als sich die festgeklebten Drachenschuppen lösten, jauchzte das Ungeheuer vor Freude auf. Es nahm Elektryon auf seinen Rücken und flog los, so schnell und so hoch, wie die Drachenschwingen das Tier tragen konnten. Elektryon steuerte die Flugbestie nach Norden, bis sie das gefährliche Sharkenthökk-Riff erreichten. Hier landete der Drache, und als er auf dem scharfkantigen Felsen stand, da wurden gerade mal seine Fußsohlen nass, so groß war er.

      Nacht für Nacht stand der Drache von nun an auf dem Riff, und wann immer sich ein Schiff den verhängnisvollen Felsen näherte, stieß er einen hellen Feuerstrahl in den schwarzen Himmel, sodass die Schiffer gewarnt waren. Und seither ist niemals wieder ein Schiff dort gescheitert, denn ob es auch stürmte oder ob wie aus Kübeln Wasserstürze auf sie einjagten, Elektryon und sein Drache hielten getreulich auf dem Riff Wacht und warnten die Seeleute.

      Später ließ der König auf dem Felsen einen gemütlichen kleinen Leuchtturm für die beiden errichten, und der steht noch heute am Sharkenthökk-Riff: ein Turm aus grauen, grünbemoosten Felsen mitten auf dem tödlichen Riff, und er hat oben drei riesige Fenster aus poliertem Bernstein, durch die sein Suchstrahl auf die Wellen fällt – Dort!“

      Sparrow wies mit weit ausgestrecktem Arm nach vorn. Am nördlichen Horizont war ein helles Licht aufgeflammt. „Leuchtturm voraus!“, vermeldete die volltönende Stimme Wannewers. Trotz des Sturms war der Ruf des Ausgucks an jedem Punkt des Schiffs zu hören. „Geschafft“, freute sich Löwener. „Jetzt ist das Schlimmste überstanden.“

      Harrods Kommandos vom Heck aus schallten durch die Nacht, und wenig später drehte sich die Lachmöwe aus dem Wind. Löwener und Sparrow knüpften mit flinken Fingern die Reffleinen auf. Schon blähten sich die Segel stolz im Sturm. Das Schiff lag nun wesentlich ruhiger im Wasser, und auch Orh lächelte zufrieden, als er sah, wie sich Harrods Kristallscheibe quer zur Schiffslinie drehte. „Den Kurs lass ich mir gefallen, Kapitän“, lachte er. „Und das Drachenlicht da vorne auch ...“

      Seegespenst

      Löwener, der hagere, sehnige Steuermann, schüttelte, seine wilde, graue Mähne und gähnte laut und ausgiebig. Den Fuß lässig über die Ruderpinne gelegt, räkelte sich der braungebrannte Seemann aus Dichtaby in der Mittagssonne des erstaunlich warmen Wintertags und hielt die Lachmöwe in dem fast unbewegten Wasser mühelos auf Kurs. Der kleine Segler machte gute Fahrt. Der Bug durchschnitt die sanften, flachen Wellen nahezu geräuschlos. Meile um Meile glitt das Schiff westwärts, und wenn das gute Wetter und der leichte aber stetige Wind anhielten, würden sie in weniger als acht Tagen ihr Ziel erreichen.

      Der Mann am Steuer ließ den Blick über Deck schweifen. Oben im Ausguck träumte wohl der scharfäugige Wannewer vor sich hin, und dort in der Taurolle hatte es sich der Schiffsjunge Sparrow gemütlich gemacht. Nur sein nackter, schmutziger Fuß hing über die aufgeschossenen Seile heraus, ansonsten war der Bengel unsichtbar. Löwener wusste, dass Sparrow den Säugling Varel im Arm hielt, und er war dankbar, dass das Kind offenbar endlich einmal schlief. Königssohn hin oder her, das ständige Schreien der kaum vier Hände großen Fracht hatte in den letzten Tagen hart an den Nerven der Seeleute gezerrt. Doch nun war Ruhe eingekehrt, und selbst Kapitän Harrod hatte es gewagt, sich für ein paar Stunden unter Deck zu begeben. Nur ein paar blaue Wolken von Vanilletabak-Rauch verrieten, dass der alte Sturmvogel dort unten in seiner Kajüte hockte und genüsslich sein Pfeifchen schmauchte. Was für ein friedlicher Tag, dachte Löwener. Wenn nun noch der Krieger zur Ruhe käme, dann wäre der Frieden vollkommen.

      Orh Jonoth lehnte am Bugspriet und starrte gedankenverloren in die See. Der riesenhafte Krieger hatte auch am vierten Tag ihrer Reise den schwarzen Harnisch noch nicht abgelegt. Auch wenn der schwere Eisenpanzer seinen sicheren Tod bedeuten würde, falls der Hüne bei einer ruckartigen Bewegung des Schiffes über Bord gehen sollte. Die fast fingerstarken Metallplatten, die in der Schlacht schon mehrfach sein Leben bewahrt hatten, würden ihn unrettbar in die Tiefe ziehen, und Harrod und Löwener hatten ihn bereits mehrfach eindringlich gewarnt. Doch Orh hatte nur eigensinnig den Kopf geschüttelt und die Rechte auf den schweren Waffengurt gelegt. Das wuchtige Breitschwert baumelte wie eine blutige Drohung an der Seite des Akkatossers, und die dunkle Doppelaxt aus hartem, bernländischem Stahl mochte schon mehr Schädel gespalten haben, als Menschen an Bord waren.

      Welch ein eigenwilliger Entschluss von König Orsan, ausgerechnet diesen Kämpen als Kindermädchen für den Säugling abzustellen, dachte Löwener. In alten Zeiten hätte man gewiss eine Komödie darüber verfasst. Aber Orsan war tot, gefallen in der letzten Schlacht um Movenna, und einen besseren Mann für seinen letzten Auftrag hätte er schwerlich finden können. Orh würde das Kind mit seinem Leben verteidigen, soviel stand für den Steuermann fest. Keine Frage, der beste Mann des Königs würde diesen Auftrag ausführen ...

      Orh Jonoth starrte düster ins Wasser. Die dunklen Wolken, die um seine Stirn lagerten, verliehen ihm ein noch finstereres Aussehen, als es der dunkle Panzer ohnehin schon tat. Wie ein drohender schwarzer Felsen stand er dort in der Mittagssonne, dumpf vor sich hinbrütend in nachtschwarzen Gedanken.

      „Auf dem Schild oder mit dem Schild sollst du heimkehren“, so riefen die Frauen der Bernländer es einem Krieger nach, wenn er in die Schlacht zog. So hatte es auch seine Rieke ihm nachgerufen. Tot oder als Sieger führte der Weg zurück in die Heimat, ein Drittes gab es nicht. Aber dort hinten, jenseits der Berge, war das Heer Movennas hingesunken. Der König tot. Die jungen Moven’Am tot. Die bernländische Garde tot, wie es einem Krieger aus Akkatossa ziemte. Nur er selbst ... Der Kämpe ballte die Faust.

      Wusste Orsan eigentlich, was